Mark HauptmannCDU/CSU - Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Zum 25. Mal jährt sich der Fall der Mauer. Wir diskutieren den Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 heute zwischen zwei historischen Terminen. Gestern, am 9. Oktober, vor 25 Jahren haben sich mutige Menschen in Leipzig ein Herz gefasst und mit Kerzen und Gebeten gegen eine Diktatur gekämpft. In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurden die Grenzübergänge zwischen Ost- und Westberlin geöffnet. Die Bilder von jubelnden Menschen am Brandenburger Tor gingen in jener Nacht um die Welt. Das Brandenburger Tor ist bis heute ein bedeutendes Symbol. Es wurde von einem Symbol der Teilung zu einem Symbol des Zusammenwachsens, und noch immer trägt dieses Symbol überall in der Welt.
Nicht alle sind jedoch im Zeitalter des Zusammenwachsens angekommen. Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall wird der Versuch der Geschichtsverklärung unternommen. Historiker, Politiker, Wissenschaftler, alle sind sich in einem Punkt der Analyse einig: Ein Staat, in dem keine freien Wahlen stattfinden konnten, ein Staat, der die eigenen Bürger eingesperrt und diese bei der Suche nach Freiheit an der Mauer kaltblütig erschossen hat, ein Staat, der Kinder aus den Familien herausgerissen und in Kinderheime gesteckt hat, ein Staat, der politische Häftlinge gefoltert und eingesperrt hat, ein Staat, der alle Parteien gleichgeschaltet und seine Macht auf die Exekutive, Judikative und Legislative ausgedehnt hat, solch ein Staat war, ist und bleibt ein Unrechtsstaat.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Damen und Herren, vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Äußerungen, die wir von den Linken gehört haben, geradezu Hohn und Spott und ein zynischer und billiger Versuch der Geschichtsumdeutung.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja!)
Die Linke hat 2009 vor einem Gericht anerkannt, Rechtsnachfolgerin der SED zu sein, und trägt in vollem Umfang bis heute die Verantwortung für das Unrecht.
(Beifall der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU] – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Mussten wir nicht anerkennen!)
– Erstens. Wer schreit, hat unrecht. Bleiben Sie ruhig, Herr Bartsch!
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ich bin ruhig!)
Zweitens. Sie tragen als Partei die Verantwortung für dieses Unrecht. Sie sind die Kinder der PDS, die Enkel der SED und damit der Unrechtsstaatspartei der DDR.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Kind der Blockpartei CDU!)
Aus dieser Verantwortung entlassen wir Sie nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)
Weil wir gerade in meiner Thüringer Heimat eine Wahl erlebt haben, nach der es vielfältige Gespräche gibt, ist mein Appell an die Kollegen von den Grünen und von der SPD: Denken Sie an die Symbolik Ihres Handelns!
(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)
25 Jahre nach der friedlichen Revolution mit den Stasis von gestern über Staatssekretärsposten von morgen zu verhandeln, ist ein Schlag ins Gesicht der Opferverbände und der Bürgerrechtler in diesem Land.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Opposition! Geht in die Opposition!)
Der Jahrestag des Mauerfalls erinnert uns aber nicht nur an die Sehnsucht der Menschen nach politischer Gestaltungsfreiheit,
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Noch billiger geht es nicht!)
sondern auch an die einzigartige Aufbau- und Anpassungsleistung. Herr Bartsch hat eben das Glas als halbleer bezeichnet.
Herr Kollege Hauptmann, würden Sie zwischendurch eine Zwischenfrage der Kollegin Lazar gestatten?
Gern.
Bitte schön, Frau Lazar.
Vielen Dank. – Sie haben am Anfang Ihrer Rede den 9. Oktober in Leipzig angesprochen. Ich war damals bei den Montagsdemonstrationen dabei, und ich war auch gestern bei den Feierlichkeiten dabei.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir hatten aber gestern Plenarsitzung! – Lachen bei der CDU/CSU)
– Ich habe leider den Grund für das Gelächter nicht vernommen, aber das interessiert mich jetzt auch nicht. Ich möchte nur diesen holzschnittartigen Bemerkungen etwas entgegensetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Einen wichtigen Anteil daran, dass es vor 25 Jahren in Leipzig friedlich geblieben ist, hatte der „Aufruf der Leipziger Sechs“. Von den sechs waren drei Bezirkssekretäre der SED in Leipzig.
(Zuruf von der CDU/CSU: Ach! )
Ich bin keine Befürworterin der ehemaligen SED und war damals, wie gesagt, auch mit auf der Straße. Ich verwahre mich aber dagegen, dass hier nach 25 Jahren so platt agiert wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Auch diese drei – damals SED-Funktionäre – haben einiges riskiert. Ich fand es zum Beispiel schade, dass sie gestern beim Festakt nicht dabei gewesen sind.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir hatten Plenarsitzung hier! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
– Sie müssen sich hier nicht moralisch empören. Ich war damals dabei, und Sie haben nicht das Recht, mich hier so zu verhöhnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Es geht darum, dass einfach klargestellt wird: Es gab auch mutige Leute, die damals in Funktion bei der SED waren. Allein das möchte ich feststellen, und ich möchte, dass Sie und Ihre Kollegen von der Union das bitte zur Kenntnis nehmen.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bevor der Kollege Hauptmann jetzt dazu Stellung nimmt, möchte ich in aller Ruhe darauf hinweisen, dass dann, wenn Mitglieder des Deutschen Bundestages an Plenarsitzungen desselben teilnehmen, –
So ist es.
– kein weiterer Rechtfertigungsbedarf besteht, warum sie nicht an parallel stattfindenden Veranstaltungen teilnehmen können.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herzlichen Dank, Herr Präsident, für diese Klarstellung.
Ich bin kein Mitglied der Grünen. Sie kennen Ihre Geschichte besser, als ich sie kenne. Aber nach meinem Kenntnisstand der Geschichte der Bündnis-90-Bewegung weiß ich, dass sie aus einer Bürgerrechtsbewegung entstanden ist.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Natürlich! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Anders als die CDU!)
Das haben Sie ja gerade auch zu Recht angesprochen. Gerade mit Blick auf die Geschichte dieser Bürgerrechtsbewegung ist es für mich und unsere Fraktion in keiner Weise verständlich, wie Sie heute mit den Akteuren verhandeln können, die Sie damals auf der Straße bekämpft haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Staatssekretärin Gleicke hat bereits angesprochen, dass im Jahresbericht die enorme Aufbau- und Anpassungsleistung der Menschen in Ostdeutschland gewürdigt wird. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich von 1999 bis heute im Osten des Landes fast verdoppelt. Die Arbeitslosigkeit hat 2014 den niedrigsten Stand seit 1991 erreicht. In meiner Südthüringer Heimat beträgt die Arbeitslosigkeit rund 5 Prozent und liegt damit unterhalb des Bundesdurchschnitts. So viel zu den wirtschaftlichen Entwicklungen, Herr Bartsch.
Trotzdem bleibt festzuhalten – auch das ist natürlich Teil der Wahrheit –, dass wir unser Ziel einer Angleichung beider Landesteile noch nicht erreicht haben. Je nach Region bleibt der Osten Deutschlands in seiner Wirtschaftskraft um bis zu 30 Prozent hinter den westdeutschen Gebieten zurück, obwohl es dort auch heute schon wirtschaftsstarke Regionen und wirtschaftsstarke Städte gibt, die Flächenländer, aber auch Städte im Westen der Republik deutlich überholt haben.
Das Steueraufkommen pro Einwohner betrug 2013 im Osten rund 937 Euro, im Westen ungefähr das Doppelte. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist daher in den neuen Ländern immer auch Strukturpolitik. Aufgrund der geringen Zahl von Ansiedlungen von Großunternehmen ist die Wirtschaftsstruktur hier sehr kleinteilig. Förderinstrumente für kleine und mittelständische Betriebe sind von großer Bedeutung. Wir alle kennen Maßnahmen wie ZIM und wissen, welche Bedeutung diese haben.
Wir sehen, dass der Anteil des Bereichs Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt der ostdeutschen Flächenländer mit 2,5 Prozent über dem Durchschnittswert der Europäischen Union liegt. Ausgezeichnete Forschung ist in der Zukunft aber auch auf gemeinnützige externe Industrieforschungseinrichtungen angewiesen. Wir als Bundesregierung und als Koalitionsfraktionen stehen hinter INNO-KOM-Ost und anderen externen Industrieforschungsprogrammen, mit denen wir dort eine Forschungslandschaft entwickeln wollen.
Für eine positive Weichenstellung ist es jedoch auch vonnöten, dass wir für strukturschwächere Regionen gezielte Maßnahmen entwickeln, um diese Regionen voranbringen zu können. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Passus im Koalitionsvertrag zum Sanierungsbonus für den ländlichen Raum. Dieser Sanierungsbonus eröffnet die Möglichkeit, in strukturschwachen Regionen energetisch optimierten und barrierefreien Wohnraum zu schaffen. Das sorgt für Zuzug und gleichzeitig dafür, dass diese strukturschwachen Regionen auch in Zukunft wachsen, gedeihen und blühen können.
Der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 macht die positiven Entwicklungen in den neuen Bundesländern und die Anpassungsleistung der ostdeutschen Bürger in den vergangenen 25 Jahren sehr deutlich. Es gilt, dies zu würdigen und die weiteren Anstrengungen von Bürgern und Unternehmen zu unterstützen. Wir sollten durch solche Programme wie den Sanierungsbonus dabei mithelfen, dass auch strukturschwache Regionen die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln. Wir sollten über Maßnahmen nachdenken, die die Weiterführung des Solidarpaktes oder Förderungen zur Erhöhung von Innovationen und Investitionen auch in Zukunft ermöglichen. Dafür müssen wir Sorge tragen, damit dieser Transformationsprozess der neuen Bundesländer auch in der Zukunft fortgesetzt wird. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3967624 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 58 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit |