Dirk WieseSPD - Einführung von Gruppenverfahren
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen ist insoweit zuzustimmen, als Verbraucher, die in großer Zahl zum Beispiel unlauteren Geschäftspraktiken, unzulässigen allgemeinen Geschäftsbedingungen oder kartellbedingt überhöhten Preisen zum Opfer gefallen sind, in der Lage sein müssen, ihre Rechte vor Gericht wirksam durchzusetzen. Das steht für uns Sozialdemokraten außer Frage.
Klar ist dabei auch, dass die Möglichkeit, eine angemessene Kompensation für erlittene Schäden zu erstreiten, verfahrensmäßig so ausgestaltet sein muss, dass keine abschreckenden wirtschaftlichen oder bürokratischen Hürden bestehen.
Ob wir hierzu den vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen brauchen, wage ich momentan jedoch zu bezweifeln. Denn hier bleibt aus meiner Sicht zunächst einmal festzustellen, dass die ZPO bereits grundlegende Instrumente bietet, die eine gebündelte Behandlung gleichgelagerter – gegebenenfalls auch geringer – Ansprüche ermöglichen, nämlich die subjektive und objektive Klagehäufung.
Auf dieser Grundlage wurden gerade in der jüngeren Vergangenheit erfolgreiche Sammelklagen unter anderem gegen Banken, Energieversorger und Versicherungsunternehmen – teilweise unter Einbeziehung von Prozessfinanzierern – geführt. So besteht insbesondere die Möglichkeit, Forderungen unbürokratisch an eine qualifizierte Einrichtung abzutreten, die diese sammelt und im Wege der objektiven Klagehäufung durch eine einzige Klage vor Gericht geltend macht.
Bei der Einziehungsabtretung benötigt der Verbraucher im Übrigen keinen Rechtsanwalt. Das ist im Gegensatz zu dem von Ihnen vorgeschlagenen Gruppenverfahren ein entscheidender Vorteil. Für den Verbraucher besteht folglich ein erheblich geringeres Kostenrisiko, was die Einziehungsabtretung aus meiner Sicht wesentlich verbraucherfreundlicher macht. Darüber hinaus ist das hier vorliegende System des Gruppenverfahrens aus meiner Sicht erheblich komplizierter.
Anmerken möchte ich außerdem, dass über die objektive und subjektive Klagehäufung hinaus bereits Kollektivklagemöglichkeiten für Verbände nach dem Unterlassungsklagengesetz und nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bestehen, die in der Praxis ebenfalls – so ist mein Kenntnisstand – mit Erfolg genutzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zweifele auf den ersten Blick auch daran, dass der vorliegende Gesetzentwurf überhaupt sein Kernziel erreichen kann, nämlich eine große Bündelungswirkung zu erzielen. Durch die Freiwilligkeit der Teilnahme und des Verbleibs im von den Grünen vorgeschlagenen Gruppenverfahren sowie durch die Möglichkeit, andere Rechtsschutzmöglichkeiten zu nutzen, wird die beabsichtigte Bündelungswirkung in der Praxis aus meiner Sicht sogar sehr gering sein, zumal bei größeren anonymen Gruppen von Geschädigten die Betroffenen oft unterschiedlichste Wege gehen werden und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen unterschiedlicher Gerichte trotz paralleler Lebenssachverhalte somit bestehen bleibt.
Die Vorteile des heute schon bestehenden Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, das insbesondere eine wirksame Bündelung und Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen bei gleichgelagerten kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten gewährleistet, werden durch dessen Aufhebung aus meiner Sicht zunichtegemacht.
Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass aus meiner Sicht gerade solch komplexe Verfahrensstrukturen, wie sie im uns vorliegenden Gesetzentwurf zu finden sind, zusätzliches Streitpotenzial ermöglichen, das prozesstaktisch mit dem Ziel der Verzögerung bzw. der Zermürbung ausgeschöpft werden wird. Im vorliegenden Gesetzentwurf kann also von einer Vereinfachung gegenüber bestehenden und von mir aufgezeigten Instrumenten keine Rede sein.
(Beifall bei der SPD)
Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, bei den Zuhörern auf der Tribüne das Vorurteil zu widerlegen, dass Jura trocken ist.
(Heiterkeit – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ein Schuss nach hinten!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie merken, ich stehe dem Gesetzentwurf der Grünen skeptisch gegenüber. Gleichwohl freue ich mich – Frau Künast, Sie können an dieser Stelle auch einmal zuhören –, dass uns die Ausschussberatung die Gelegenheit gibt, dass wir uns noch einmal mit der Materie der Klagehäufung bzw. -bündelung befassen. Dort können wir gemeinsam diskutieren, ob bewährte Instrumente der ZPO alternativ punktuell so fortentwickelt werden können, dass sie dem Verbraucher nutzen und beispielsweise die individuelle Rechtsdurchsetzung auch bei Streuschäden erleichtern. Für denkbar halte ich beispielsweise die Schaffung eines wirksamen Gewinnabschöpfungsanspruchs im Bereich des Unterlassungsklagengesetzes, die Schaffung von strengeren Voraussetzungen für die Prozesstrennung oder die Einführung eines allgemeinen Klageregisters für den kollektiven Rechtsschutz in Verbindung mit einer Verjährungshemmung bei Anmeldung sowie die Regelung einer Musterfeststellungsklage.
Ich freue mich jedenfalls auf die Ausschussberatung. Wie gesagt, ich stehe dem Gesetzentwurf jedoch skeptisch gegenüber.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3914090 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 55 |
Tagesordnungspunkt | Einführung von Gruppenverfahren |