Andrea LindholzCDU/CSU - Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst möchte ich dem Staatssekretärsausschuss für den detaillierten Bericht danken. Auf dieser Basis können wir uns einer zentralen Fragestellung zuwenden: Wie kann die europäische Freizügigkeit mit den nationalen Sozialleistungssystemen in Einklang gebracht werden? Der Bericht zeigt uns, dass die Migrationsströme aus den EU-Staaten nach Deutschland zunehmen. Die steigende Mobilität der Europäer ist grundsätzlich zu begrüßen und gewollt. Allerdings ist die wesentliche Ursache dieses Zuwachses die anhaltend schwierige wirtschaftliche Lage in Teilen Europas.
Die nationalen Sicherungssysteme werden von jedem Mitgliedstaat selbstständig gestaltet und finanziert. Deutschland ist durch seine Wirtschaftskraft in der Krise zum Stabilitätsanker für unzählige Europäer geworden, und darauf können wir stolz sein.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Natürlich profitiert Deutschland auch von der unkomplizierten Zuwanderung im Rahmen der europäischen Freizügigkeit. Der Zuzug von Facharbeitern aus der EU macht es gerade kleinen und mittleren Unternehmen leichter, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir brauchen zweifellos die Zuwanderung aus der EU. Aber die europäische Freizügigkeit darf auch nicht sakrosankt sein. Wir dürfen nicht nur ihre Vorteile sehen, sondern wir müssen auch Probleme und Fehlentwicklungen ansprechen, sachlich diskutieren und die Freizügigkeit bei Bedarf neu ordnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der Bericht belegt eindeutig, dass die Freizügigkeit auch Probleme verursacht. Binnen Jahresfrist ist die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus Rumänien und Bulgarien in einigen deutschen Kommunen um 40 Prozent, 80 Prozent, ja sogar um 147 Prozent gestiegen. Vor allem in den strukturschwachen Regionen und den Großstädten führt das zu erheblichen Problemen, und das bestätigen uns die betroffenen Kommunen auch immer wieder.
Es ist daher nur konsequent, dass der Bund noch in diesem Jahr 35 Millionen Euro bereitstellen wird – und das sind keine Peanuts –, um die Kommunen bei den Kosten für Wohnung, Heizung und Gesundheitsvorsorge zu entlasten.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, das sind Peanuts!)
– Das mögen für Sie Peanuts sein, für mich sind es keine Peanuts.
Ebenfalls werden Integrations- und Sprachkurse an Brennpunkten intensiviert. Der Bund stellt über das Programm „Soziale Stadt“ in den nächsten Jahren 200 Millionen Euro zur Verfügung, die die Kommunen durch eigene, passgenaue Lösungen abfragen können. Die Bundesregierung nimmt damit ihre Verantwortung gegenüber den deutschen Kommunen und Europa gleichermaßen wahr.
Es wäre aber falsch, zu glauben, dass wir diesen Herausforderungen, die die europäische Binnenmigration mit sich bringt, alleine mit der Bereitstellung von Steuergeldern begegnen könnten. Die Wahlergebnisse der letzten Monate zeigen, dass auch in Deutschland die öffentliche Zustimmung für ein zusammenwachsendes Europa keine Selbstverständlichkeit ist. Als Bundespolitiker tragen wir besondere Verantwortung, das Vertrauen unserer Bevölkerung in die Europäische Union zu stärken.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig! Sagen Sie das mal der eigenen Partei!)
Wenn die europäische Freizügigkeit missbraucht wird, um vom deutschen Sozialleistungssystem zu profitieren – da genügt ein einzelner Fall –, dann leidet gerade dieses Vertrauen. Betrug und Missbrauch dürfen wir nicht dulden; denn auch das schadet der europäischen Idee.
(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei deutschen Beamten hatten Sie fünf Jahre Zeit vom Rechnungshofbericht bis heute! Das ist bigott!)
– Ich hatte sie nicht, Herr Kollege Beck. Ich bin erst seit September letzten Jahres im Deutschen Bundestag.
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes setzt ein wichtiges Signal: Die Bundesregierung benennt Missstände im Rahmen der europäischen Integration und will sie auch beheben. Der Gesetzentwurf stellt das Erschleichen von Aufenthaltskarten unter Strafe. Im Betrugsfall können Wiedereinreisesperren von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Der Aufenthalt zur Arbeitssuche wird generell auf sechs Monate befristet. Wer nach einem halben Jahr keine begründete Aussicht auf Arbeit hat, muss ausreisen. An dieser Stelle möchte ich dem Kollegen Beck zustimmen: Auch nach meiner Auffassung sollten wir die begründete Aussicht in der Gesetzesbegründung an konkrete und überprüfbare Kriterien knüpfen, um den Gerichten eine einheitliche Rechtsprechung zu ermöglichen. Vorschläge hierzu habe ich selbst unterbreitet.
Die Behörden werden im Kampf gegen Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit besser vernetzt. Die Gewerbeämter sollen schon den ersten Verdachtsfall auf Scheinselbstständigkeit prüfen und ihn direkt der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll melden. Schließlich werden durch die Steueridentifikationsnummer, die jetzt angegeben werden muss, Missbrauch und vor allen Dingen Doppelzahlungen verhindert. Dieses Maßnahmenbündel stärkt das Vertrauen in Europa, und es zeigt auch, dass die Bundesregierung handelt.
Ich sehe aber nicht nur eine Gefahr für die Zustimmung zu Europa in Problemen oder im Missbrauch. Zum Beispiel wirft auch der legale Bezug von Kindergeld Gerechtigkeitsfragen auf, die wir nicht einfach ignorieren sollten. Ich begrüße daher ausdrücklich den im Bericht enthaltenen Prüfauftrag. EU-Bürger, die in Deutschland arbeiten, haben einen legalen Anspruch auf Kindergeld, egal ob ihr Kind in Deutschland oder im europäischen Ausland lebt. Das ist dem Grunde nach auch richtig. Ist es aber richtig, dass ein Kind, das zum Beispiel in Polen lebt, die gleichen 184 Euro Kindergeld erhält wie ein Kind in Deutschland? Laut Eurostat liegt das Preisniveau für Lebensmittel in Polen um 45 Prozent unter dem deutschen Niveau.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist dann mit der Schweiz und mit Luxemburg?)
Alle Kinder, die in Deutschland leben, werden damit im Ergebnis schlechtergestellt, unabhängig davon, ob sie deutsche oder andere Staatsbürger sind.
Daher bin ich der Auffassung, dass wir das Kindergeld an die Lebenshaltungskosten am Wohnort anpassen sollten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch in der Schweiz?)
Nicht umsonst bzw. aus gutem Grund haben wir eine solche Abstufung bereits im Unterhaltsrecht und im Einkommensteuerrecht beim Kinderfreibetrag. Das Kindergeld dient ebenso wie der Kinderfreibetrag explizit der Sicherung des steuerfreien Existenzminimums in Deutschland.
Die Freizügigkeit ist ein großer Fortschritt. Ich will sie auch nicht infrage stellen, aber sie muss mit den nationalen Sozialleistungssystemen harmonieren. Ich bin mir sicher, dass wir hier auf europäischer und nationaler Ebene Handlungsspielräume haben, die wir nutzen könnten. Jede Sozialleistung in einem Land hat dort eine bestimmte nationale Zielvorgabe zu erfüllen. Eine Abstufung des Kindergelds wäre ein Signal für ein gemeinsames Europa, das auch in der Lage ist, offensichtliche nationale Unterschiede zu berücksichtigen.
Vielen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3909750 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU |