Ute Finckh-KrämerSPD - Aktuelle Stunde zur Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf der Tribüne! Heute tagt – schon länger angekündigt – im Auswärtigen Amt der Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe. Seit 20 Jahren bringt er mehrmals im Jahr Vertreter der Bundesregierung und der humanitären Nichtregierungsorganisationen zusammen. Seine heutigen Themen – unter anderem: Irak, Syrien und die Ebolakrise in Westafrika – sind brandaktuell.
Ursprünglich war geplant, dass heute Mittag eine direkte Begegnung der Mitglieder des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe mit diesem Koordinierungsausschuss stattfinden sollte. Leider haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, genau in diese Mittagszeit zwei namentliche Abstimmungen gelegt. Insofern musste das offizielle Gespräch abgesetzt werden,
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: So ist das im Parlamentarismus!)
und ich konnte mich nur kürzer als erhofft darüber informieren, was deutsche Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe, medico international und der Malteser Hilfsdienst derzeit im syrisch-türkischen Grenzgebiet leisten. Ich möchte diesen Organisationen und den weiteren Organisationen, die dort im Augenblick tätig sind, an dieser Stelle ausdrücklich für ihr professionelles Engagement vor Ort danken.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Frau Hänsel, sowohl gestern im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe als auch heute im Koordinierungsausschuss hat die Bundesregierung über die Situation in der Grenzregion berichtet. Auch die Hilfsorganisationen, die heute vertreten waren, haben berichtet. Die Berichte entsprachen nicht ganz dem, was Sie eben vorgetragen haben.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil die auch woanders sind!)
Die Flüchtlinge kommen diesen Berichten zufolge zwar in der Tat nicht überall und sofort, aber doch sukzessive über die Grenze. Die meisten bleiben auch nicht in der unmittelbaren Grenzregion, sondern fahren in Ortschaften weiter, in denen sie zum Beispiel bei Verwandten unterkommen können.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat – das hat Gabriela Heinrich eben schon erwähnt – für den 28. Oktober 2014 nach Berlin zu einer Konferenz eingeladen, bei der über Hilfen für die Nachbarstaaten Syriens und des Iraks beraten wird. Das begrüße ich sehr und möchte dem Außenminister an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deutschland muss einen weiteren substanziellen Beitrag leisten, um seiner internationalen Verantwortung für die Flüchtlinge gerecht zu werden. Das betrifft sowohl die Haushaltsmittel für humanitäre Hilfe im laufenden Jahr, die gegebenenfalls im Rahmen eines Nachtragshaushaltes aufgestockt werden müssen, als auch die Mittel für 2015, die im vorliegenden Entwurf in der Tat viel zu niedrig angesetzt sind und daher im Rahmen der weiteren Haushaltsberatungen massiv aufgestockt werden müssen, wie es mein Kollege Frank Schwabe bei der Debatte zur ersten Lesung des Bundeshaushaltes 2015 bereits gefordert hat. Die Hilfsorganisationen und ihre lokalen Partner brauchen Planungssicherheit und die Flüchtlinge die Gewissheit, dass sie so lange Hilfe erhalten, wie sie benötigen.
Neben Geld für die schon länger in der Region tätigen Hilfsorganisationen und für den UNHCR wird möglicherweise auch qualifizierte technische Hilfe nötig werden, wenn es darum geht, allen Flüchtlingen winterfeste Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Viele von uns Abgeordneten haben sich am Dienstag beim Technischen Hilfswerk darüber informiert, was diese Organisation beim Aufbau von Notunterkünften oder bei der Trinkwasserversorgung leisten kann – übrigens zu über 98 Prozent durch den Einsatz von Freiwilligen, das heißt von ehrenamtlich Tätigen. Wenn die Türkei konkrete Hilfe in diesem Bereich bei der Bundesregierung oder bei der Europäischen Union anfordert, könnte das THW diese, wie in der Vergangenheit in anderen Ländern, schnell und effektiv bereitstellen.
Ich möchte im Zusammenhang mit der heutigen Diskussion an die Grundprinzipien der humanitären Hilfe erinnern: Neutralität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Menschlichkeit. Sie dienen dem Schutz sowohl derjenigen, die Hilfe leisten, als auch derjenigen, denen sie zuteil wird. Sie verhindern, dass Konflikte durch einseitige Hilfeleistung entstehen oder eskalieren. Humanitäre Hilfe darf nicht für politische Interessen instrumentalisiert werden.
Besonders wichtig ist die Neutralität der humanitären Hilfe in bewaffneten Konflikten bzw. in deren unmittelbarer Nachbarschaft. Deutschland hat sich 2003 nicht am Angriffskrieg der USA gegen den Irak beteiligt und lehnt jetzt zu Recht die Beteiligung an den Luftangriffen der USA auf den Irak und Syrien ab. Damit können deutsche Hilfsorganisationen in der Region glaubwürdig als unparteilich auftreten.
Wir müssen uns über die humanitäre Hilfe hinaus Gedanken machen, wie wir nicht nur mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch mit friedensfördernden Maßnahmen einen Beitrag dazu leisten können, die Lebenssituation der Menschen in der Region langfristig zu verbessern. Daher wird die heutige Diskussion sicher nicht die letzte zum Thema Türkei, Syrien, Irak gewesen sein.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jörg Hellmuth.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3909662 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze |