10.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 22

Albert RupprechtCDU/CSU - Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Hein, wenn man Ihrer Rede zuhört und wenn man auch noch glauben würde, was Sie sagen, dann bekäme man Depressionen. Für Depressionen gibt es aber überhaupt keinen Anlass. Wo stehen wir im Jahr 2014? Noch einmal kurz zum Status quo: Wir sind nicht nur Fußballweltmeister, sondern auch Nobelpreisträger.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber nicht mehr Papst!)

Ich sage das in aller Ernsthaftigkeit.

Natürlich ist das in erster Linie eine herausragende Leistung des Wissenschaftlers Stefan Hell. Aber würde derselbe Wissenschaftler im Senegal, in Ägypten oder anderswo arbeiten, wo er nicht die institutionellen Rahmenbedingungen hätte, die er in Deutschland hat, dann wäre das nicht möglich gewesen. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Wo stehen wir? Alle anerkannten Innovationsindizes sagen: Deutschland steht weltweit auf Platz zwei, drei oder vier, und das bei 194 Staaten. Ich glaube, darauf können wir stolz sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich mal die PISA-Studie an! Dann haben Sie es auf einen Blick!)

Wir sind für die Wissenschaft wieder hochattraktiv. In der Max-Planck-Gesellschaft kommen 86 Prozent der Postdocs aus dem Ausland. 31 Prozent der Max-Planck- Direktoren kommen ebenfalls aus dem Ausland. Stefan Hell – ich habe ihn eben schon erwähnt – hat einen Ruf nach Harvard bekommen. Er hat abgelehnt und ist lieber in Deutschland im Max-Planck-Institut geblieben.

Das alles sind Aussagen, die zeigen, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland weltweit vorne liegt und hochattraktiv ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

All das wäre überhaupt nicht möglich gewesen, hätten wir vonseiten des Bundes in den letzten Jahren nicht massiv Gas gegeben.

Das alles sagt den Nichtfachleuten wenig. Dahinter verstecken sich aber Riesenpakete mit Milliardenvolumina in historischen Dimensionen wie das Wissenschaftsfreiheitsgesetz beispielsweise – ein historischer Schritt für die Wissenschaftsszene –, Humboldt-Professuren, die Hightech-Strategie, der Spitzencluster-Wettbewerb, der Pakt für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative usw. usw.

All das sind Maßnahmen, die wir vonseiten des Bundes in den letzten Jahren angestoßen haben. Das zeigt sich auch in den Finanzen, die wir in der Haushaltsdebatte noch einmal ausführlich diskutieren werden. Wir haben in den zehn Jahren von 2005 bis 2015 im Haushalt für Forschung und Bildung einen Anstieg um 101 Prozent und damit eine Verdoppelung erzielt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Letzte Frage: Wieso brauchen wir eine Verfassungsänderung? Wir brauchen sie aus zwei Gründen. Der Kollege Heil hat es angesprochen. Der erste Punkt ist: Die Pakete, die ich eben genannt hatte, sind teilweise zeitlich befristet. Die Verfassung erlaubt uns nur die zeitliche Befristung. Nach den von uns gemachten Erfahrungen wollen wir sie in dauerhafte wettbewerbliche Anreizstrukturen überführen. Denn wir wollen Nachhaltigkeit.

Wir wollen nicht, dass die Wissenschaft es sich bequem macht. Wir wollen aber auch weg von der Projekteritis. Wir brauchen vielmehr langfristig nachhaltige wettbewerbliche Anreizstrukturen. Wir brauchen die Verfassungsänderung, um genau das, was wir aufgebaut haben, auch nachhaltig leben zu können.

Es gibt einen zweiten Grund: die Besonderheit des deutschen Systems. Wir haben universitäre und außeruniversitäre Forschung. Mit Blick auf die Schanghai-Rankings sage ich in aller Deutlichkeit: Wir sind bei den Hochschulen nirgendwo auf absoluten Spitzenplätzen. Das hängt auch mit der deutschen Besonderheit zusammen. Würden wir die Max-Planck-Gesellschaft mit dazuzählen oder würde beispielsweise die LMU in München gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft bewertet werden, dann hätten sie sehr wohl einen Spitzenplatz. Eine solche Zusammenarbeit ist bis dato außerordentlich schwierig und nur mithilfe hochkomplizierter Rechtskonstruktionen möglich, weil die Hochschulen auf Dauer vom Land und die außeruniversitären Hochschuleinrichtungen von Land und Bund finanziert werden.

(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Danke schön für das Beispiel!)

Deswegen ist es in der Tat keine Petitesse, sondern ein Meilenstein für die Wissenschaftsarchitektur in diesem Land, dass in Zukunft eine solche Zusammenarbeit auf Dauer möglich sein wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zum Begriff der Kooperation. Wir wollen Kooperation, und wir leben Kooperation. Wir wollen aber eine bestimmte Art von Kooperation. Wir wollen, dass gemeinsame Ziele formuliert werden, dass Aufgaben zugewiesen werden und dass Verantwortung übernommen wird. Jeder soll die Verantwortung für den Bereich übernehmen, den er gut beherrscht. Was wir nicht wollen, ist Kooperation, bei der jeder für alles zuständig ist, was dazu führt, dass am Schluss keiner mehr etwas macht. Das Ergebnis ist dann, dass die Vertreter unserer Parteien bei Herrn Jauch und Frau Illner sitzen und sagen: Die anderen sind verantwortlich. – Eine solche Kooperation führt dazu, dass die Schuld immer anderen zugeschoben wird. Genau das braucht die Bevölkerung nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir Artikel 91 b unserer Verfassung ändern, definieren wir genau, was wir wollen. Wir wollen nicht, dass jeder für alles zuständig ist. Der Bund hat Expertise und Kompetenz, wenn es um die überregionale Bedeutung von Bereichen, um internationale Wettbewerbsfähigkeit und exzellente wissenschaftliche Leistungen geht. Wenn wir die Expertise und die Kompetenz in der Krebsforschung an den verschiedenen Standorten Deutschlands in den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung zusammenführen wollen, dann macht es Sinn, dass sich der Bund engagiert; denn dadurch ermöglichen wir Exzellenz und weltweite Spitzenleistungen. Es macht aber keinen Sinn, dass der Bund entscheidet, ob die Universität in Freiburg oder die Universität in Regensburg ausgebaut wird. Das ist nicht unsere Aufgabe, und darf auch nicht unsere Aufgabe werden. Die Weiterentwicklung der Hochschulen ist Länderaufgabe, weil das vor Ort, also dezentral, wesentlich besser entschieden werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Gleiche gilt für die Schulbildung. Schule gelingt, wenn sie dezentral und subsidiär organisiert wird. Die Lehrer vor Ort wissen am besten, wie gute Schule funktioniert. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass es eine Verbesserung für das Land darstellt, wenn wir von Berlin aus steuern, weil nur wir angeblich wissen, wie gute Schulen funktionieren? Das würde in keiner Weise eine Verbesserung darstellen.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Kooperation und nicht von oben diktieren!)

Ich nenne ein konkretes Beispiel: Der Antrag der Grünen beinhaltet den Ausbau der Ganztagsschulbetreuung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gutes Programm!)

Die Situation in meinem Bundesland Bayern sieht wie folgt aus: Es gibt eine klare politische Aussage, dass die Ganztagsschulbetreuung bedarfsgerecht ausgebaut wird.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es in fast allen Ländern!)

Jede Kommune und jede Schule, die Bedarf hat, wird finanziert. Es wird in keiner Weise am Geld scheitern. Aber es ist ein riesiger Unterschied, ob ich in München oder in meinem Heimatort, einer ländlichen Dorfgemeinde im Oberpfälzer Wald, einen solchen Ausbau vornehme; denn die Strukturen und damit auch der Bedarf sind vollkommen unterschiedlich. Ich frage seit Monaten: Was ist der Mehrwert, wenn der Bund die Rolle des Landes übernimmt? Das hat überhaupt keinen Mehrwert.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch keiner gesagt! – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das soll er doch gar nicht!)

Die Länder können den Bedarf wesentlich besser ermitteln. Genau das macht Bayern. Deswegen empfehle ich dringend, nicht über Kooperationsverbot oder Kooperationsgebot zu schwadronieren, sondern nach konkreten Lösungen zu suchen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie mal an!)

Lieber Kollege Gehring, dem Antrag Ihrer Fraktion fehlt jegliche Glaubwürdigkeit. Wenn Sie in der Regierung wären, hätten Sie null Chancen, Ihren Antrag umzusetzen;

(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Blödsinn!)

denn Ihre Basis, Ihre Landesvertreter und insbesondere Ihr Ministerpräsident aus Baden-Württemberg würden keinen Zentimeter mit Ihnen mitgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg ist nicht der Nabel der Welt!)

Abschließend: Es gab noch nie so viel Kooperation. 60 Prozent der in den Haushalt des BMBF eingestellten Mittel fließen in Kooperationsprojekte. Die Behauptung, es gebe keine Kooperation, ist daher falsch. Die Zahl der Kooperationsprojekte ist in den letzten Jahren dramatisch angewachsen.

(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Dramatisch, Sie sagen es!)

Es gibt also Kooperation. Aber sie muss dort stattfinden, wo sie sachlich begründbar und vernünftig ist, also dort, wo es um Exzellenz und internationale Wettbewerbsfähigkeit geht. Die Länder haben die Aufgabe, dort, wo es um Subsidiarität, Dezentralität und die Nähe zum Menschen geht, die Probleme zu lösen. In diesem Sinne werden wir gemeinsam mit der Regierung Artikel 91 b unserer Verfassung ändern. Damit sind wir auf einem guten Weg.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat die Kollegin Nicole Gohlke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3969912
Wahlperiode 18
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)
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