Ursula von der LeyenCDU/CSU - Aktuelle Stunde zum Rüstungsbericht und Beschaffungswesen der Bundeswehr
Vielen Dank für die Glückwünsche zum Geburtstag, Herr Gehrcke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1 500 Seiten Gutachten zum Thema Rüstungsbeschaffung liegen jetzt vor. Es ist eine schonungslose Analyse – wir haben in den vergangenen Tagen viel darüber geredet –, aber sie war nötig. Das Gutachten kommt mitten in einer – nicht nur durch die äußeren Umstände – schwierigen Zeit. Die Krisen dieser Welt sind hochkomplex, sie nehmen zu, und wir stehen gemeinsam mit unseren Partnern und Verbündeten vor gewaltigen Herausforderungen. Deutschland ist gefordert, und Deutschland übernimmt auf diesen und vielen anderen Feldern seine Verantwortung.
Zugleich haben wir ohne Zweifel mit Problemen im Inneren zu kämpfen. Wir sehen einen Stau in der Rüstungsbeschaffung. Das, was bestellt worden ist, kommt Jahre zu spät und weit überteuert. Deshalb haben wir die Verpflichtung, mit dem Material, das wir haben, das bewährt, aber betagt ist, viel länger zu arbeiten. Das hat zur Folge, dass es bei Wartung, Instandhaltung und Ersatzteilbeschaffung knirscht. Auch haben wir in den letzten zwei Wochen eine Serie von Pannen bei den Luftfahrzeugen erlebt, die uns das Leben schwer machen.
All das ist nicht neu, aber es ist im Augenblick hart, weil die Probleme geballt auf dem Tisch liegen, transparent und ungeschminkt, aber das war auch der Sinn des Gutachtens. Vieles, was wir jetzt sehen, gefällt uns gar nicht, aber es kann und darf uns nicht dazu verführen, jetzt beiseitezuschauen, sondern wir müssen nach vorne schauen und die Probleme anpacken.
Ist deswegen in der Bundeswehr alles schlecht? Überhaupt nicht! Die Bundeswehr ist auf einem Niveau der Leistung, um das uns die allermeisten Länder dieser Welt beneiden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dass das so ist, beweisen über 3 000 Soldatinnen und Soldaten jeden Tag weltweit im Auslandseinsatz, und es beweisen über 270 000 Soldatinnen und Soldaten und Zivilbeschäftigte jeden Tag hier in Deutschland. Ihnen gebührt unser Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch wenn die Probleme jetzt deutlich und transparent auf dem Tisch liegen, sollten wir uns nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass es beim Materialerhalt und bei der Rüstungsbeschaffung knirscht. Sollten wir deshalb unsere Aktivitäten zurückfahren und einstellen? Auch da ist meine Antwort: keineswegs. Ein Krankenhaus, das mit seinen Röntgengeräten Probleme hat, wird deswegen nicht die Intensivstation oder die Chirurgie schließen, sondern es wird die Röntgengeräte reparieren oder ersetzen. Genau diese Palette an Aufgaben stellt sich nun auch uns.
Erstens. Ja, wir haben akute Probleme bei Hubschraubern und Flugzeugen, aber die sind auch erklärbar. Deshalb haben wir kurzfristig zwei Task Forces geschaffen, eine für die Hubschrauber, eine für die Flugzeuge, in denen wir ganz konkret fragen, was bei den einzelnen Luftfahrzeugen falsch läuft, worin das Problem liegt und wo wir helfen können. Die Inspekteure, die zuständig sind, sind dem Lenkungsausschuss zugeordnet, in dem die beiden beamteten Staatssekretäre und der Generalinspekteur vertreten sind, um diesen Problemen kurzfristig konkret an den Leib zu gehen. Wo es sinnvoll und notwendig ist, werden wir für Ersatzflugzeuge sorgen.
Zweitens. Ich habe eben angesprochen, dass wir das bewährte, aber betagte Material weiterhin fliegen und fahren, aber auch zur See haben. Das bedeutet für uns, dass der Materialerhalt intensiviert werden muss. An dieser Stelle will ich sagen, dass wir in den vergangenen Jahren zu Recht einen ganz starken Fokus auf den Einsatz gelegt haben. Das war richtig so. Es ist uns gelungen, dass die Bundeswehr bei ihren Einsätzen mit hochmodernem Material und Schutz alles das leisten kann, was wir als Parlament ihr auftragen. Die Konzentration auf die Einsätze hat aber auch dazu geführt, dass im Grundbetrieb nicht genügend hingeschaut worden ist. Das wird jetzt umso deutlicher sichtbar, wo Landes- und Bündnisverteidigung wieder eine wesentlich stärkere Bedeutung erlangen. Also müssen wir sagen: Bei Instandhaltung und Wartung müssen wir die Prozesse intensivieren und mehr Geld in die Hand nehmen, um dort voranzukommen.
Drittens. Wir brauchen ein engeres, ein transparenteres, ein viel effizienteres Management der Rüstungsprojekte. Wir haben in den vergangenen Tagen ausführlich, stundenlang darüber diskutiert. Das beginnt beim Vertragsmanagement, geht über die Risikobewertung bis hin zum Projektmanagement. Ein Beispiel: Projektleiter wissen ungeheuer viel, sehen viel, bemerken als erste, wenn etwas nicht rund läuft, aber sie dürfen nicht an der unendlich langen Meldekette verzweifeln, sondern sie müssen sofort einen Zugang zu der Leitung haben, um die Probleme dort frühzeitig zu melden, damit die Probleme erkannt und frühzeitig abgestellt werden. Das spart Zeit und Geld. Diesen Weg werden wir jetzt einschlagen.
Es geht uns insgesamt darum, stärker eine Kultur zu entwickeln, die viel mehr an den Lösungsvorschlägen als an der Problembeschreibung interessiert ist. Die Problembeschreibung ist am Anfang notwendig, aber dann müssen die Lösungsvorschläge aus derselben Hand, aus derselben Richtung kommen. Das heißt, wir müssen auch eine neue Fehlerkultur entwickeln, eine Fehlerkultur, in der es in Ordnung ist, zu sagen: „Da ist ein Risiko“, „Wir haben hier einen Fehler gemacht“, frühzeitig, um dann auch gegensteuern zu können. Das ist bisher keine Selbstverständlichkeit. Das ist eine Neuerung, nicht nur für unser Haus und in der Leitung unseres Hauses, sondern auch für uns als Parlament. Die Frage wird sein: Wie gehen wir in Zukunft mit Fehlern und Problemen, die auftauchen werden – ganz ohne Zweifel –, um? Sanktionieren wir sofort? Machen wir sofort Aktionismus? Dann werden wir zurückfallen in eine Haltung, dass Fehler möglichst vertuscht werden, dass Risiken möglichst nicht frühzeitig angezeigt werden – in der Hoffnung, dass sie von selber vergehen. Ich bin der Meinung, dass wir gemeinsam in der Verantwortung für unsere Parlamentsarmee viel stärker in diese neue Form der Fehlerkultur hineingehen sollten, weil sie transparenter ist und zum Schluss zu besseren Ergebnissen führt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, das Gutachten zeigt auch, dass viel politisch beeinflusst worden ist. Das ist per se weder falsch noch richtig – das will ich gleich sagen: Wir machen hier Politik, also ist politischer Einfluss normal –; doch das muss Grenzen haben, wenn die Ziele willkürlich gesetzt werden. Deshalb möchte ich noch einmal zitieren, was unser Koalitionsvertrag sagt:
Damit sind wir beim Thema „Priorisierung und Schlüsseltechnologien“. Wir haben uns diese Frage im Verteidigungsministerium aus Sicht des Bedarfes der Truppe gestellt, vorweg. Die Frage ist: In welchen Bereichen wollen, ja müssen wir national beschaffen, um unseren militärischen Bedarf souverän zu sichern? Dahinter steht der Gedanke der Unabhängigkeit.
Zweitens. Wir brauchen Akzeptanz dafür, dass die Ressourcen begrenzt sind. Das heißt, wir müssen priorisieren. Wenn wir alles zur Schlüsseltechnologie erklären, können wir nicht mehr priorisieren; dann sinkt das Niveau überall.
Drittens. Wir brauchen – das betone ich ausdrücklich – einen ressortübergreifenden Konsens. Wir haben jetzt begonnen, aus dem Verteidigungsministerium heraus diese Diskussion zu führen, in den Domänen und Dimensionen, die wir haben. Wirklich nationale Schlüsseltechnologien können nur einige wenige sein. Eindeutig ist das für uns zum Beispiel bei Führung und Aufklärung; hier kommt es buchstäblich auf den Schlüssel an, mit dem wir unsere Souveränität dann auch verteidigen können: Wenn andere unsere Verschlüsselung knacken können, sind wir nicht mehr unabhängig; wir sollten Verschlüsselung also national beherrschen. Und es geht um die Technologien in Führung und in Aufklärung, die im 21. Jahrhundert einen ganz großen Bedeutungszuwachs erfahren werden.
Im Bereich der Wirkung sind die Dinge nicht so eineindeutig. Panzer, U-Boote, Handfeuerwaffen: hier muss die Bundesregierung eine gemeinsame Antwort finden. Das sind die sogenannten grauen Bereiche. Wohlgemerkt: Grau kann auch grün werden; aber wir brauchen die Diskussion darüber. Hier geht es eben nicht nur um die militärische Souveränität, sondern es geht auch um Sicherheitspolitik. Das heißt, die zentrale Frage, aus der Sicht der Bundesregierung, ist: Wollen wir unsere starke Position – die deutschen Produkte sind in einigen dieser Technologien bereits Weltspitze – nutzen für unseren sicherheitspolitischen Einfluss in der Welt? Wenn das mit Ja beantwortet wird, dann ist klar: Der Bedarf der Bundeswehr reicht nicht aus für eine gesunde Industrie, sondern hier ist auch die Frage nach dem Export zu stellen.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer beantwortet die?)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, dem Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3962231 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 56 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zum Rüstungsbericht und Beschaffungswesen der Bundeswehr |