10.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 21

Jana SchimkeCDU/CSU - Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Die Wiedervereinigung zählt zu den glücklichsten Momenten unserer deutschen Geschichte. Deshalb haben diese Tage, an denen wir uns an jene Menschen in der damaligen DDR erinnern, die für demokratische Grundrechte auf die Straße gingen, auch nach 25 Jahren nichts an Faszination verloren.

Wir können stolz darauf sein, was wir gemeinsam für unser Land und insbesondere auch für Ostdeutschland geschaffen haben. Der Traum der Menschen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, einem selbstbestimmten Leben, zu dem wohlgemerkt auch die freie Berufswahl oder auch die Schaffung von Eigentum zählt, hat sich erfüllt. Der Aufbau Ost als gesamtgesellschaftlicher solidarischer Kraftakt hat Erhebliches geleistet. Fährt man heute durch die neuen Bundesländer, trifft man auf eine moderne Infrastruktur, auf sanierte Innenstädte oder neue Universitäten, die sich sehen lassen können.

Eine besondere Leistung der deutschen Einheit war ohne Frage auch die Übertragung der sozialen Sicherungssysteme, von der Rente bis zur Arbeitslosenversicherung. Damit meine ich nicht nur die Übertragung von Beitragsmodalitäten und von Leistungen. In der Rentenversicherung werden bis heute in den neuen Bundesländern die Renten mit dem Hochwertungsfaktor aufgewertet. Alles andere hätte nach klassischer Berechnung die Renten im Osten ins Bodenlose fallen lassen. Da es aber gerade in der Rentenversicherung darum geht, Lebensleistung anzuerkennen und abzubilden, haben sich die Mütter und Väter der deutschen Einheit zu diesem solidarischen Kraftakt entschieden. Dafür gilt ihnen unser aller Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dennoch – das ist heute bereits mehrfach angeklungen – darf man natürlich nicht dem Glauben unterliegen, die Lebensverhältnisse in Ost und West seien vollständig angeglichen. Woran liegt das? 40 Jahre Planwirtschaft haben ihre Spuren hinterlassen. Das spüren wir noch heute. Deshalb bleibt es bis heute eine der wichtigsten Aufgaben des Aufbaus Ost, hier noch stärker aufzuholen. Der aktuelle Bericht zum Stand der Deutschen Einheit macht genau dies deutlich. So fehlt es in den neuen Ländern trotz enormer Investitionen insgesamt noch immer an jener Stärke, die es gerade braucht, um mitzuhalten. Das zeigt sich beim Bruttoinlandsprodukt, beim Steueraufkommen oder bei den Löhnen und Gehältern; die Kolleginnen und Kollegen haben dazu bereits viel gesagt. Die Kennzahlen verweisen aber auch auf eine noch junge, klein- und mittelständische Wirtschaft in den neuen Bundesländern. So sind die meisten Unternehmen bei uns in Ostdeutschland höchstens 25 Jahre alt. Industrielle Strukturen oder eine krisenerprobte Firmengeschichte von 100 Jahren und mehr gibt es eher selten.

40 Jahre DDR zeigen sich auch bei der persönlichen Situation der Menschen in den neuen Bundesländern. So ist das Vermögen privater Haushalte in Ostdeutschland heute noch immer halb so hoch wie das in Westdeutschland. Obwohl in beiden Landesteilen der Immobilienbesitz die wichtigste Vermögensform ist – wir selbst bauen unsere Altersvorsorge darauf auf –, lebt nur ein knappes Drittel der ostdeutschen Haushalte heute im selbst genutzten Wohneigentum. Gemessen an den Schwierigkeiten vor 1990, Eigentum aufzubauen, überraschen diese Werte natürlich nicht. Sie zeigen aber auch, dass ein Vierteljahrhundert manchmal nicht genügt, die Spuren von 40 Jahren zu überwinden. Unser Handeln sollte deshalb darauf ausgerichtet sein, diese Unterschiede durch eine kluge Politik weiter abzubauen.

Auch wird es künftig darum gehen, die Stärken der neuen Länder herauszustellen, positive Beispiele zu benennen und neue Perspektiven zu schaffen; denn es gibt auch Erfolgsgeschichten. Denken Sie an die Spitzenposition einiger südlicher ostdeutscher Bundesländer bei der Bildungspolitik. Oder denken Sie an das Bundesland, das in Deutschland die geringste Pro-Kopf-Verschuldung hat. Das ist nämlich Sachsen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Region um Berlin zählt aber – das möchte ich als Brandenburger Abgeordnete auch gesagt haben; dazu gehört auch mein Wahlkreis – zu den dynamischsten in ganz Deutschland; darauf hat kürzlich sogar die OECD verwiesen. Ein wahrlicher Standortfaktor sowohl für die Wirtschaft als auch für die Menschen, die in den neuen Bundesländern leben, sind aber auch die guten Rahmenbedingungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dabei handelt es sich nicht etwa um einen Nebeneffekt. Die gute Kitastruktur zählt zu den Hauptgründen, warum sich die Menschen heute entscheiden, entweder in der Region zu bleiben oder sogar zurückzukehren. Aus Sicht der Unternehmen macht sich vor allem eines bemerkbar: Frauen sind in den neuen Ländern öfter und auch länger erwerbstätig. Das zahlt sich natürlich später auch bei der Rente aus.

Ich habe jetzt viel über Herausforderungen, Fakten und Zahlen gesprochen. Es mag sein, dass einigen die Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer und die Angleichung an die Altbundesländer, gerade was die wirtschaftliche Stärke angeht, nicht schnell genug geht. Ich stehe allerdings nicht hier, um in diesen Tenor einzustimmen. Wir haben in den letzten 25 Jahren vieles gut gemacht und gut gemeistert. Erinnern Sie sich daran, welche Herkulesaufgabe die deutsche Einheit für uns alle war und noch immer ist! Die Wendezeit war eine der prägendsten Erfahrungen meiner eigenen Kindheit und Jugend. Diese Zeit hat mich damals zur Politik gebracht. Ich habe ihr später meine Ausbildung und meinen Beruf gewidmet. Trotz aller Unsicherheiten und allem Neuen, was die Zeit mit sich brachte, begleitete meine Familie und mich immer eines: die überwältigende Freude darüber, endlich frei zu sein in all seinen Entscheidungen, sowie das tiefe Vertrauen und der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Damals hieß es: Wer sich anstrengt, der wird auch belohnt. – Diese Worte sind für mich Sinnbild dessen, was die friedliche Revolution 1989 auch ermöglichte: Leistungsgerechtigkeit, Meinungsfreiheit und Eigenverantwortung.

Deshalb gibt es auch Dinge, die mich heutzutage nachdenklich werden lassen. Wenn wir vom Mauerfall und von der Wiedervereinigung sprechen, haben wir sicherlich immer wieder jene Menschen vor Augen, die sich in der damaligen DDR unter großen persönlichen Opfern gegen das SED-Regime aufgelehnt und die Mauer zum Einsturz gebracht haben. Viele davon haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt und es mitunter auch verloren. Die Menschen in der damaligen DDR haben weder ihren Leib noch ihr Leben geschont, um einen Systemwechsel herbeizuführen. Sie haben für Demokratie, freie Meinungsäußerung, politische Mitgestaltung und ein selbstbestimmtes Leben gekämpft. Erst der Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung haben das alles möglich gemacht.

Es ist noch gar nicht so lange her, da fanden in Deutschland Europa- und Kommunalwahlen statt. Erst kürzlich brachten wir die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen hinter uns. Die Wahlbeteiligung – da möchte ich auf den Punkt kommen – war erschreckend gering. Sie lag mitunter bei weniger als 50 Prozent. Bei den Landtagswahlen in meinem Heimatland Brandenburg haben weniger als die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Das, wofür die Ostdeutschen 1989 auf die Straße gegangen sind – die Teilnahme an freien Wahlen, die Möglichkeit, selbst wählen zu gehen und mitzuentscheiden –, wird nun immer weniger wahrgenommen. Ich frage: Wo ist in unserer Gesellschaft der Wunsch nach politischer Mitbestimmung geblieben? Uns als Demokraten muss diese Entwicklung beunruhigen; denn von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren lediglich die politischen Ränder.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir die Entwicklung, welche die ostdeutschen Bundesländer im letzten Vierteljahrhundert genommen haben, nicht zerreden und madig machen. Unsere Aufgabe als Politiker wird es aber künftig immer wieder sein, darzulegen und vor Augen zu führen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, seine Meinung frei zu äußern, frei wählen zu gehen und über sein Leben selbst und eigenverantwortlich zu bestimmen. Ein Blick in die übrige Welt, meine Damen und Herren, genügt dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sollten die Menschen immer wieder daran erinnern, was Unfreiheit bedeutet und wie wichtig gerade die Wahlbeteiligung für den Erhalt unserer Freiheit und Demokratie ist. Das Argument „Mit meiner Stimme kann ich ja eh nichts bewirken“ zählt nicht. Jeder kann sich einbringen, ob in einer Partei, einer Bürgerinitiative oder einem Verein. Es kommt aber darauf an, mitzumachen. Das Mindeste, was man für sein Land tun kann, ist, wählen zu gehen und damit ein ureigenes Bürgerrecht, aber auch eine Bürgerpflicht wahrzunehmen.

In Gesprächen mit den Menschen in meinem Wahlkreis merke ich sehr oft, dass es ein sehr feines Gespür für Gerechtigkeit gibt. Damit meine ich nicht Verteilungsgerechtigkeit, Gleichmacherei, sondern Leistungsgerechtigkeit. Es ist ein Vertrauen in ein Gerechtigkeitsempfinden, das nicht sofort an staatliche Umverteilung denkt, sondern an diejenigen, die sich anstrengen, selber ihr Schicksal in die Hand nehmen und ihren Beitrag in unserer Gesellschaft leisten.

Frau Kollegin.

Ich bin sofort fertig. – Es geht darum, meine Damen und Herren, dass wir diese Leistung wieder mehr honorieren und unsere Politik daran ausrichten.

Deswegen haben der Tag der Deutschen Einheit und die Erinnerung an die Geschehnisse dieser Tage für mich bis heute nichts an Faszination, an Begeisterung, aber auch an Demut verloren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Sabine Poschmann ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3967867
Wahlperiode 18
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit
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