10.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 21

Kai WegnerCDU/CSU - Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar, zum Stand der deutschen Einheit reden zu dürfen, exakt 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer. Als Berliner bin ich in Spandau gewissermaßen im Schatten dieser Mauer aufgewachsen, dem Symbol der deutschen Teilung. Niemals werde ich den 9. November 1989 vergessen, jene wunderbare, kalte Novembernacht, als Hunderttausende Deutsche von Ost nach West brandeten, die Kontrollpunkte an der Berliner Mauer überrannten, sich wildfremde Menschen in die Arme fielen und eine vorweggenommene Wiedervereinigung gerade hier in Berlin feierten.

Als damals 17-Jähriger konnte ich zusammen mit Freunden am Grenzübergang Invalidenstraße erstmals den Ostteil meiner Heimatstadt Berlin besuchen. Wir gingen über die Friedrichstraße, sahen Truppen aufmarschieren, wir erblickten Wasserwerfer, Gewehre. Wir hatten ein ungutes Gefühl, aber die Freude überwog. Schließlich kamen wir zum Brandenburger Tor und mussten dort über das Monstrum Mauer klettern, um zurück in den Westteil zu gelangen.

In der Nacht des 9. November war noch völlig ungewiss, wohin die Reise gehen würde. Aber kurz darauf war klar: Der Geist der Freiheit hat sich durchgesetzt, und das Rad der Geschichte ließ sich nicht mehr zurückdrehen. So habe ich in der Nacht des 9. November eine Sternstunde der deutschen Geschichte live miterleben dürfen. Die Bilder und diese Zeit bewegen mich noch heute sehr.

Aber, meine Damen und Herren, eine ganze Generation von Deutschen kennt schon aufgrund ihres Lebensalters den real existierenden Sozialismus, das umfassende staatliche Unterdrückungs- und Unrechtssystem nur aus den Geschichtsbüchern. 25 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur verblasst auch in der Erlebnisgeneration bei vielen die Erinnerung an den Todesstreifen, an die Staatssicherheit, an die sozialistische Mangelwirtschaft, an Zwangsarbeit und Zwangsadoptionen.

Umso wichtiger ist deshalb eine authentische Gedenk- und Erinnerungskultur. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Werte wie Freiheit und Demokratie, die uns so viel bedeuten, eben nicht selbstverständlich sind, und wir müssen verhindern, dass Ewiggestrige immer wieder durch abstruse Aufmärsche Geschichte umschreiben oder Geschichtsklitterung betreiben wollen. Meine Damen und Herren, das dürfen wir nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb ist es gut, dass der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2014 an herausgehobener Stelle die historischen Leistungen der Bürgerrechtler in der damaligen DDR würdigt, die so couragiert für Freiheit, für Demokratie und Menschenrechte auf die Straße gegangen sind.

Aber der Weg zur Wiedervereinigung nach dem Fall der Mauer war alles andere als zwangsläufig. Es bedurfte schon der zupackenden Art, in der Kanzler Helmut Kohl den wehenden Mantel der Geschichte ergriff und auf die Einheit der beiden deutschen Teilstaaten drängte. Für diese historischen Verdienste um die Wiedervereinigung, für die zupackende Art, dafür, dass er dieses klares Ziel im Blick hatte, gebührt Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit, unser aller Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])

Die Angleichung der Lebensverhältnisse erwies sich als ein komplizierter und langwieriger Prozess. Immerhin ging es um die Harmonisierung zweier Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme, die sich mehr als 40 Jahre lang wie Feuer und Wasser gegenüberstanden. Vor diesem Hintergrund ist Beachtliches erreicht worden: Eine abgeschirmte sozialistische Planwirtschaft wurde in die bewährte soziale Marktwirtschaft überführt. Die verheerende Umweltverschmutzung wurde beseitigt. In weiten Teilen der neuen Länder ist moderne Infrastruktur vorhanden. Die Wohnsituation wurde durchgreifend verbessert.

Auch die wirtschaftliche Entwicklung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann sich sehen lassen. Die neuen Länder haben ihre Wirtschaftsleistung seit 1991 verdoppelt. Sie gehören heute schon zum Mittelfeld Europas und stehen erheblich besser da als alle anderen ehemals sozialistischen Staaten.

Die Arbeitslosigkeit ist in den neuen Ländern heute auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Arbeitslosigkeit zwischen Rügen und dem Fichtelberg trotzdem noch immer deutlich höher ist als in den alten Ländern. Wo es keine Perspektiven auf Arbeit gibt, zieht die Jugend weg, und ganze Landstriche drohen zu veröden. Deshalb müssen wir die Wachstumsdynamik, die Innovationskraft und die Internationalisierung der Wirtschaft in den neuen Ländern weiter stärken. Hier haben wir weitere Herausforderungen zu bewältigen, aber wir können mit Stolz auf das blicken, was wir bis heute erreicht haben, meine Damen und Herren.

Die Berliner Mauer als Symbol der deutschen Teilung ist vor 25 Jahren gefallen. An ihre Stelle sind heute das Reichstagsgebäude und das Brandenburger Tor als Zeichen der deutschen Einheit getreten. Aus Berlin, der Frontstadt des Kalten Krieges, wurde die Hauptstadt eines geeinten Deutschlands, das mit sich im Reinen ist, das mit seinen Nachbarn im Frieden lebt, das weltoffen und tolerant ist. Die über Jahrzehnte geteilte Stadt ist zusammengewachsen. National wie international ist Berlin heute die anerkannte Hauptstadt Deutschlands.

Als politisches und kulturelles Zentrum ist Berlin zudem die Visitenkarte unseres Landes. Damit hat Berlin eine dienende Funktion für ganz Deutschland, meine Damen und Herren. Diese dienende Funktion als politisches und kulturelles Zentrum Deutschlands gilt es weiter zu stärken; denn eine gute Entwicklung Berlins steht sinnbildlich für eine gute Entwicklung Deutschlands.

Vor über 20 Jahren führte der Deutsche Bundestag die Hauptstadtdebatte. Damals ging es darum, dass Berlin wieder Hauptstadt Deutschlands wird. Meine Damen und Herren, ich wünsche mir eine zweite Hauptstadtdebatte – nicht mehr über das Ob, sondern über das Wie der Berliner Hauptstadtfunktion. Wie kann Berlin seiner dienenden Funktion für ganz Deutschland noch besser gerecht werden? Wie kann die ganze Republik noch stärker von ihrer Hauptstadt profitieren? Was kann Berlin als Hauptstadt für ganz Deutschland leisten? – Meine Damen und Herren, ich glaube, es lohnt sich, darüber zu diskutieren,

(Zuruf von der CDU/CSU: Flughafen zum Beispiel!)

es lohnt sich, darüber zu streiten, offen und über die Parteigrenzen hinweg. Denn ich bin mir ganz sicher: Berlin ist bereit, noch mehr Verantwortung für unser gesamtes wiedervereinigtes Land zu übernehmen.

Meine Damen und Herren, nach der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts sollten wir die Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit als Geschenk betrachten, über das wir uns nicht nur am 3. Oktober, sondern an jedem Tag des Jahres von Herzen freuen sollten.

Wenn wir heute viel über die Bürgerrechtler des Herbstes 1989 gesprochen haben, sie gewürdigt haben, dann, finde ich, sollten wir an diesem Tag die Männer und Frauen des 17. Juni nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])

Die Männer und Frauen des 17. Juni haben den Anfang gemacht, die Männer und Frauen des 17. Juni sind aufgestanden mit Mut. Sie wurden niedergeknüppelt, ermordet. Das, was die Männer und Frauen des 17. Juni begonnen haben, wurde am 9. November 1989 endlich erreicht und umgesetzt. Deswegen dürfen wir auch diese Männer und Frauen nicht vergessen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3969780
Wahlperiode 18
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta