10.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 21

Daniela KolbeSPD - Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ostbeauftragte der Bundesregierung, liebe Iris Gleicke! Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu dem ersten von Ihnen verantworteten Bericht zum Stand der Deutschen Einheit. Es ist im 25. Jahr nach der friedlichen Revolution ein besonderer, und er setzt mit der Würdigung der Bürgerrechtsbewegung und der Lebensleistung der Ostdeutschen die richtigen Zeichen. Ich finde, Frau Lemke hat es gerade sehr eindrücklich deutlich gemacht.

70 000 Menschen protestierten gestern vor 25 Jahren in meiner Heimatstadt Leipzig gegen das SED-Regime, so viele wie bis dahin noch an keinem der vorangegangenen Montage. Insbesondere die Initiatoren taten dies unter massiven persönlichen Risiken. Viele, wenn nicht alle sind mit riesengroßer Angst dorthin gegangen. Ich war damals neun Jahre alt; ich war nicht dabei. Aber ich bin noch heute beeindruckt und eigentlich sogar erschrocken angesichts dessen, was diese Bürgerrechtler auf sich und ihre Familien genommen haben, welche Risiken sie persönlich eingegangen sind, nicht wissend, ob sie erfolgreich sein würden, nicht wissend, was daraus resultieren würde.

Wir wissen heute, dass sie erfolgreich waren, und der 9. Oktober 1989 ist bis heute der Tag der friedlichen Revolution. Es ist das Wunder jener Tage des Herbstes 1989, dass diese Revolution friedlich begonnen hat und auch friedlich geendet ist. Dieses Wunder gibt der Revolution bis heute ihren Namen. Dass der friedliche Verlauf etwas Besonderes war, zeigt sich für mich ganz stark an den aktuellen Umstürzen, die wir in der Ukraine und in anderen Teilen der Welt sehen.

Ursächlich für den Fall der Mauer war das Eintreten der Demonstrierenden gegen das SED-Regime. Die Mauer wurde vom Osten her eingedrückt. Diese Leistung der Menschen in Abrede zu stellen, wäre töricht und auch geschichtsvergessen. Das erste Loch in der Mauer setzte aber – das hat der frühere Bürgerrechtler Thomas Krüger ganz treffend formuliert – Willy Brandt mit seiner Ost- und Friedenspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Es ist auch richtig, dass die DDR nicht nur politisch am Ende war, sondern auch ökonomisch.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der Sozialismus, genau genommen!)

Ich kann selber noch erinnern, wie es in der DDR ausgesehen und gerochen hat. Aus diesem heruntergewirtschafteten Staat ist innerhalb von 25 Jahren eine Region geworden, die ökonomisch im Mittelfeld Europas spielt. Die KfW sprach vor kurzem vom neuen Wirtschaftswunder. Ich gebe zu, dass ich diese euphemistische Beschreibung nicht teile, denn dafür sind zu viele Menschen in diesem Prozess gescheitert. Gleichwohl zeigt es, was durch den Optimismus und die Tatkraft der Ostdeutschen gemeinsam mit der historisch beispiellosen Solidarität der Westdeutschen zuwege gebracht werden konnte.

Das alles hat zu einer beachtlichen Aufbauleistung geführt. Die neuen Länder liegen kaufkraftbereinigt beim Pro-Kopf-Einkommen ungefähr auf der Höhe Italiens. Die Investitionsentwicklung ist dynamisch, und in manchen Bereichen steht der Osten besser da als die westdeutschen Bundesländer. Ich nenne als Beispiele die Kinderbetreuungssituation oder auch die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Frauen arbeiten in Ostdeutschland häufiger und mehr Stunden als in Westdeutschland. Nicht zu vergessen ist, finde ich, dass viele dieser Erfolge aufgrund des Engagements, der Tatkraft und auch der Flexibilität der Ostdeutschen zustande gekommen sind. Möglich wurden sie aber nur durch die gesamtdeutsche Solidarität.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich finde es aber realitätsfern, zu glauben, dass der Prozess abgeschlossen ist. Die Ostländer sind immer noch schwach, wenn es um die Steuereinnahmen geht. Wir haben ganz wenige Sitze von großen Unternehmen in den neuen Bundesländern. Die Steuerkraft der ostdeutschen Bundesländer beträgt gerade einmal 62 Prozent der Steuerkraft der finanzschwachen westdeutschen Bundesländer.

Wir müssen daher diese strukturschwachen Regionen auch über 2019 hinaus weiter unterstützen, nicht nach Himmelsrichtungen, sondern am jeweiligen Bedarf orientiert. Das dürfen wir auch in den aktuell stattfindenden Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen nicht vergessen. Wir sollten nicht mit dem Hintern einreißen, was wir und meine Elterngeneration aufgebaut haben.

Ich werbe dafür, dass ein breiter Konsens aller Bundesländer zustande kommt und wir uns, statt auf Ellenbogenföderalismus und auf Steuer- und Sozialwettlauf zu setzen, an unserem Verfassungsgebot orientieren, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland – unabhängig von der Himmelsrichtung – herzustellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Blick in den Bericht verrät, was man auch spürt: Im Osten geht die Arbeitslosigkeit seit 2005 spürbar zurück. Das ist toll und wichtig. Denn wir alle miteinander wissen, was Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit Ende der 90er-Jahre in ganzen Landstrichen angerichtet haben. Gleichzeitig sehen wir aber auch da noch eine große Herausforderung. Es gibt immer noch 1 Million Menschen in Deutschland, die langzeitarbeitslos sind. Die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich und erweist sich als hartnäckig. Das ist kein ostdeutsches Problem. Wir sehen die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit auch in vielen anderen Regionen, insbesondere bei Ungelernten und bei über 55-Jährigen. Viele Programme, die diese Menschen betreffen, sind in der Vergangenheit gekürzt worden oder laufen aus. Ich bin ganz klar der Meinung: Wir brauchen für diese Langzeitarbeitslosen wieder mehr Vermittlungsmöglichkeiten. Wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt nicht nur für Ostdeutschland, sondern überall dort, wo Langzeitarbeitslosigkeit Thema ist. Die Papiere liegen auf dem Tisch. Ein solches Programm würde insbesondere der Generation helfen, die ganz stark von den Transformationen insbesondere in den neuen Bundesländern betroffen war.

Lassen Sie uns deshalb diese und andere verbleibende Herausforderungen gemeinsam annehmen. Das wird einen Beitrag zur Vollendung der inneren Einheit leisten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3967829
Wahlperiode 18
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit
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