Sven-Christian KindlerDIE GRÜNEN - Irland: Vorzeitige Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über die Staatsschulden in Irland reden, dürfen wir nicht vergessen, was die Ursachen dafür sind. Jahrelang galt Irland bei den Konservativen und Neoliberalen, auch hier bei Union und FDP im Bundestag, als das Musterland Europas. Irland hatte eine sehr geringe Staatsverschuldung. Die Unternehmensteuern waren viel zu niedrig. In der Krise aber mussten wir lernen, dass es nicht nur um die Staatsverschuldung geht, sondern dass man sich auch die Gesamtverschuldung des Staates ansehen muss. Irland hatte ein großes Leistungsbilanzdefizit. Es gab hohe Schulden im privaten Sektor und viel zu hohe Schulden in einem überdimensionierten Bankensektor.
Diese Überschuldung führte in der Krise zu einer starken Belastung des Staatshaushaltes und zu extremen Problemen bei der Refinanzierung. Es musste dann ein Hilfspaket mit einem Umfang von 85 Milliarden Euro geschnürt werden. Die Bankschulden wurden nachher Staatsschulden. Wir Grünen sagen für die Zukunft klar: Mit einer Bankenrettung über die Staatshaushalte bzw. die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler muss endlich Schluss sein in Europa!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen haben wir von Anfang an einen europäischen Abwicklungsmechanismus bzw. einen europäischen Restrukturierungsmechanismus für Banken gefordert und unterstützt. Die Bundesregierung hat das lange blockiert und ausgebremst. Lange hat sie auf die nationale Karte gesetzt. Wir haben von Anfang an die Bankenunion mit einer harten Gläubigerbeteiligung unterstützt. Es war sehr gut, dass sich das Europäische Parlament am Ende nach harten Verhandlungen – auch gegen den Europäischen Rat und Herrn Schäuble – durchgesetzt hat und dass es eine Bankenunion mit einer harten Gläubigerbeteiligung und der bekannten Abwicklung gab. Das war sehr gut und sehr notwendig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Gläubigerbeteiligung wäre aus unserer Sicht aber auch schon 2010 möglich und notwendig gewesen. Irland hatte auch vorgeschlagen, dass es eine umfassende Gläubigerbeteiligung geben sollte. Die Troika, die Bundesregierung und andere nationale Regierungen in Europa haben das nicht gewollt. Sie haben die Gläubiger geschont. Genau das war ein zentrales Problem, weil das Hilfsprogramm dadurch erst in diesem konkreten Ausmaß notwendig wurde. Mittlerweile ist ein Viertel der irischen Staatsschulden auf die Rettungsmaßnahmen im Bankensektor zurückzuführen. Darunter leidet Irland noch heute.
Es muss auch noch einmal festgestellt werden, dass die Bundesregierung dafür nicht die alleinige Verantwortung, aber eine Mitverantwortung trägt. Das war damals, 2010, ein schwerer Fehler auch der Bundesregierung.
Wir werden daher heute nicht wegen der Politik der Bundesregierung, sondern trotz der Politik der Bundesregierung und trotz ihres Agierens der Rückzahlung der IWF-Kredite und der Umschuldung für Irland zustimmen; denn wir sagen: Das macht haushalterisch Sinn, das macht ökonomisch Sinn, und das ist im Interesse aller Beteiligten, auch im Interesse der europäischen Gläubiger.
Ich teile die Meinung des Kollegen Kahrs: Es kann nicht sein, dass weiterhin in Europa Steuerdumping betrieben wird und Unternehmensteuern in Irland gesenkt werden. Wir glauben, dass es sinnvoll wäre, jetzt auch in Irland wichtige Investitionen anzustoßen, um die wirtschaftliche Erholung voranzutreiben. Ich denke an Investitionen in Bildung, Klimaschutz und in den sozial-ökologischen Umbau. Klar ist auch: Wir brauchen in Europa insgesamt mehr Zukunftsinvestitionen. Wir brauchen jetzt eine sozial-ökologische Investitionsstrategie für Europa. Die ist dringend notwendig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich finde, man muss das Bild von Irland differenziert betrachten. Man darf es nicht schwarzmalen, man darf es aber auch nicht rosarotmalen, wie es der Herr Kollege Staatssekretär gemacht hat. Es gab in den letzten Jahren Verbesserungen. Irland ist wieder am Kapitalmarkt, die Staatsverschuldung soll 2014 leicht auf 120 Prozent des BIP sinken, die Arbeitslosigkeit liegt nicht mehr bei 14 Prozent, sondern bei 11 Prozent, und die Exporte haben zugenommen. Das ist richtig, und wir Grüne erkennen die Verbesserungen an. Wir sehen ganz klar, dass es große Anstrengungen in Irland gab.
Aber man muss sich schon die Frage stellen, was in Irland wirklich los ist. Man muss sich ehrlich machen, und man darf sich keinen Illusionen hingeben. Die Jugendarbeitslosigkeit zum Beispiel liegt immer noch bei 25 Prozent. Jeder zweite junge Mensch zwischen 18 und 24 Jahren denkt darüber nach, auszuwandern, also das Land zu verlassen. Das sind wichtige Arbeitskräfte, die in Irland nicht bleiben, weil sie keine Perspektive sehen.
Heute verhandeln die Staats- und Regierungschefs und die Arbeitsministerinnen und Arbeitsminister in Mailand über den Arbeitsmarkt. Ich meine: Dabei darf es nicht nur um wichtige und notwendige Strukturreformen gehen und darum, dass die Gelder der Jugendgarantie ausgegeben werden, sondern es muss perspektivisch auch darum gehen, dass die EU und die Mitgliedsländer in ihren Haushalten mehr Geld für den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit bereitstellen. Wir müssen alles tun, damit wir keine verlorene Generation in Europa haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Staatsverschuldung Irlands liegt immer noch bei 120 Prozent des BIP. Wie gesagt, man muss sich die Gesamtschuldenlast anschauen, also auch die Schulden der privaten Haushalte und des Bankensektors. Die Gesamtverschuldung lag schon 2007 bei 270 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Mittlerweile liegt sie bei 490 Prozent. Das ist trauriger Rekord weltweit. Das ist fünfmal so viel, wie die Wirtschaftsleistung beträgt. Das ist keine nachhaltige Schuldentragfähigkeit, das kann man nicht rosarotmalen. Das heißt, wir werden uns in Europa und im Bundestag weiter mit dem Problem der Überschuldung im privaten Sektor, bei Unternehmen und den öffentlichen Haushalten beschäftigen. Wir müssen jetzt klar die schwierige Lage sehen und zu weiteren Verbesserungen in Irland und Europa kommen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3962389 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 56 |
Tagesordnungspunkt | Irland: Vorzeitige Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe |