25.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 54 / Tagesordnungspunkt 6

Volker BeckDIE GRÜNEN - Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gute Rede, Herr Castellucci, vor allen Dingen der erste Teil, in dem Sie sich nicht zum Gesetzentwurf geäußert haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So steht es im Gesetzentwurf. Das ist richtig, und so weit gehen ungefähr die Gemeinsamkeiten zwischen uns und den Vorstellungen der Koalition. Richtig ist auch: Sie entlasten die Kommunen mit 25 Millionen Euro im Jahr. Das ist aber bei weitem nicht ausreichend. Das ist angesichts der Problemlage eher ein Witz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber dieser Gesetzentwurf – der Minister hat es eingangs erwähnt – hat eine Geschichte. Er ist die Konsequenz der Kampagne der CSU unter dem Motto „Wer betrügt, der fliegt“. Ich meine jetzt nicht Frau Haderthauer; ich meine die Bulgaren und Rumänen, denen Sie das unterstellt haben. Damit haben Sie eine Kampagne betrieben und eine Welle gemacht, auf der die AfD locker in drei Landtage surfen konnte. Das gehört zu Ihrer politischen Verantwortung; denn die Fakten geben Ihre Kampagne nicht her.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich habe die Bundesregierung wiederholt gefragt, ob sie jetzt Zahlen hat, weil sie nicht im Bericht stehen. Die Bundesregierung hat geantwortet: Für das Jahr 2013 wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik in Sachen Sozialversicherungsbetrug 10 Bulgaren und 50 Rumänen erfasst – als Tatverdächtige wohlgemerkt, nicht als Verurteilte bzw. festgestellte Straftäter. In Bezug auf Sozialleistungsbetrug – Kindergeld gehört dazu – waren es 44 Bulgaren und 91 Rumänen, wiederum als Tatverdächtige.

Im Gesetzentwurf finden wir eine Regelung zur Kindergeldzahlung, gegen die ich in der Sache nichts habe. Sie war übrigens schon einmal Gegenstand einer Frage der Kolleginnen Franziska Brantner und Lisa Paus, die sie in der Fragestunde an die Regierung gerichtet haben. Damals ging es aber nicht um Bulgaren und Rumänen. Es ging auch nicht um 40 oder 90 Tatverdächtige. Es ging vielmehr um die Zahl von 2 400 Fällen mit einem Schaden von 6,5 Millionen Euro durch Kindergeldbetrug. Laut Rechnungshofbericht von 2009 waren die Täter deutsche Beamte. Es geht also nicht um eine Regelung, die die schlimmen Sozialbetrüger aus dem europäischen Ausland betrifft, sondern um eine Regelung, die Sie machen mussten, weil es bei den Familienkassen keine Ordnung und keinen Datenabgleich gibt. Es ist richtig, den Doppelbezug zu verhindern. Aber soweit ich weiß, sind unter deutschen Beamten überwiegend keine Rumänen und Bulgaren; das ergibt sich aus der Natur der Sache. Daher ist es infam, diesen EU-Bürgern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das zeigt die Verlogenheit der ganzen Debatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Genauso infam und absurd ist das, was Sie im Hinblick auf das EU-Freizügigkeitsrecht vorschlagen. Sie haben wohlweislich die gegenwärtige Rechtslage als den Regelungsgehalt Ihres Gesetzentwurfs dargestellt. Da wäre ich bei Ihnen; denn die geltende Rechtslage ist vernünftig. Wer ernsthaft Arbeit sucht, darf bei uns länger als sechs Monate bleiben. Das kann die Ausländerbehörde relativ gut beurteilen. Sie muss nur darauf achten, was der Betreffende macht, um Arbeit zu finden. Wenn er nichts tut, muss er schon nach heutiger Rechtslage Deutschland verlassen, weil es ohne ernsthafte Arbeitssuche keinen Grund zum Aufenthalt gibt. Aber Sie verlangen nun von den Ausländerämtern, was nur die Arbeitsagenturen leisten können. Die Ausländerämter sollen beurteilen, ob die Betreffenden mit Aussicht auf Erfolg Arbeit suchen. Wie soll das der Jurist in der Ausländerbehörde, der Paragrafen, aber nicht den Arbeitsmarkt kennt, überhaupt beurteilen? Diese sinnlose Regelung wird zu vielen Prozessen und falschen Entscheidungen in der Sache führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nun zum Erschleichen der Freizügigkeit. Herr de Maizière, ich weiß, dass Sie ein kluger Mann und ein sehr guter Jurist sind – ich bin keiner – und sich auskennen. Warum Sie sich das von Herrn Seehofer in den Gesetzentwurf haben diktieren lassen, ist mir schleierhaft. Sie wollen das Erschleichen der Freizügigkeit mit Wiedereinreisesperren belegen und so Sozialbetrug bekämpfen. Nun besagt die EU-Freizügigkeitsrichtlinie in Artikel 35 klipp und klar: Eine Entscheidung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit erlassen wird, darf nicht mit einem Einreiseverbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen. – Diese Regel ist klipp und klar. Ihre Regelung ist also von vorne bis hinten EU-rechtswidrig und verstößt gegen den Wortlaut europäischen Rechts. Wie Sie wissen, sind öffentliche Ordnung und Sicherheit im europäischen Recht nicht so zu verstehen wie im deutschen Polizeirecht. Dazu gibt es eine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Dieser hat in einem Urteil gesagt: Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht. – Dann genügt das falsche Ausfüllen eines Sozialhilfeantrags oder eines ALG-II-Antrags erst recht nicht. Ihre Regelung ist also Makulatur. Der EuGH muss sie aufheben, wenn Sie nicht zu Verstand kommen. Ich verstehe nicht, wie Sie nach Ihrer Rede einen solchen europarechtswidrigen Unsinn mitmachen können. Ihre Regelung dient nur dazu, die EU-Freizügigkeit in ihrem Bestand zu diskreditieren. Das sollten wir nicht tun. Im Gegenteil: Wir sollten sie verteidigen gegen die Rattenfänger von der AfD.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Kollege Beck, auch bei großzügigster Auslegung ist die Redezeit limitiert.

Das ist schade. Aber im Wesentlichen bin ich fertig.

Streichen Sie aus Ihrem Gesetzentwurf den Teil betreffend die EU-Freizügigkeit! Über die Kindergeldregelung – weil sie in einem anderen Zusammenhang richtig ist – und die Hilfe für die Kommunen können Sie mit uns jederzeit reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich jetzt unserer Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU das Wort erteile, möchte ich ihr herzlich gratulieren, weil sie heute Geburtstag hat. Herzlichen Glückwunsch und ein glückliches neues Lebensjahr!

(Beifall)

Bitte, Frau Lindholz.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3909744
Wahlperiode 18
Sitzung 54
Tagesordnungspunkt Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU
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