10.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 22

Ernst Dieter RossmannSPD - Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wanka hat eine historische Rückbetrachtung vorgenommen. Ich will sie so aufnehmen: 1949, zu Beginn der heutigen deutschen Demokratie, gab es nach dem Totalitarismus so etwas wie einen starken – auch separativen – Föderalismus. Dann gab es die erste Große Koalition. Man hatte – auch bedingt durch gesellschaftliche, ökonomische und politische Erfordernisse – bemerkt, dass der Staat gestärkt werden muss. Es war 1969 eine große Reformleistung der damaligen Großen Koalition, im Rahmen einer staatsorientierten Bildungsreform so etwas wie Hochschulbau, Hochschulsonderprogramme, Bildungsplanung und Bund-Länder-Programme mit nach vorne zu bringen. Dies war ein Modernisierungs- bzw. Innovationsschub. Dann hat es einen Rückschlag gegeben, und zwar mit der nächsten Großen Koalition und der geteilten Föderalismusreform, die durchaus einige Vorteile hatte, wenn wir an die Sicherheitsarchitektur denken, aber in Sachen Bildung brüchig wurde.

Einige kennen die Historie, aber ich möchte es noch einmal erklären, Frau Wanka. Es war gut, dass die SPD- Bildungspolitiker ihre Fraktion real erpresst haben und Peter Struck am Ende sagte: Um das Gesamtwerk durchzubringen, müssen wir die Vorhaben der Wissenschaft im Grundgesetz verankern. Ohne das keine Hochschulpaktprogramme, keine Exzellenzinitiative, keine bessere Lehrerbildung und keine Initiativen für bessere Lehre an den Hochschulen. – All das wäre nicht gegangen, wenn wir dies damals nicht – wir freuen uns, dass Sie erpresserische Sozialdemokraten anerkennen – ermöglicht hätten.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir die Kette vom separativen Föderalismus über die stärkere Staatlichkeit hin zur Aufgabenteilung verfolgen, dann sehen wir, dass wir jetzt in eine Phase treten, in der wir mehr Kooperation brauchen. Das merkt man an allen Beiträgen. Wir brauchen mehr Kooperation in Bezug auf das Zusammenwirken der staatlichen Ebenen – Bund und Länder –, aber auch mehr Kooperation in Bezug auf das Zusammenwirken der Institutionen, die in einem bestimmten Bereich aktiv sind; hier geht es um den Hochschulbereich.

Ich will deshalb das aufnehmen, was auch Kollege Rupprecht angesprochen hat. Verfassungsänderungen sind nicht auf den Moment bezogen. Das haben wir mit der nachgeschobenen Verfassungsänderung und dem Katastrophenartikel 104 b gemacht, als wir das Konjunkturprogramm anders administrieren wollten und das auch für den Bereich Bildung und Hochschulen nutzbar machen wollten.

Zu einer Verfassungsänderung muss Weitsicht gehören. Die Weitsicht bezieht sich darauf, dass – anders als vielleicht noch 1949; die Perspektive ist jetzt 2049 – in der Wissens- und Bildungsgesellschaft sowie der Ökonomie der Zukunft der Bildungs- und Hochschulbereich eine ganz zentrale Rolle spielen wird. Was zentral ist, muss zentral mit anderen verantwortlich gestaltet werden können, und zwar verlässlich und nachhaltig. Deshalb ist es eine gute Entwicklung, dass im Koalitionsvertrag steht, dass der Bund auch in die Grundfinanzierung einsteigen können soll. Das wird erst durch diese Verfassungsänderung ermöglicht. Es ist auch gut, dass wir uns auf neue Formen der Wissenschaftsarchitektur einstellen.

Man muss nicht gleich eine Abscheu vor Exzellenzinitiativen zeigen und Abwehrreflexe mobilisieren. Auch Sie von der Linken haben doch bestimmte Vorstellungen über Modernisierung, Innovation, Wertschöpfung, Produktivität und die Gestaltung verbesserter Lebensbedingungen. Deshalb sollten Sie diese Initiativen nicht nur negativ sehen. Wir brauchen eine veränderte Wissenschaftsarchitektur.

Es ist doch absurd, wenn sich in Karlsruhe die außeruniversitäre Forschungseinrichtung und die Universität förmlich verrenken müssen, um eine Kooperation abschließen zu können. Das ist keine Frage von rechts oder links, sondern diese Absurdität sehen wir doch alle.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist absurd, dass wir in Berlin exzellente Forschungseinrichtungen, zum Beispiel die Charité, haben, die mit anderen Einrichtungen, die ebenfalls brillante Forschung betreiben, nicht zusammenkommen können. An dieser Stelle Kooperation ermöglichen zu können, ist genauso wichtig, wie darüber nachzudenken, wie eine zukünftige Profilierung und Entwicklung im Hochschulsystem selber aussehen soll.

Es hat einmal jemand ausgerechnet, dass wir in Europa in einigen Jahrzehnten – das ist gar nicht mehr so lange hin – gerade einmal 5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Wenn wir in Deutschland innerhalb dieser 5 Prozent ein Profil entwickeln wollen, dann müssen wir ein Zusammenwirken von Wissenschaft und Forschung und eine Kooperation von Bund und Ländern gewährleisten. Es darf nicht sein, dass der Bund nur akzidentell oder kurzfristig eingreift.

Das sind Begründungen, die man annehmen kann, aber nicht annehmen muss; aber diese sollten die Grundlage für Verfassungsänderungen sein, die über den Tag hinaus reichen, die Perspektiven ermöglichen sollen. Wir glauben, dass dies eine gute Verfassungsänderung für den Bereich Hochschule, Wissenschaft und Lehre ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es ist eine Verfassungsänderung, die Spielräume ermöglicht und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die wir bisher nicht hatten.

Da es an dieser Stelle eine breite Zustimmung auch von der CDU/CSU gibt, starte ich noch einmal einen Versuch in einem anderen Bereich. Mir kommt nicht aus dem Sinn, was mir einmal eine gute Freundin gesagt hat: Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, musst du es halt zum zweiten Mal versuchen. – Ich versuche es jetzt noch einmal, Sie auch

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie zur Vernunft zu bringen? Das klappt nicht!)

für die Bildung zu motivieren, zumal man weiß, dass es auch bei Ihnen einige gibt, die durchaus in diese Richtung weiterdenken wollen.

Wo ist eigentlich die Plausibilität, wenn wir als Gesamtstaat in New York die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnen, zu Hause aber diesen Impuls nicht aufnehmen können, sondern mit kleinster Münze darauf achten müssen, wo der Bund im Schlüsselsystem Schule Inklusion fördern darf?

Ein Nächstes. Wo ist die Plausibilität, wenn wir im Bildungs- und Teilhabepaket eine große Anstrengung unternehmen, um Bildungsarmut zu bekämpfen, während alle wissen, dass vieles besser wäre, wenn man strukturell schulische Institutionen unterstützt hätte, die viel mehr Wirksamkeit entfalten, wenn man dabei nicht Umwege hätte gehen müssen?

Auf die Zukunft gerichtet: Da wir wissen, wie sehr in der Hochschulbildung, aber auch in der Schulbildung die Digitalisierung zunimmt, ist es dann am Ende plausibel, dass wir eine Zusammenarbeit von der Verfassung her förmlich ausschließen, sodass es Open-Educational-Resources-Entwicklungen nur in einzelnen Bundesländern gibt? Kann es nicht notwendig werden, ganz bewusst in Bezug auf Schule einen zentralen Bundesimpuls zu setzen, weil damit die Entwicklung schneller käme und effizienter wäre, weil sie damit auch in größerer Homogenität käme, gerade bei diesem neuen Medium? Darüber werden wir noch diskutieren.

Bisher müssen wir darüber noch unter den Restriktionen einer Verfassungsbeschränkung, eines Kooperationsverbots in der Verfassung diskutieren, müssen an eine solche Frage mit einem Tabu im Kopf herangehen, statt sozusagen mit offenem Visier auf die zugehen zu können, die auch an dieser Frage arbeiten und etwas zusammenbringen wollen.

Das ist der Grund, weshalb wir das Kooperationsverbot als unzureichend, als kurzsichtig ansehen und weshalb es im Bundesrat – Frau Wanka, wir haben die Debatte sehr genau nachgelesen – sehr wohl auch andere Positionen, klare Positionen, aus sozialdemokratisch und rot-grün regierten Ländern gegeben hat. Ich habe Frau Löhrmann so verstanden, dass sie sich nicht daran verkämpfen will – „verkämpfen“ hieße: wir machen gar nichts mit; wir anerkennen nicht einmal das, was jetzt seitens der Bundesregierung vorgeschlagen wird –, aber weiter kämpfen will.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hört die Ministerin wieder nicht zu!)

Das macht eine Differenz, die man auch in der politischen Auseinandersetzung souverän respektieren sollte.

Nachdem ich vorhin ein bisschen flapsig zitiert habe, will ich jetzt mit Goethe enden – ihn hat auch Malu Dreyer im Bundesrat zitiert –: „Nicht Kunst und Wissenschaft allein, Geduld will bei dem Werke sein.“ Also: Unterstützung, Beifall hoffentlich für den einen großen Schritt, nämlich dafür, dass wir für die Hochschulen, für die Wissenschaft in jedweder Hinsicht kooperationsfähig werden, und Hoffnung auf und Streiten seitens der Linken, der SPD, der Grünen und all der einsichtigen Kollegen bei CDU und CSU für den nächsten großen Schritt!

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat der Kollege Kai Gehring das Wort.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Jetzt erklär mal, was dein Ministerpräsident sagt!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3969950
Wahlperiode 18
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)
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