Sebastian SteinekeCDU/CSU - Einführung von Gruppenverfahren
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Gesetzentwurf, den Frau Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einführung von Sammelklagen – man muss deutlich sagen: es sind Sammelklagen, um die es heute geht, keine Gruppenverfahren – eingebracht hat, haben Sie uns schon im letzten Jahr vorgestellt, und zwar kurz vor der Bundestagswahl. Kollege Luczak hat damals völlig zu Recht festgestellt: Das war reines Wahlkampfgeplänkel.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie uns jetzt nicht mehr vorwerfen!)
– Reines Wahlkampfgeplänkel. So haben Sie es gemacht. – Sie konnten aber weder die Fachverbände noch die zuständigen Bundestagsgremien beteiligen. Auch die erneute Einbringung ändert aber nichts daran, dass der Gesetzentwurf in die völlig falsche Richtung geht, Frau Kollegin.
Bemerkenswert ist übrigens auch, dass Ihre Fraktion – Sie haben eben darauf hingewiesen – am 19. Mai eine Kleine Anfrage zu diesem Thema an die Bundesregierung gerichtet hat, in der Sie sich nach dem Stand der Überlegungen und weiteren Arbeitsschritten der Bundesregierung erkundigt haben. Was aber machen Sie zwei Tage später? Ohne die Antwort abzuwarten, reichen Sie einen eigenen Gesetzentwurf mit 26 Paragrafen ein. Das ist reiner Aktionismus und macht keinen Sinn.
(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt drücken Sie sich nicht vor der materiellen Aussage, Herr Steineke! Das ist ja feige! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zur Sache!)
– Genau so ist es, Frau Künast. Sie können ja nächstes Mal die Antwort abwarten.
Sie haben davon gesprochen, dass die Zivilprozessordnung eher nicht die Krone Rechts sei, oder wie auch immer Sie es formuliert haben. In der Vorbemerkung zum Gesetzentwurf betonen Sie aber völlig zu Recht, dass wir eine wunderbare ZPO haben. Sie hat sich seit 130 Jahren als zuverlässige, sachgerechte Prozessordnung bewährt. Wir haben sie auch immer wieder den Notwendigkeiten angepasst.
Sie wollen mit der Einführung der Sammelklage einen komplett neuen Abschnitt einfügen, der aus Ihrer Sicht notwendig ist. Aus unserer Sicht ist er das definitiv nicht.
Auch der jüngste Gedanke über die Einführung eines kollektiven Rechtsschutzes – Sie haben darauf hingewiesen – geht einzig und allein auf eine Empfehlung der Europäischen Kommission zurück. Wie schon bei der geplanten Änderung der Small-Claims-Verordnung konnten wir feststellen, dass nicht immer alles gut und richtig ist, was aus Brüssel kommt.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das sieht Herr Oettinger anders!)
In diesem Fall handelte es sich lediglich um einen Appell statt um eine gesetzlich umzusetzende Vorgabe.
Wir haben in unserem Rechtssystem bereits jetzt ausreichend effiziente und kostengünstige Instrumente zur Durchsetzung von individuellen Rechten. Dazu gehören neben den gängigen Individualklagewegen, die jedem bekannt sein dürften, im Übrigen auch mehrere ähnlich gelagerte Möglichkeiten im kollektiven Rechtsschutz. Schon in jüngster Zeit sind Sammelklagen gegen Banken, Energieversorger oder Versicherungen erfolgreich und basierend auf den heute bestehenden kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten geführt worden. Wenn Sie die Antwort der Bundesregierung abgewartet hätten, wüssten Sie das.
Verbände können schon jetzt nach dem Unterlassungsklagegesetz oder dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Sammelklagen erheben. Zudem sind bereits heute die Streitgenossenschaft in der ZPO, die Prozessverbindung, die Möglichkeit der Musterklage nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz im Rahmen eines effizienten und vereinfachten Gerichtsverfahrens möglich und auch vor dem Hintergrund eines kollektiven Rechtsschutzes absolut ausreichend.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehene fast umfassende Einführung von Sammelklagen stößt aber auch in vielerlei anderer Hinsicht auf Bedenken. Wir haben in unserer Verfassung das in Artikel 103 fest verankerte und uneingeschränkte Grundrecht auf rechtliches Gehör. Das betrifft jedes einzelne Individuum, das seine Rechte geltend machen will. Diesem Grundsatz wird die Sammelklage in keiner Weise gerecht. Der Teilnehmer schließt sich der Gruppe an, die durch einen Gruppenführer vor Gericht vertreten wird. Den Gruppenführer kann man nach Ihrem Gesetzentwurf höchstens ablösen bzw. auswechseln. Das verhindert jedoch nicht, dass der Einzelne vor Gericht nicht mehr angehört wird. Auch wenn es sich um eine Bündelung von gleichgelagerten Fällen handelt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Einzelne zu dem Sachverhalt etwas beizutragen hat. Je größer die Gruppe, desto geringer der Einfluss des Einzelnen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser als gar kein Einfluss!)
Ein weiterer Punkt ist die hohe Missbrauchsanfälligkeit von Sammelklagen. Ich will durchaus einräumen, dass Sie versucht haben, die diesbezüglichen Gefahren einzudämmen. Gelungen ist es Ihnen in Ihrem Gesetzentwurf nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass dem Instrument der Sammelklage die Gefahr des Missbrauchs geradezu immanent ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Viele Rechtsanwälte verfolgen in ihrer Arbeit – das ist auch richtig so – ein eigenes wirtschaftliches Interesse. Mit jedem Rechtsstreit soll und muss Geld verdient werden. Ein redlich arbeitender Anwalt hat darüber hinaus die Verpflichtung, seinem Mandanten zu helfen und das Bestmögliche für ihn herauszuholen. Bei einer Sammelklage mit möglichst vielen Teilnehmern kann auch nach Ihrem Gesetzentwurf ein Anwalt deutlich mehr verdienen, als wenn er nur eine Einzelperson aus dieser Gruppe vertritt. In der Begründung zur Kostenfrage führen Sie explizit auf:
Wenn Sie das so formulieren, dann ist das doch förmlich Anstiftung zum Rechtsstreit, nicht mehr und nicht weniger. Das kann nicht in unserem Interesse liegen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?
Gerne.
Bitte.
Könnten Sie mir mit Blick auf die anwaltliche Gebührenordnung erklären, was günstiger ist: 20 Mandanten mit einer kleinen Summe zu vertreten, bei denen die Anzahl der Anwaltsgebühren auf vier begrenzt ist, oder 20 Mandanten einzeln zu vertreten und jeweils ein, zwei Gebühren zu erheben? Sie machen gerade eine Milchmädchenrechnung auf, glaube ich.
(Caren Lay [DIE LINKE]: Milchjungenrechnung!)
– Richtig, Milchjungenrechnung. Danke, Caren Lay.
Sie tun so, als würden wir mit unserer Formulierung zum Rechtsstreit animieren. Tatsächlich ist es doch viel schlimmer, wenn 20, 30 oder 100 Menschen einzeln vertreten werden müssen. Als Anwalt braucht man sich dann in die Sache nicht immer wieder materiell einzuarbeiten, kann aber jedes Mal eine Gebühr einschließlich Mehrwertsteuer, die man natürlich abführt, erheben.
Frau Kollegin, es ist ganz einfach. Sie animieren, möglichst viele Menschen in Sammelklagen einzubeziehen; denn nur dann kann ein Anwalt mit einer Sammelklage Geld verdienen. Das ist aber falsch. Das ist ein Anreiz zum Rechtsstreit, nicht mehr und nicht weniger.
Insgesamt sehen wir in diesem Punkt die große Gefahr, dass die Sammelklage rechtsmissbräuchlich beworben wird und dass sich ein Rechtsdienstleistungsmarkt entwickelt wie in den USA. Das ist kein Geheimnis: Wer sich in den USA auskennt, dem ist die große Anzahl an Sammelklagen sowie Anwälten und Großkanzleien, die sich eine goldene Nase verdienen, bekannt. Sie werden mit Ihrem Gesetz insbesondere den deutschen Großkanzleien einen großen Gefallen tun. Das ist aber nicht unser Ansatz. Wir wollen nicht – das habe ich eben ausgeführt –, dass die Betroffenen in einen Rechtsstreit hineingeredet werden. Vielmehr wollen wir den möglichst besten Rechtsschutz für jedermann. Das sollte der Anspruch für alle hier im Saal sein.
Ein weiterer Punkt ist evident wichtig. Nicht selten ist in der Geschäftsbeziehung zwischen Anwalt und Mandanten das persönliche Verhältnis prägend für die Zusammenarbeit. Ein Anwalt muss jeden Mandanten bestmöglich vertreten. Das verlangen bei uns bereits die Standesregeln. Bei großen Sammelklagen ist das nicht mehr möglich. Der einzelne Mandant ist bloß noch eine Nummer.
Die Sammelklagepraxis in den USA hat uns allerdings noch mehr Schwachstellen aufgezeigt. Dort ist es üblich, dass neben dem Klageverfahren ein exorbitanter, zusätzlicher medialer Druck auf die Beklagten aufgebaut wird, der dazu führt, dass die Beklagten förmlich genötigt werden, sich noch vor einer Urteilsverkündung mit der Gruppe zu vergleichen. In den USA geht man davon aus, dass weit mehr als 90 Prozent der Sammelklagen in einem Vergleich enden, noch bevor ein Urteil durch das Gericht gefällt werden kann. Auch hier wäre das mehr als wahrscheinlich.
(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Frau Künast, der öffentliche Druck ist das entscheidende Problem.
Oftmals handelt es sich bei dem Streitgegenstand von Sammelklagen – da sind wir uns sicherlich einig – um für viele Betroffene essenzielle Rechtsfragen, die ein großes Medienecho nach sich ziehen. Wir brauchen die freie und kritische Berichterstattung; dennoch darf dieser öffentliche Druck nie dazu führen, Einfluss auf die freie Rechtsprechung in unserem Land zu nehmen. Gerade für unsere Unternehmen, die im Regelfall die Betroffenen von Sammelklagen sein werden, würde ein Auswuchs an solchen Sammelklagen eine erhebliche unangemessene Belastung darstellen.
Für die Wahrung des öffentlichen Interesses im Einzelfall haben sowohl Aufsichtsbehörden als auch Verbraucherschutzverbände bereits jetzt die Möglichkeit, vorbeugenden Rechtsschutz für die Betroffenen in Anspruch zu nehmen. Amerikanische Verhältnisse wollen wir jedenfalls hier in Deutschland nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn Sie die Verbraucherschutzverbände zitieren, dann möchte ich auf den Deutschen Richterbund hinweisen – die Richter hätten als Praktiker mit diesem Gesetz umzugehen –, der empfiehlt, von einer solchen Regelung Abstand zu nehmen. Es ist deswegen mehr als sinnvoll, dass wir alle gemeinsam das Ergebnis der angekündigten Prüfung der Bundesregierung abwarten – Sie konnten es nicht abwarten; wir können es –, ob über die bereits bestehenden Möglichkeiten für Muster- und Sammelklagen hinaus gesetzgeberische Schritte weiter notwendig sind, und dass wir keine Schnellschüsse verabschieden. Aus den vorgenannten Gründen können wir diesem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Caren Lay, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3913986 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 55 |
Tagesordnungspunkt | Einführung von Gruppenverfahren |