Claudia Lücking-MichelCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum Weltmädchentag
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Menschenrechte sind Frauenrechte!“, „ Frauenrechte sind Menschenrechte!“: eine Selbstverständlichkeit? Mitnichten! Zur Geschichte der Menschenrechte gehört die Geschichte der Ausgrenzung von ihnen. Ihre Versprechungen galten die längste Zeit nur für bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Frauen und Mädchen gehörten meistens nicht dazu. Dabei reden wir nicht von grauer Vorzeit. Erst 1993 konnten die Frauenrechte als universelle Menschenrechte in den Abschlussdokumenten der UNO-Menschenrechtskonferenz in Kairo – immerhin auf dem Papier – verankert werden.
Als ich dann 1995 hochmotiviert als Mitglied der deutschen Delegation an der 4. UNO-Weltfrauenkonferenz in Peking teilnehmen konnte, war ich von dem Glauben beseelt: Jetzt haben wir Frauen es bald geschafft. Mitnichten! Die letzten Jahre und die aktuellen schrecklichen Erfahrungen zeigen uns, dass es nicht immer nur zum Guten vorangeht, sondern sich Entwicklungen in fürchterlicher Weise auch umkehren können. Die Berichte von Frauenrechtlerinnen aus dem Nordirak, die wir vor kurzem in der Gruppe der Frauen unserer Fraktion zu Gast hatten, hörten sich an wie Berichte aus einen Horrorfilm: Frauen und Mädchen als Freiwild, systematisch vergewaltigt, als Sklavinnen verkauft und von den eigenen Familien als angeblich Entehrte verstoßen.
Wir debattieren heute aus Anlass des morgigen dritten internationalen Weltmädchentages. Dieser weltweite Aktionstag, für den sich unser Haus 2011 interfraktionell eingesetzt hat, ist 2014 wichtiger denn je; denn über die Jahre haben wir lernen müssen: Mädchen werden nach wie vor vielfältig benachteiligt, diskriminiert, sind Gewalt oft schutzlos ausgeliefert. Der aktuelle Bericht der Weltbank zeigt dies in erschreckenden Zahlen.
Die Unterdrückung von Mädchen, ihre Ungleichbehandlung und Entrechtung beginnt dabei nicht erst im Kindesalter, nicht erst mit der Geburt, sondern oft genug schon im Mutterleib. Ultraschall macht es möglich, unerwünschten weiblichen Nachwuchs schon während der Schwangerschaft zu töten. Wo kein Ultraschall verfügbar ist, werden unerwünschte Mädchen bis heute noch in manchen Fällen kurz nach der Geburt einfach getötet.
Ich war in Dörfern in Indien, wo das Ersticken eines Säuglings mit einer Handvoll Reis nach wie vor gesellschaftlich akzeptiert war. Mütter, die sich weigerten, dabei mitzumachen, bekamen den ganzen Druck ihres sozialen Umfeldes zu spüren. Dabei waren es oft ökonomische Gründe: Mädchen waren einfach zu teuer; denn die Mitgift treibt die Familie in den Ruin und ihre Arbeitskraft geht nach der Hochzeit zudem an die Schwiegerfamilie verloren. Eine niederschwellige Geburtenregistrierung, wie sie es leider in vielen Ländern immer noch nicht gibt, würde schon helfen, um die Neugeborenen besser zu schützen und später auch ihre Rechte zu schützen.
Bis 2015 sollten eigentlich die acht Millenniumsziele der Vereinten Nationen, die sogenannten MDGs, erreicht sein. Hierzu gehören auch Dinge wie Gleichstellung von Mädchen und Jungen, Grundschulbildung für alle, Senkung der Kindersterblichkeit und die Verbesserung der Gesundheit von Müttern. Aber – wir wissen es alle – in vielen Ländern sind wir von diesen Zielen nach wie vor weit entfernt. Wenn wir jetzt zudem in den Irak, nach Syrien oder nach Nigeria blicken, dann wissen wir: Wir sind erst recht zum Handeln gezwungen. Zwar wurde schon 1995 in Peking gefordert, dass Mädchen weltweit einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung erhalten, aber davon sind wir ebenso weiterhin weit entfernt. Nichts ist daher enttarnender als der Name „Boko Haram“, der übersetzt etwa bedeutet: Westliche Bildung ist gottlos.
Heute Vormittag – wir haben es wahrscheinlich alle mitbekommen – wurde bekannt, dass das pakistanische Mädchen Malala den diesjährigen Friedensnobelpreis erhält.
(Beifall im ganzen Hause)
Herzlichen Glückwunsch auch von dieser Stelle! Ich freue mich und wir freuen uns offensichtlich alle über diese Entscheidung. Sie ist nicht nur eine wichtige Symbolfigur, sondern man kann fast sagen: Sie ist Märtyrerin für Bildung geworden.
Schon gestern hatte ich mir ein Zitat von ihr vor der UN-Jugendgeneralversammlung aufgeschrieben, das ich jetzt erst recht, nach der Preisverleihung, hier vortragen möchte. Sie sagt:
Sie fährt dann fort:
Besser kann man es wohl kaum formulieren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wissen aus Erfahrung: Mädchen Bildung zu ermöglichen, sie über ihren eigenen Wert und ihre Rechte aufzuklären, ihnen praktisches Wissen für ein selbstbestimmtes Leben zu vermitteln, verändert ganze Gesellschaften. Frauen mit Schulbildung heiraten in der Regel später, bekommen weniger Kinder und sind dann besser in der Lage, für diese zu sorgen. Jedes zusätzliche Schuljahr für ein Mädchen erhöht später bei der jungen Frau das potenzielle Einkommen um 10 bis 20 Prozent. Das sind wichtige Schritte, um den Kreislauf der Armut nachhaltig zu durchbrechen.
Lassen Sie uns also alles tun, damit Mädchen ihr Recht auf Bildung verwirklichen können. Damit setzen wir den Hebel an der richtigen Stelle an. Dabei geht es um formale Schulbildung ebenso wie um sexuelle Aufklärung und Gesundheitsversorgung.
Unser Augenmerk muss dabei verstärkt auf die Gruppen unter den Mädchen gerichtet sein, die noch einmal in besonderer Weise gefährdet und benachteiligt sind – man braucht es nicht zu erklären –: Flüchtlingsmädchen – sie erleiden nicht nur vielfach besondere Gewalt, sondern müssen auch enorme Anpassungsleistungen vollbringen –, arbeitende Mädchen – sie brauchen Unterstützung, damit ihre Lage überhaupt gesellschaftlich sichtbar wird –, traumatisierte Mädchen, Mädchenwaisen – sie sind ganz allein auf der Welt –, Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel.
Die Stellung der Mädchen reflektiert dabei eins zu eins die Stellung der Frauen in der Gesellschaft. Darum trete ich dafür ein, dass wir in der Post-2015-Entwicklungsagenda die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen sowie die Wahrung von Frauen- und Mädchenrechten als eigenständige Ziele aufnehmen.
(Beifall im ganzen Hause)
Das muss vor allen Dingen folgende Aspekte beinhalten: Beendigung der Diskriminierung von Mädchen, Beseitigung von gewaltsamen Praktiken, vor allen Dingen bei Früh- und Zwangsverheiratung, Beendigung der weiblichen Beschneidung, gleichberechtigte gesellschaftliche und politische Teilhabe von Mädchen und Frauen, und das heißt in der Regel: vollständige ökonomische Unabhängigkeit durch gute eigene Arbeitsmöglichkeiten.
Der morgige Weltmädchentag erinnert an unsere Verantwortung, zu handeln. Als Parlamentarier müssen wir uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, eine gleichberechtigte Entwicklung von Mädchen überall auf der Welt zu ermöglichen. Wir müssen darauf achten, dass wir bei allen Maßnahmen, die wir uns in der Entwicklungszusammenarbeit vornehmen, die Interessen von Mädchen und Frauen im Blick behalten. Wir müssen darauf achten, dass sie vor Ort bei allen Entscheidungen mit einbezogen werden und dass unsere Fachkräfte nicht nur mit den Männern vor Ort verhandeln. Es geht um Empowerment.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass bald der Tag kommt, an dem der Satz „Frauenrechte sind Menschenrechte“ nicht nur auf dem Papier gilt. Noch ist es bis dahin ein weiter Weg.
Vielen Dank.
(Beifall im ganzen Hause)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Annette Groth, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3970182 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 58 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Weltmädchentag |