Thorsten FreiCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder des Arabischen Frühlings und das, was wir damit verbunden haben, haben sich in Luft aufgelöst. Die arabische Welt und ihre Ordnung sind in der tiefsten Krise seit dem 13. Jahrhundert. Das gilt nicht nur für die Länder, auf die wir jetzt hauptsächlich den Fokus legen, für den Irak und Syrien, sondern das gilt genauso für den Jemen und Libyen.
(Zuruf des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
Wenn wir uns anschauen, was sich in den vergangenen Tagen an der türkisch-syrischen Grenze ereignet hat – es ist vielfach beschrieben worden –, dann sehen wir: Es ist in der Tat entsetzlich und kaum vorstellbar. Wenn innerhalb von wenigen Stunden 130 000 Menschen an die türkische Grenze gedrängt werden und in die Türkei fliehen, dann ist das für uns kaum vorstellbar. Es ist vollkommen klar, dass wir in einer solchen Situation helfen müssen. Uns muss auch klar sein, dass das in der Tat nicht das Ende der Fahnenstange ist. Angesichts von 1,8 Millionen Binnenflüchtlingen im Irak und in Syrien steht uns noch einiges bevor.
Ich möchte zum Schluss der Debatte vier wesentliche Aspekte benennen, die aus meiner Sicht hier nottun.
Erstens. Natürlich müssen wir Flüchtlinge aufnehmen, selbstverständlich. Es erfüllt mich mit großem Respekt, wenn ich sehe, was beispielsweise in der Türkei, im Libanon und auch in Jordanien passiert. Die Länder dort vollbringen ganz enorme Leistungen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber Fakt ist eben auch, dass außerhalb der Region kein anderes Land so viel tut, um Flüchtlinge aufzunehmen, wie Deutschland.
Ich möchte an dieser Stelle eines sagen: Es kann, glaube ich, nicht das Ziel sein, dass wir so viele Flüchtlinge wie möglich zu uns holen und hier aufnehmen.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt ja auch keiner!)
Denn sie möchten ja nicht ihre Heimat verlassen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die haben keine Heimat mehr!)
Sie möchten nicht nach Deutschland und Europa. Sie fliehen aus ihrer Heimat, weil sie vertrieben werden von Terroristen, die völlig verroht sind, die sie aus ihrer Heimat vertreiben, massakrieren und abschlachten. Dort müssen wir helfen. Wir müssen hier bei uns helfen, aber auch unmittelbar vor Ort. Es ist schon gesagt worden: Der Winter steht vor der Tür. Deshalb muss es schnelle Hilfe geben. Ich bin dafür dankbar, dass wir die haushaltspolitische Flexibilität haben, entsprechend darauf zu reagieren.
Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt benennen. Es ist in der Tat so, dass es nicht reicht, nur die Symptome zu bekämpfen –
(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach?)
man muss auch an die Wurzel des Übels. Deshalb ist es richtig, die Terrororganisation IS mit allen Kräften zu bekämpfen.
Zweitens. Wir haben am 1. September hier im Bundestag darum gerungen, ob wir den kurdischen Peschmerga Waffen liefern wollen. Wenig danach hat unser Außenminister gesagt:
Richtig, wir brauchen in der Tat eine international abgestimmte Strategie. Da geht es darum, dass man Geldströme kappt. Da geht es darum, dass man die ethnischen und religiösen Gruppen in diesen Prozess integriert, dass man vor Ort die Akteure ertüchtigt, sich selbst zu helfen, so wie wir es im Nordirak getan haben.
Aber, drittens, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich warne auch davor, zum jetzigen Zeitpunkt alles andere auszuschließen. Ich glaube, es ist notwendig, dass die Amerikaner mit Luftschlägen versuchen, zu helfen, die Not dort zu bekämpfen, indem man IS unmittelbar angeht.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Seit wann haben Bomben Not beseitigt?)
Ich halte es für falsch, wenn wir, ohne die Lage abschließend beurteilen zu können, dieses grundsätzlich ausschließen.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was heißt das denn jetzt?)
Es ist darüber hinaus fraglich, ob das ausreicht. Vielleicht muss man noch sehr viel mehr tun, wenn man keinen jahre- oder gar jahrzehntelangen Konflikt an dieser Stelle haben möchte; auch das müssen wir bedenken.
Als letzten, vierten Punkt will ich erwähnen: Es geht aus meiner Sicht auch darum, die Sicherheit der Menschen bei uns im Land zu gewährleisten, und die ist in der Tat in Gefahr. Wenn man sieht, dass 400 gewaltbereite Menschen aus Deutschland sich dem IS angeschlossen haben, wenn wir davon ausgehen müssen, dass mindestens 25 kampferprobte Dschihadisten wieder zurückgekehrt sind nach Deutschland, dann müssen wir, glaube ich, auch in diesem Bereich den gesetzlichen Rahmen voll ausschöpfen. Wir müssen Doppelstaatlern, die sich so weit vom Boden des Grundgesetzes und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt haben, die Pässe entziehen. Wir müssen alles tun, um deutlich zu machen, dass, wer so etwas tut, letztlich sein Rückkehrrecht nach Deutschland verwirkt hat, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: In der Tat, es kommt auf eine international abgestimmte Lösung an, die die Kräfte vor Ort integriert. Dazu gehört – ob uns das gefällt oder nicht – auch der Iran. Richtig ist auch, dass die Türkei dabei eine zentrale Rolle spielen muss. Ich schließe mich insofern den Vorrednern an: Was wir in den letzten 48 Stunden von Staatspräsident Erdogan gehört haben, ist ermutigend.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3909699 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Flüchtlingskatastrophe an der türkisch-syrischen Grenze |