Dagmar WöhrlCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze
Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Hänsel, dass ich Ihnen einmal Danke sagen sollte, hätte ich zwar nicht gedacht; aber ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die heutige Aktuelle Stunde initiiert haben.
Auf der anderen Seite muss ich sagen: Herr Kollege Hunko, dass Sie hier versuchen, den IS zu rechtfertigen, ist für mich unverständlich.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Was? – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Er hat ihn nicht gerechtfertigt!)
Es gibt keine Rechtfertigung für diese Terrororganisation, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das hat er doch gar nicht gemacht!)
Das waren die Worte eines Flüchtlings, als er nach endlosen Strapazen endlich auf der anderen Seite der Grenze zur Türkei angekommen war. Das sind Worte, die einem im Gedächtnis bleiben, ebenso die dramatischen, schrecklichen Szenen, die wir in den letzten Wochen immer wieder erleben. Der IS brüstet sich mit Massakern, er stellt Videos davon ins Netz – brutalste Szenen, wie wir sie uns nicht schlimmer vorstellen können. Er hat es geschafft, innerhalb von drei Tagen 60 Dörfer zu überrollen. Alle jungen Männer über zwölf Jahren wurden getötet. Die Frauen wurden vergewaltigt und misshandelt; es sollen insgesamt über 5 000 gewesen sein. Die Frauen haben nur eine Chance, wenn sie bereit sind, sich zu bekehren, wenn sie bereit sind, die „Richtiggläubigen“ zu ehelichen. Ansonsten werden sie zu Sklavendiensten missbraucht oder auf dem Markt verkauft; man spricht von einem Preis von 200 Dollar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese Menschen, für die Frauen mit ihren Kindern bleibt nur die Flucht. Wir sprechen heute von 140 000 Flüchtlingen, die innerhalb von drei Tagen über die syrisch-türkische Grenze geflohen sind. Wenn es IS schafft, Kobani einzunehmen, was er ja vorhat, dann wird sich die Zahl der Flüchtlinge auf über 400 000 erhöhen.
Man ist sprachlos. Wenn man das sieht und hört, weiß man gar nicht, was man noch machen kann. Man ist verzweifelt. Es gibt nicht genügend grausame Worte, um überhaupt zu beschreiben, was sich dort abspielt.
Wir brauchen Lösungen. Es ist uns unverständlich, was für eine Anziehungskraft die Dschihadisten haben. Inzwischen soll es über 15 000 Foreign Fighters geben, das heißt junge Menschen aus dem Ausland, die in das Land strömen, um die Dschihadisten und den IS zu unterstützen.
Wir brauchen Lösungen; denn die Hälfte aller Flüchtlinge sind Kinder. Von der Krise in Syrien und seinen Nachbarländern sind inzwischen 6,6 Millionen Kinder betroffen, Zehntausende sind bereits gestorben.
Ich bin froh, dass die internationale Gemeinschaft ihre Verantwortung annimmt. Aber es muss noch mehr getan werden. Auch wir versuchen, unserer Verantwortung durch humanitäre Hilfe gerecht zu werden. Wir unterstützen UNICEF. Wir gewähren Soforthilfe. Unsere zuständigen Minister stocken die Mittel für humanitäre Hilfe auf. Sie wissen, dass es notwendig ist. Herr Nouripour, ich bin auch froh: Es wird einen Nachtragshaushalt für den Etat des Auswärtigen Amtes geben, damit die Mittel für humanitäre Hilfe aufgestockt werden können. Die Not zwingt uns dazu.
Diejenigen von uns, die in den letzten Wochen und Monaten in Flüchtlingslagern gewesen sind – ob im Libanon, im Irak oder sonst wo –, haben eines festgestellt: Die Flüchtlingscamps sind nicht mehr so wie früher.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!)
Es sind Städte geworden, inzwischen auch mit Einkaufszentren. Die Menschen stellen sich darauf ein, dass sie nicht von heute auf morgen wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Das bedeutet auch, dass ihnen eine langfristige Zukunftsperspektive fehlt. Dadurch entsteht Hoffnungslosigkeit. Kinder wachsen in Gewalt auf. Sie kennen nichts anderes als dieses Umfeld. Das ist die Gefahr, die wir in diesem Zusammenhang sehen.
Wir müssen ISIS zeigen, dass er verwundbar ist. Wir müssen das auch den Menschen zeigen, damit sie die Angst vor diesen Terroristen verlieren. In diesem Zusammenhang bin ich dankbar für die UN-Resolution, die gestern angenommen worden ist. Endlich sind alle Länder der Vereinten Nationen verpflichtet, ein Gesetz zu erlassen, das das Reisen zu terroristischen Zwecken unterbindet. Wir hoffen, dass sich dadurch wenigstens die Zahl der Foreign Fighters verringert.
Wir dürfen nicht naiv sein. Wir wissen: Ohne militärisches Eingreifen kann die Weltgemeinschaft dieser Lage nicht Herr werden. Deswegen sind wir froh, dass die USA aktiv geworden sind. Wir sind froh, dass sie von den Franzosen unterstützt werden. Wir sind froh, dass sie von arabischen Partnern unterstützt werden. Um die Not der Menschen zu lindern, müssen wir diese militärischen Maßnahmen durch politische Intervention und humanitäre Hilfe ergänzen, wie wir es bisher schon getan haben.
Wir schulden der Türkei Dank für die Aufnahme der Flüchtlinge. Die Zahl ist immens, für uns unvorstellbar: 1,6 Millionen. Das wird nicht das Ende der Fahnenstange sein, das wissen wir. Wir müssen hier unterstützen. Wir sind ebenfalls froh, dass sich Erdogan gestern in der UN-Vollversammlung zum ersten Mal dazu bekannt hat, die internationale Gemeinschaft im Kampf gegen IS zu unterstützen. Es wurde auch Zeit. Das ist eine Aussage, auf die wir lange, lange gewartet haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])
Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie an die Redezeit?
Ja, danke schön. – Für uns war es nicht zu verstehen, dass Rekruten in der Türkei in Moscheen ausgebildet worden sind und dass Leute durch die Türkei in den Iran reisen konnten. Aber wir sind dankbar für seine Worte.
Wir sind bereit, mit unseren internationalen Partnern in Zukunft gemeinsam vorzugehen. Unseren internationalen Partnerorganisationen, die vor Ort das Menschenmögliche machen, gilt unser Dank. Wir hoffen, dass die Kinder dadurch eine Perspektive für die Zukunft haben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ute Finckh- Krämer für die Sozialdemokraten.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3909656 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze |