10.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 25

Ursula SchulteSPD - Vereinbarte Debatte zum Weltmädchentag

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir würdigen heute den 11. Oktober, den Tag, den die Vereinten Nationen zum Weltmädchentag ausgerufen haben. Das ist auch gut so. Denn einen solchen Tag können wir dazu nutzen, um auf die Rechte von Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen, und er gibt uns Gelegenheit, zu verdeutlichen, dass die Forderung auf ein selbstbestimmtes, chancengleiches und erfolgreiches Leben für Mädchen noch lange nicht überall erfüllt ist. Ja, wir sind in einigen Ländern sogar noch meilenweit von der rechtlichen Gleichstellung entfernt. Das müssen wir uns und der gesamten Weltöffentlichkeit immer wieder ins Gedächtnis rufen. Ich bin sicher: Wir verspielen unsere Zukunft, wenn wir in unseren Forderungen nachlassen. Mädchen müssen gefördert werden. Mädchen brauchen gleiche Chancen und gleiche Rechte, und das weltweit und in allen Bereichen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch ist der Weltmädchentag vielleicht am Ende nur ein Symbol. Reiht sich der Mädchentag nur in die endlose Kette von Feier- und Gedenktagen ein? Nach dem Muttertag, dem Frauentag und dem Weltkindertag auch noch einen Weltmädchentag? Immer wenn ich über diese speziellen Frauenfeiertage rede, sehe ich verdrehte Männeraugen. Glauben Sie mir, ich kann die Gedanken dieser Männer lesen. Viele Männer fragen sich auch heute noch: Muss das denn sein? Was wollen die Frauen denn noch? Haben sie noch nicht genug erreicht?

(Annette Groth [DIE LINKE]: Nein, haben wir nicht!)

Ihre alles entscheidende Frage lautet: Wo bleiben eigentlich wir Männer?

Vor kurzem hielt Emma Watson, die Ihnen als Schauspielerin aus den Harry-Potter-Filmen vielleicht bekannt ist, ihre erste Rede als UN-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte. Sie sagte zu genau diesem Problemfeld:

Mein Ansatz ist, dass wir einen Weltmädchentag brauchen, weil Mädchen in vielen Ländern immer noch aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert werden, weil sie keinen Zugang zu Bildung haben, weil sie keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, weil sie anders als ihre Brüder keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, weil sie immer wieder Opfer sexualisierter Gewalt werden und – im schlimmsten Fall – weil sie gar nicht erst geboren werden. Weibliche Föten werden abgetrieben, und neugeborene Mädchen werden getötet.

Hierzu ein kleines Beispiel. Ich kenne eine junge Neonatologin, also eine Ärztin, die sich um Frühchen kümmert. Sie hat mir erzählt, dass sie während ihrer Hospitanz in einem indischen Krankenhaus einem gesunden kleinen Mädchen auf die Welt geholfen hat. Niemand hat sich über die Geburt dieses kleinen Mädchens gefreut, selbst die eigene Mutter nicht. Es war halt nur ein Mädchen, kein Junge, kein Stammhalter. Das Mädchen war, wie gesagt, gesund. Aber am anderen Tag war es aus unerklärlichen Gründen verstorben.

Hier beginnt Diskriminierung. Ich finde, das ist eine viel zu harmlose Beschreibung. Selektierung ist wohl passender. Das dürfen wir nicht länger zulassen. Dagegen müssen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln einschreiten. Ich weiß nur zu gut, dass sich hier kulturelle Traditionen und Menschenrechte gegenüberstehen. Ich will auch kein westliches Sendungsbewusstsein. Ich möchte nur, dass man jedem Menschen unabhängig vom Geschlecht das Recht auf ein menschenwürdiges Leben einräumt, nicht mehr, aber auf keinen Fall weniger.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was können wir nun mit Blick auf die Entwicklungsländer tun? Wir müssen den Gordischen Knoten von Armut und begrenztem Zugang zu guten Bildungs- und Arbeitsmarktchancen durchbrechen. Bildung ist und bleibt der Schlüssel zur Veränderung. Gelingt es einem Entwicklungsland, die Alphabetisierung von jungen Mädchen voranzutreiben, sinken erfahrungsgemäß Geburtenrate und Kindersterblichkeit, und das Pro-Kopf- Einkommen steigt. Die Ausbildung von Mädchen wirkt sich positiv auf die gesamte Entwicklung eines Landes aus.

Die bisher jüngste Friedensnobelpreisträgerin ist heute schon oft zitiert worden, aber ich tue es noch einmal, weil das, was sie zum Thema „Bildung in den Entwicklungsländern“ gesagt hat, so einfach und klar ist. Dies sollten wir verinnerlichen. Malala hat an ihrem 16. Geburtstag gesagt:

Was soll man dazu noch sagen? Das muss man einfach umsetzen.

Wir sollten aber nicht nur auf die Entwicklungsländer schauen. Auch bei uns in Europa, auch bei uns in Deutschland ist die Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Mädchen und jungen Frauen noch nicht überall Realität. Grundsätzlich haben Mädchen und junge Frauen in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Wir können bei ihnen einen Anstieg von guten und sehr guten Bildungsabschlüssen feststellen. Wir sehen, dass 53 Prozent der Studierenden in der Europäischen Union weiblich sind, in Deutschland sind es 49,5 Prozent. Darauf können wir stolz sein.

Dennoch: Bei Schulbesuchen und vielen Gesprächen in den Schulen musste ich feststellen, dass sich die Berufswahl von Mädchen und jungen Frauen heute noch immer auf einige wenige Berufe verengt, eben auf die traditionellen Mädchenberufe, die zudem noch geringe Bezahlung und vor allem einen Mangel an Aufstiegsmöglichkeiten aufweisen. Aus diesem Grund brauchen wir eine noch gezieltere Berufsorientierung für Mädchen, die nicht auf festgefahrenen Rollenklischees aufbaut, sondern das Interesse an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik weckt. Mädchen sollten auch hier ihre Kreativität entwickeln können.

Nach wie vor gibt es bei uns auch benachteiligte Mädchen. Ihnen werden der Zugang zu Bildung und der Einstieg in das Berufsleben erschwert. Das trifft in ganz besonders hohem Maße auf Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund zu. Wir dürfen davor die Augen nicht verschließen, sondern müssen Angebote machen, die diesen Mädchen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.

Kollegin Schulte, achten Sie bitte auf die Redezeit. Das Minus auf der Anzeige weist darauf hin, dass Sie Ihre Redezeit schon über eine Minute überzogen haben.

Ich komme zum Schluss und sage nur noch, dass ich finde, dass die Männer mit ihren rollenden Augen dennoch in einem Punkt recht haben: Bei aller Förderung von jungen Frauen und Mädchen dürfen wir die Förderung der Jungen nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen deren Interesse für Familienarbeit, für Kindererziehung, für Hausarbeit wecken. Nur wenn diese Aufgaben in Zukunft partnerschaftlich verteilt werden, kann Gleichberechtigung gelingen.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der es Mädchen und Frauen gut geht. Denn dann geht es auch den Männern und Jungen gut. Und das ist doch das, was wir gemeinsam erreichen wollen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3970232
Wahlperiode 18
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Weltmädchentag
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