Thomas de MaizièreCDU/CSU - Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe hiermit den Gesetzentwurf zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften ein.
Ich darf daran erinnern, dass wir Anfang des Jahres – auch angestoßen von der CSU – eine Debatte über die Frage hatten: Wie gehen wir mit sogenannten Armutsmigranten um, und wie groß ist das Problem? – Es war aber nicht nur die CSU, die diese Debatte angestoßen hat: Kommunen und kommunale Spitzenverbände hatten ihrerseits in dringlichen Appellen auf die Belastungen hingewiesen, die mit einer steigenden Zuwanderung aus der EU verbunden sind.
Das Ergebnis unserer Arbeit ist in diesem Gesetzentwurf und in dem Bericht des Staatssekretärsausschusses niedergelegt. Beides liegt dem Parlament vor. Das Ergebnis lautet: Es gab und gibt in Deutschland kein flächendeckendes Problem damit. Es gibt aber eine Reihe von Kommunen – insbesondere Großstädte –, die durch die Folgen eines stetig wachsenden Zuzuges aus wenigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union besonders betroffen und belastet sind, und darauf reagieren wir mit den Maßnahmen, die jetzt hier anstehen.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Die Zuwanderung aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat in den letzten Jahren zugenommen. Das birgt für unser Land Chancen und viel Gutes. Der weit überwiegende Teil dieser Zuwanderer kommt zu uns, um hier eine Arbeit zu finden, eine Ausbildung zu beginnen oder ein Studium aufzunehmen. Diese Menschen suchen für sich und ihre Familien bessere Chancen und tragen zu Wohlstand und Entwicklung in Deutschland bei. Angesichts unserer demografischen Entwicklung sind wir natürlich auf die Zuwanderung derjenigen, die hier arbeiten können und wollen, angewiesen.
Ich will auch keinen Zweifel daran lassen, dass die Freizügigkeit in der Europäischen Union nach unserer Auffassung eine der großen Errungenschaften ist, die nicht zur Disposition stehen. Sie ist eine der großen Vorzüge Europas für seine Bürger und insbesondere auch für uns Deutsche.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Gleichzeitig dürfen wir aber nicht die Augen davor verschließen, dass vor Ort mit einem wachsenden Zuzug aus bestimmten EU-Mitgliedstaaten Probleme verbunden sind. Diese Städte und Gemeinden berichten über eine Verschärfung sozialer Probleme und über eine steigende Belastung ihrer Systeme der kommunalen Daseinsvorsorge. Das betrifft den Bereich Schule, die Versorgung mit Wohnraum, die unangemessene und unberechtigte Inanspruchnahme sozialer Leistungen oder den Bereich Gesundheitsversorgung. Das müssen wir adressieren, und darüber dürfen wir ebenfalls nicht hinwegsehen.
Wenn wir heute eine Bilanz der Arbeit des Staatssekretärsausschusses ziehen, können wir dreierlei festhalten:
Erstens. Der Abschlussbericht hat die Daten- und Faktenlage sowie die Rechtsfragen bewertet und damit zu einer Versachlichung der Debatte überall beigetragen. Ich glaube, das war gut und richtig.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man sich den Gesetzentwurf anschaut, dann kann man das nicht behaupten!)
Zweitens. Wir wollen die betroffenen Kommunen substanziell entlasten. Der Bericht und der vorliegende Gesetzentwurf enthalten dazu eine Reihe von Maßnahmen. Ich nenne sie gleich kurz. Diese Entlastungen sollen noch in diesem Jahr und in den Folgejahren wirksam werden. Deswegen bitte ich auch um eine zügige Beratung dieses Gesetzentwurfs, damit die Kommunen noch in den Genuss der Fördermaßnahmen kommen können, die mit diesem Gesetzentwurf verbunden sind.
Drittens. Wir wollen die Freizügigkeit in Europa erhalten und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft sichern. Gerade deshalb ist es wichtig, gegen einen Missbrauch dieses Rechts wirkungsvoll vorzugehen.
Was heißt das? Die Unterstützung geschieht in Form einer entsprechenden finanziellen Ausstattung des Städtebauförderprogramms „Soziale Stadt“ und der verschiedenen Programme aus europäischen Fonds. Wir stocken die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung im Sozialgesetzbuch II auf. Das Geld kann noch in diesem Jahr – ich erwähnte es – an die Länder fließen, in denen die besonders betroffenen Städte und Gemeinden liegen, damit es dann – das unterstreiche ich noch einmal – an die Kommunen weitergegeben wird, und zwar so, wie das beabsichtigt ist.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Durch eine Änderung des SGB V werden künftig bei Kindern und Jugendlichen aus EU-Staaten ohne geklärten Krankenversicherungsschutz die Impfkosten übernommen.
So weit zu den die Kommunen entlastenden Maßnahmen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das war es schon?)
Zur Unterbindung von Missbrauch im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine Reihe von Maßnahmen aus den Zuständigkeitsbereichen verschiedener Ressorts vor:
Im Freizügigkeitsrecht sollen befristete Wiedereinreisesperren im Falle eines Rechtsmissbrauchs oder Betrugs ermöglicht werden. Das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche soll in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht auf sechs Monate befristet werden. Die Erschleichung von Aufenthaltsbescheinigungen durch falsche Angaben wird unter Strafe gestellt. Beim Kindergeld sollen Doppelzahlungen und Missbrauch unterbunden werden. Künftig wird die Kindergeldzahlung von der eindeutigen Identifikation von Antragstellern und Kindern durch Angabe der steuerlichen Identifikationsnummer abhängig sein. Wir wollen entschieden gegen Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit vorgehen. Dazu sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine Regelung vor, durch die die Zusammenarbeit mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit intensiviert wird. Über den Gesetzentwurf hinaus gibt es einige Maßnahmen, die auf dem Verordnungswege oder durch Verwaltungsvorschriften erlassen werden sollen. So soll im Bereich der Familienleistungen konkretisiert werden, in welchen Fällen die Freizügigkeitsberechtigung von Antragstellern konsequent und genau zu prüfen ist. Auch Gewerbeanzeigen werden künftig konsequent auf Anhaltspunkte für Scheinselbstständigkeit geprüft.
Bevor gleich in der Debatte vorgetragen wird, das alles seien Maßnahmen, die sich gegen Betroffene, die hierherkommen, richten könnten, will ich Folgendes sagen: Der Missbrauch, der hier betrieben wird, wird nicht allein durch diejenigen betrieben, die zu uns kommen, sondern überwiegend durch das kriminelle Handeln derjenigen, die diese Menschen hierherlocken und ausbeuten. Wenn ein Vermieter in einem abbruchreifen Haus eine große Familie mit Luftmatratzen unterbringt und dafür 300 oder 400 Euro Miete nimmt, dann ist das nichts anderes als eine Schweinerei.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wenn jemand mit einem fertig ausgefüllten, in perfektem Deutsch formulierten Gewerbeantrag eine Gewerbeerlaubnis beantragt, dann riecht das nach Scheinselbstständigkeit.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen; dann darf gerne eine Zwischenfrage gestellt werden. – Wenn Männer auf einem sogenannten Arbeitsstrich stehen und für 1 bis 2 Euro pro Stunde Arbeit annehmen, dann sind die Menschen, die ihnen Arbeit anbieten, Schweinehunde. Wenn Frauen, die ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, auf den Strich geschickt werden, dann ist es kriminell, diesen Missbrauch zu dulden. Deswegen ist alles, was wir tun, auch darauf gerichtet, denjenigen, die mit Armutsmigranten Geld verdienen, den Hahn abzudrehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Jetzt hat der Kollege Volker Beck zu einer Zwischenbemerkung das Wort.
Was die Zielvorstellungen angeht, sind wir uns hundertprozentig einig.
Das ist ja mal etwas. Das ist nicht immer so.
Nein, eben. – Ich würde gerne wissen, an welcher Stelle die Frage beantwortet wurde, von der Sie gerade gesagt haben, dass Sie sie beantworten wollen: Es geht um arme Menschen, die im Rahmen der EU-Freizügigkeit zu uns gekommen und zugewandert sind, die in Wohnungen wohnen, in denen sie ausgebeutet werden, oder die in Schrottimmobilien leben. Es gibt dazu eine Regelung, und zwar in Nordrhein-Westfalen; die dortige Landesregierung will die Kontrolle verstärken. Aber in diesem Gesetzentwurf habe ich keinen Satz zu dieser Problematik gelesen.
Herr Abgeordneter Beck, dazu bedarf es auch keiner neuen gesetzlichen Regelung. Wenn wir sonst über Gesetzesverschärfungen reden, sind Sie immer der Erste, der sagt: Kümmert euch doch erst einmal um den Verwaltungsvollzug, bevor ihr Gesetze verschärft. – Hier ist es genauso. Eine solche ausbeuterische Miete ist sittenwidrig und nichtig. Derjenige, der ein solches Objekt vermietet, macht sich möglicherweise auch strafbar. Jedenfalls sollte man ihm die Hammelbeine langziehen. Dazu bedarf es keines neuen Bundesgesetzes.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Auch für den Fall, dass jemand einen anderen zur Scheinselbstständigkeit verleitet, brauchen wir keine zusätzlichen Gesetze. Ich möchte mit den harten Worten, die ich hier sage, erreichen, dass wir den Blick nicht nur auf diejenigen, die sich in Deutschland aufhalten, und auf die Lasten, die für die Kommunen damit verbunden sind, richten, sondern auch auf diejenigen, die die Lage dieser Menschen ausnutzen, in Bulgarien, in Rumänien und in Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht muss man bei den Schrottimmobilien aber trotzdem mal etwas tun!)
Meine Damen und Herren, der Abschlussbericht, den wir heute vorlegen, ist natürlich nicht der Endpunkt. Wir haben noch einige Prüfbitten und Prüfungen vor uns. Der erste Punkt ist sehr wichtig: Es ist zu prüfen, ob die Höhe des Kindergeldes in Zukunft an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes angepasst wird. Das ist eine wichtige Frage, die viele Menschen in Deutschland beschäftigt, die europarechtlich aber nicht leicht zu beantworten ist. Wir werden sie weiter intensiv prüfen.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es denn dann auch mehr Kindergeld?)
Im Zusammenhang mit den Sozialleistungen insgesamt stehen zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes an. Wenn diese Urteile vorliegen, werden wir diesen Fall und ähnliche Fälle zu bewerten haben und dann möglicherweise noch Änderungen vornehmen. Schließlich wollen wir unsere Arbeit evaluieren. Schon Ende 2014 wollen wir prüfen, ob die Maßnahmen ausreichen oder ob weitergehende Maßnahmen geboten sind. Das Thema bleibt sicher auf der Tagesordnung.
Ein wichtiger Schritt ist die Beratung und Verabschiedung des Gesetzes, das ich Ihnen heute vorstelle. Ich bitte, wie eingangs begründet, um zügige Beratung und eine möglichst große Zustimmung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, Herr Minister. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3909704 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU |