26.09.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 55 / Tagesordnungspunkt 21

Volker UllrichCDU/CSU - Einführung von Gruppenverfahren

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ist zu sagen: Die Idee der Verbesserung von Verbraucherrechten ist an und für sich richtig. Der Gesetzentwurf macht sich eine Empfehlung der Europäischen Kommission zu eigen. Aber es gilt auch zu formulieren: Grundlegende Reformen der Zivilprozessordnung sind Operationen am offenen Herzen unserer Rechtsordnung mit Auswirkungen auf das Funktionieren unseres Rechtssystems. Sie sollten nur dann vorgenommen werden, wenn dadurch eine erhebliche Verbesserung eintreten kann.

(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Mit diesem Gesetzentwurf tritt sie nicht ein.

(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, der Satz war falsch!)

Dieser Gesetzentwurf wirft viele Fragen auf. Er beantwortet fast keine. Ja, ich will sagen: Er ist zwar gut gemeint, aber nicht konsequent in der Umsetzung; er ist handwerklich schlecht.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch besser!)

Sie wollen dem Problem des mangelnden Zugangs zum Recht bei – auch kleineren – massenhaft auftretenden Individualschäden bei Verbrauchern und dem daraus folgenden Defizit bei der Durchsetzung des Rechts entgegentreten. Dazu wollen Sie einen Paradigmenwechsel im Bereich der Zivilprozessordnung vornehmen. Sie wollten weit springen und sind schon nach kurzer Strecke gelandet.

Zum einen haben wir schon jetzt taugliche Instrumente kollektiver Rechtsdurchsetzung. Zum anderen gilt: Gerade bei kleineren Schäden im Bereich der Versorgung, der Telekommunikation, aber auch bei Reisen im Nahverkehr ist der beste Prozess der, den man nicht führt. Deswegen ist hier viel stärker die Frage einer verbraucherrechtlichen Prävention in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist besser, als über komplizierte Gruppenverfahren die Verbraucher auf den Rechtsweg zu verweisen, den sie nicht brauchten, wenn man das Recht, das wir schon jetzt haben, konsequent anwenden würde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt darf ich Ihnen ehrlich sagen: Diesen Gesetzentwurf könnte man nicht guten Gewissens verabschieden, wenn man es mit dem Verbraucherschutz wirklich ernst meinte. Das Ganze beginnt mit der in Artikel 1 § 606 Ihres Gesetzentwurfs verankerten Zulässigkeit, wo nichtgeregelt ist, wie groß eine Gruppe zu sein hat, welche Verfahren infrage kommen und um welche tatsächlichen Ansprüche es sich handelt. Was dort steht, ist viel zu vage und unbestimmt, um auf die ZPO überhaupt Einfluss gewinnen zu können.

Ein weiterer sehr verbraucherschädlicher Bereich ist die in Artikel 1 § 608 – Örtliche Zuständigkeit – Ihres Gesetzentwurfs geregelte Gerichtszuständigkeit. Sie schreiben, dass das Gruppenverfahren bei dem Gericht anhängig gemacht werden muss, bei dem der Beklagte seinen Gerichtsstand hat. Das heißt nichts anderes, als dass der Verbraucher aus Garmisch, aus Augsburg oder aus Stuttgart beispielsweise in Berlin, in Hamburg oder in Düsseldorf klagen muss. Diese Regelung ist völlig anders als die, die wir jetzt haben, wonach für den Verbraucher der Gerichtsstand seines Wohnsitzes gilt. Sie verschlechtern so die Rechte der Verbraucher.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Völlig absurd ist Artikel 1 § 614 – Bekanntmachung im Klageregister; Verordnungsermächtigung – Ihres Gesetzentwurfs. Wenn man auf Grundlage Ihres Gesetzentwurfs eine Gruppenklage führen würde, dann müsste diese Klage umständlich in ein Register eingetragen werden. Dieses Register müsste öffentlich gemacht werden. Ich frage mich, wo da der Datenschutz bliebe. Aber nicht nur die öffentliche Eintragung ist in Zweifel zu ziehen, sondern auch, dass das Verfahren nach der Eintragung erst einmal aussetzen würde; denn das Gericht müsste mindestens drei Monate abwarten, um festzustellen, ob sich andere Bürgerinnen und Bürger an dem Verfahren beteiligen wollten. Ich persönlich meine: Rechtsschutz muss schnell und effektiv sein.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen gibt es ja gar keinen Rechtsschutz, weil keiner klagt!)

Durch monatelanges Wartenlassen schicken Sie den Verbraucher in die Warteschlange. Das ist doch nicht verbraucherfreundlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Verbraucher muss zur Not selbst die Möglichkeit haben, zu klagen, ohne die Hemmschwelle in Form einer Anwaltskanzlei vor sich zu haben. In Artikel 1 § 615 Ihres Gesetzentwurfs ist ein Anwaltszwang vorgesehen. Für den Verbraucher fällt somit die Erstberatungsgebühr an. Bei Klageerhebung kommt eine Verfahrensgebühr von 1,3 hinzu. Würde Ihr Gesetzentwurf verabschiedet, bedeutete dies für die Verbraucherinnen und Verbraucher, dass Klagen teurer und die Rechtsdurchsetzung wesentlich schwieriger würde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer jetzt glaubt, das sei schon alles an handwerklichen Mängeln, der muss sich einmal Artikel 1 § 619 Absatz 2 dieses Gesetzentwurfs ansehen. Dort schreiben Sie allen Ernstes – ich zitiere –:

Wissen Sie, was das in der Konsequenz bedeutet? Es bedeutet, dass derjenige, der die Klage führt, machen kann, was er will, und wenn er schlecht verhandelt, ist man gebunden und man hat keine Chance, da herauszukommen. Wollen Sie das? Wollen Sie die persönliche Verantwortung des Anwalts aufheben?

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie doch mal, was Sie wollen!)

Ich meine, nein. Ich meine, es gibt durch das anwaltschaftliche Berufsrecht eine Verantwortung des Anwalts gegenüber dem Verbraucher.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie, wie es besser geht! Sie sind die Neinsagerpartei! Sagen Sie, wie es gehen soll!)

– Liebe Frau Kollegin Künast, wir sind keine Neinsagerpartei, sondern wir wollen die Bürger dieses Landes vor schlechten Gesetzen bewahren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch mal ein ordentliches Gesetz!)

Wenn wir dieses Gesetz beschließen würden, würden wir die 130 Jahre alte und ehrwürdige ZPO beschädigen. Das wollen wir weder den Rechtsanwendern noch den Verbrauchern zumuten.

Auch die Kostenfrage ist in Artikel 1 § 629 Ihres Gesetzentwurfs völlig unzureichend geklärt. Zur Frage einer ordentlichen Rechtsdurchsetzung gehört aus meiner Sicht auch der Rechtsweg. Sie verweisen diesbezüglich in Artikel 1 § 630 nur auf die allgemeinen Vorschriften. Das heißt letztendlich: erst Gruppenklage, und dann weiß niemand, wie es weitergeht.

Es handelt sich also im Ergebnis um einen völlig unbrauchbaren Gesetzentwurf, der es eigentlich nicht würdig ist, diskutiert zu werden. Nichtsdestotrotz werden wir weiter daran arbeiten, die Rechte der Verbraucher zu stärken,

(Caren Lay [DIE LINKE]: Da bin ich mal gespannt!)

und auch darauf dringen, dass in den Ländern – da trägt Rot-Grün eine starke Verantwortung – durch die Besetzung von Richterstellen und die daraus resultierende Verkürzung der Verfahrensdauer die Rechtsdurchsetzung erleichtert wird.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es gar nicht! Bei Ihnen kommen die Leute gar nicht zum Gericht!)

Das ist, meine ich, ein viel wesentlicherer Punkt, den man angehen sollte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3914173
Wahlperiode 18
Sitzung 55
Tagesordnungspunkt Einführung von Gruppenverfahren
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