10.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 22

Norbert Lammert - Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Hochschulbereich gibt es so viele Kooperationen zwischen Bund und Ländern wie noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja!)

Das war nur möglich, weil 2006 das Grundgesetz geändert wurde,

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Eben!)

weil 2006 in unser Grundgesetz aufgenommen wurde, dass auch Kooperationen in Vorhaben der Wissenschaft und Forschung einschließlich Vorhaben der Lehre möglich sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da beklatschen wir uns selbst! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das waren harte Verhandlungen!)

Nun haben wir heute unter anderem einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorliegen. Sie schreiben in ihrem Antrag:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Falsch! All die großen Pakte, die wir verabschiedet haben, zum Beispiel der Hochschulpakt, wären ohne Grundgesetzänderung nicht möglich gewesen. Der Qualitätspakt Lehre wäre nicht möglich ohne die Grundgesetzänderung.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um das Kooperationsverbot Bildung!)

Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung wäre nicht möglich ohne die Grundgesetzänderung.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum heben Sie es dann auf, wenn alles so richtig war?)

Weil wir eben über den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit gesprochen haben: Der Hochschulpakt 2020 ist eine riesige Solidarleistung der westdeutschen Bundesländer und der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Wir, seitens des Bundes, haben seit seinem Inkrafttreten für jeden Studenten Geld gezahlt. In den alten Bundesländern musste das kofinanziert werden, in den neuen nicht; das war entscheidend, damit die Kapazitäten dort nicht abgebaut werden.

Man kann noch eine Zahl zum Bericht zum Stand der Deutschen Einheit hinzufügen. In dem Bericht steht, dass im letzten Jahr zum ersten Mal weniger junge Menschen aus den neuen Bundesländern zum Studieren abgewandert sind, als aus den alten Bundesländern zugewandert sind. Das wäre ohne den Hochschulpakt nie passiert. Dafür brauchten wir die Grundgesetzänderung. Warum man stolz ist, dass man dagegen war, das verstehe ich überhaupt nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nichts verstanden!)

Lassen Sie mich einen weiteren Satz aus dem Antrag der Grünen zitieren:

Die Situation, die wir durch die Grundgesetzänderung geschaffen haben, gab es in der Bundesrepublik Deutschland vorher noch nie, ganz eindeutig.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt!)

Ich bin es einfach leid, diese trivialen Tatsachen jedes Mal zu erläutern. Ich habe es mal auf einer Seite zusammengefasst: Grundgesetz vor 2006, seit 2006, unser Gesetzesvorschlag.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war dabei! Ich weiß, wie es war!)

Diese Seite kann man sich bei mir abholen. Es bedarf keiner großen Kommentare. Es ist ganz simpel und verständlich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun ändert man das Grundgesetz nicht alle Tage. Man überlegt sich gut: Ist diese Änderung notwendig? Brauchen wir das? An dieser Stelle wird deutlich: Wir brauchen das, und zwar nicht, um etwas zu reparieren, sondern um etwas, was gut war, wesentlich besser zu machen.

Frau Wanka, darf der Kollege Mutlu eine Zwischenfrage stellen?

Ja.

Frau Ministerin, ich habe Ihrer Rede von Anfang an sehr genau zugehört.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist gut so!)

Sie haben aufgezählt, wie toll das alles war und was Sie mit der Grundgesetzänderung in Bezug auf das Kooperationsverbot alles erreicht haben.

Ich schließe daran meine Frage an: Wenn die Grundgesetzänderung von 2006, die wir beklagt haben – das haben Sie richtig zitiert –, richtig war, warum sehen Sie dann jetzt überhaupt eine weitere Änderung des Grundgesetzes hinsichtlich des Hochschulbereichs vor?

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ja eine Steilvorlage, die Frage!)

Ich habe gerade angesetzt, um das zu erklären. Ich habe gerade gesagt: Wenn man das Grundgesetz jetzt ändert, muss man sich das gut überlegen. Es gibt gute Gründe, warum wir das Grundgesetz ändern. Es geht nicht darum, etwas zu korrigieren oder zurückzunehmen, sondern darum, das, was wir 2006 begonnen haben, fortzuführen. Der Nachteil der 2006 vorgenommenen Grundgesetzänderung, die Bund und Ländern auch in der Lehre eine Zusammenarbeit erlaubt – in der Forschung ist das eh möglich –, ist, dass die Erlaubnis zeitlich befristet ist, also diese Zusammenarbeit nur temporär möglich ist und nicht institutionell verankert ist. Genau das wird jetzt aber festgeschrieben. Es geht also keineswegs um eine Korrektur, um ein Zurücknehmen,

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Weiterentwicklung!)

um das Reparieren eines Fehlers, sondern es geht um das Fortführen des Prozesses.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD])

Warum ist uns das so wichtig? Warum wollen wir unbedingt, dass der Hochschulpakt nicht nur 10 oder 15 Jahre läuft? Warum wollen wir die Zusammenarbeit institutionell verankern? Weil die Hochschulen das Herzstück des Wissenschaftssystems sind. Wenn unsere Nation ihren Wohlstand halten will, dann müssen wir im Bereich von Forschung und Innovationen gut sein. Überlegungen zu diesem Herzstück des Wissenschaftssystems sollte nicht nur jedes Bundesland für sich anstellen, sondern wir müssen auch in diesem Bereich langfristige Strategien entwickeln können, wie sie ja im außeruniversitären Bereich bereits möglich sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])

Wir müssen überlegen können: Welche besonderen Qualifikationen brauchen wir beispielsweise für das Projekt Industrie 4.0? Es geht nicht darum, dass der Bund entscheidet, ob etwas in Kiel oder in München angesiedelt wird, aber man muss über gemeinsame Zielstellungen nachdenken und Wege finden, um die Ziele zu erreichen.

Dadurch wird auch die Kooperation der Universitäten und Hochschulen mit den außeruniversitären Einrichtungen, die schon heute möglich ist, sehr viel einfacher. Wenn diese Kooperationen viel unkomplizierter sind, schneiden wir auch in allen Rankings besser ab. Dann haben wir in gewisser Art und Weise vergleichbare, ähnliche Rahmenbedingungen für die außeruniversitären Einrichtungen und für die Hochschulen.

In dem Gesetzentwurf steht: Einstimmigkeit. Es wird gesagt, dass das Prinzip der Einstimmigkeit stört, dass das so nicht sein sollte. In dem Gesetzentwurf geht es nun nicht darum, das föderale Prinzip, gemäß dem die Länder zuständig sind, zu streichen. Immer wenn das föderale Prinzip gilt, benötigen wir ja Einstimmigkeit, auch in der Ministerpräsidentenrunde. Die vorgesehene Grundgesetzänderung ist eindeutig: Wir wollen nicht, dass alle Länder bei jeder Kleinigkeit zustimmen müssen, sondern wir wollen, dass sie mitentscheiden, wenn im Schwerpunkt die Hochschulen betroffen sind. Das heißt, bei Vereinbarungen zwischen einer Hochschule und einer außeruniversitären Einrichtung müssen nicht alle Bundesländer gefragt werden. Wenn es aber um grundlegende Sachen geht, zum Beispiel um das Professorinnen-Programm, von dem 180 Hochschulen betroffen sind, oder um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an Hochschulen, dann brauchen wir die Einstimmigkeit. Diese Einstimmigkeit haben wir 2006 aufgenommen; und sie steht da auch, weil wir das vom Grundgesetz her mussten.

Ich denke, gleich wird in einigen Redebeiträgen mehr oder wenig höflich gesagt werden: Das ist ja schön. Der Wissenschaftsbereich ist der Anfang. Wir wollen diese Möglichkeiten auch im Bereich Schule,

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Genau!)

zwar nicht auf die Schnelle, aber das ist der nächste Schritt. – Ich sage an der Stelle immer gerne: Schauen Sie doch einmal nach Baden-Württemberg. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg sagt – das hat er mir auch im persönlichen Gespräch immer wieder bestätigt –: Im Bereich der Schule gibt es das auf keinen Fall; das geht den Bund nichts an.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: In München und in Stuttgart! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Seehofer ist dafür!)

Der Ministerpräsident von Hessen sieht das genauso. Meine Argumentation war immer:

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Es ist erst einmal die Frage, ob wir das wollen!)

Es gibt diesbezüglich keine einheitliche Meinung der Bundesländer,

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sind Sie denn dafür?)

und solange es die nicht gibt, braucht man gar nicht darüber zu reden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit! Die können Sie herbeiführen! Wie wäre es mit Überzeugungsarbeit?)

– Herr Gehring, wenn Sie so freundlich wären, mich reden zu lassen.

Es kommt noch besser: Wir haben vor kurzem im Bundesrat über die BAföG-Novelle, über die wir hier gestern debattiert haben, und über die Grundgesetzänderung diskutiert. In dieser Diskussion – das ist nachzulesen – haben Annegret Kramp-Karrenbauer aus dem Saarland, Frau Puttrich aus Hessen, Frau Löhrmann, die Vizeministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen,

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tolle Frau! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie hat gesagt, das ist Erpressung, was Sie machen!)

und Frau Dreyer als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz gesprochen. Keine einzige dieser Frauen hat gesagt: Wir wollen die Grundgesetzänderung auch für den Schulbereich.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein, das ist falsch!)

Es war eindeutig. Sie haben gesagt: Wir wollen, dass wir auf der Basis dessen, was geht – es geht eine Menge –, Sozialgesetzbuch und anderes, zusammenarbeiten, um die großen Probleme der Zukunft zu lösen.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber das ist ja schon etwas anderes, als was Sie sagen!)

Wahrscheinlich bin ich da als ehemalige Landesministerin ein bisschen sensibler. Ich verstehe, dass man sich nicht so gerne etwas vorschreiben lässt und man keine Beglückungen aus dem Bundestag bekommen will, die man selbst nicht will und über die man vorab keine Diskussion geführt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie reagieren Sie denn auf die Stellungnahme des Bundesrates?)

Deswegen fand ich diese Bundesratsdiskussion sehr erstaunlich. Ich hätte den einen oder anderen Zwischenton erwartet. Dem war aber nicht so.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie wollten ihn nicht hören, Frau Kollegin!)

Wir brauchen – das ist ganz eindeutig; das sieht der Bund auch so – bei den großen Herausforderungen, ob nun Inklusion oder anderes, eine Gemeinsamkeit, wir brauchen gemeinsam abgestimmtes Handeln, aber nicht zwingend eine Grundgesetzänderung. Diese ist nicht notwendig. Wir wollen auch, dass die Kompetenzen in diesen Bereichen bei den Ländern bleiben.

Wir haben jetzt ein Gesamtpaket. Das Paket enthält die Grundgesetzänderung, über die wir jetzt diskutieren, und – darum ging es hier gestern – die BAföG-Novelle mit der Entlastung um 1,2 Milliarden Euro. Dass beide zusammenhängen, ist nicht sachfremd, sondern ist das Ergebnis von Verhandlungen. Im Ergebnis dieser Verhandlungen waren die Länder und der Bund der Meinung, dass es eine gute Situation ist, dass es eine Win- win-Situation ist. Vorgestellt haben wir dies auf einer Pressekonferenz. Von den Wissenschaftsministern war zum Beispiel Frau Ahnen dabei und hat das Ergebnis sehr gelobt. Sie hat sich sehr über die Möglichkeiten gefreut, die man jetzt in den Ländern hat.

Ich bin auch trotz aller Schwierigkeiten, die uns das macht, der Meinung, dass es richtig ist, dass die Verantwortung dafür, wie man mit den frei werdenden BAföG- Mitteln umgeht, bei den Ländern liegt und dass man von Land zu Land verschiedene Entscheidungen treffen kann. Denn die Situation in den Bundesländern ist unterschiedlich. Manche haben in den letzten Jahren ganz viel in die Hochschulen investiert und Schwierigkeiten im Schulbereich, bei anderen ist es umgekehrt. Deswegen glaube ich – ich erwarte und erhoffe dies –, dass die Mittel entsprechend verantwortungsbewusst eingesetzt werden.

Ich denke, das Gesamtpaket, das wir jetzt haben, ist gut. Der Bund stellt in der genannten Größenordnung Mittel für die Studierenden zur Verfügung. Wir haben eine BAföG-Novelle, bei der es nicht nur um Entlastung geht, sondern in der auch die gestern besprochenen Dinge für die Studierenden enthalten sind. Und wir haben diese Grundgesetzänderung. All das wird aus meiner Sicht weit über diesen Tag und über diese Legislaturperiode hinaus wirken. Gerade mit der Grundgesetzänderung wird vieles möglich gemacht und wird der Föderalismus insgesamt moderner und zukunftsfähiger. Darüber freue ich mich.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Rosemarie Hein das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3969867
Wahlperiode 18
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)
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