Klaus BarthelSPD - Digitale Agenda 2014 bis 2017
Danke, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf meine Rede haben bestimmt alle schon lange gewartet.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sind eigentlich schon mittendrin in dem Thema, auf das ich hinweisen will: Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche der Menschen, auch das Wohnzimmer. Ich will vor allen Dingen auf die wirtschafts- und arbeitspolitischen Perspektiven eingehen. Im Übrigen ist es – auch wenn ich mich damit bei einigen hier bestimmt unbeliebt mache – nicht ganz falsch, dass der Antrag der Grünen im Wirtschaftsausschuss behandelt wird. Denn die Wirtschaft wird mit am stärksten verändert; die globalen Wirtschaftsbeziehungen, die Entwicklungen auf den Finanzmärkten, die wir erleben und erlebt haben – mit all ihren Licht- und Schattenseiten –, wären ohne die Digitalisierung nicht denkbar.
Es verändern sich die Bedingungen des Wettbewerbs innerhalb der Sektoren und zwischen den Sektoren der Wirtschaft und zwischen den Regionen. Es verändert sich die ganze Arbeitswelt: die Arbeitsorganisation, die Arbeitsgestaltung und auch die Arbeitsbeziehungen. Das passiert eben nicht nur in einigen Bereichen, die hier gern als Highlights diskutiert werden – die Stichworte „Industrie 4.0“ und „Gründerszene“ fallen oft –, sondern es geht quer durch alle Branchen und Betriebe. Es geht zum Beispiel auch um das Handwerk 4.0, um die industrienahen Dienstleistungen, um die sozialen und die Humandienstleistungen; es geht um die ganze Wertschöpfungskette, vom Rohstoff über die Zulieferung – in Klammern: Logistik – bis hin zum Einzelhandel, zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern und zur Entsorgung. All diese Bereiche – ich kann das nicht innerhalb von vier Minuten ausführen – werden ganz praktisch und hautnah davon berührt, und niemand ist in seinem Arbeitsleben mehr davon ausgenommen.
Ich warne hier immer ein bisschen vor dem falschen Pathos, das hier manchmal durchklingt und das man immer wieder in den Medien findet. Da ist die Rede von der „Diktatur der Perfektion“ aufgrund der Digitalisierung. Da ist die Rede vom „Kampfplatz Internet“ und von einem dritten Weltkrieg, über den gerade entschieden wird. Da ist die Warnung vor „Maschinenstürmerei“ und vor den „Mormonen der digitalen Welt“; das sollen diejenigen sein, die an der einen oder anderen Stelle auch einmal „aber“ sagen. Herr Jarzombek, bei aller Koalitionstreue: Ich finde, Angst ist in diesem Zusammenhang ein schlechter Ratgeber.
(Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Aha!)
Ich halte mich eher an das Wissen. Es wimmelt zurzeit von Studien aller möglichen Verbände, Branchen und Unternehmen. Aber wenn man fragt: „Was haben wir eigentlich an systematisiertem Wissen über die Digitalisierung?“, dann stellt man fest: Es existieren wenige Vorstellungen darüber, wie man zum Beispiel all die schönen Chancen, die das Internet bietet, zum Vorteil der Menschen nutzen kann, wie man die Risiken eindämmen und die digitale Welt gestalten kann. In diesem Bereich gibt es enormen Forschungsbedarf. Was bedeutet die flächendeckende Digitalisierung für die Wirtschaft und für die Arbeit? Welche Alternativen in der Entwicklung gibt es?
Es ist gut, dass wir 1 Milliarde Euro für die Forschung einsetzen können. Aber ich würde mir wünschen, dass mit Blick auf den Bereich der arbeitsweltbezogenen Forschung auch im Titel des Haushalts des Wirtschaftsministeriums, der sich auf die digitale Welt bezieht, ein bisschen mehr getan würde, um die Vorhaben systematisch darzustellen. Wir sind nämlich nicht nur dazu da, den Lauf der Dinge zu beobachten und zu kommentieren, sondern wir sind auch dazu da, den politischen Rahmen zu setzen. Das bedeutet vor allen Dingen, die Menschen zu befähigen, ihren Arbeits- und Lebensalltag selbstbestimmter zu gestalten. Dazu gehören die Aspekte der Qualifizierung. Man kann nicht immer nur von der Notwendigkeit von Weiterbildung reden, sondern man muss auch sagen, welche Rechte, Instrumente und Finanzierungsmöglichkeiten man schaffen will, um Weiterbildung und Qualifizierung zu sichern. Man kann nicht immer nur darüber reden, dass die Digitalisierung die Arbeitszeit verändert, sondern wir müssen uns überlegen, wie man die gesparte Arbeitszeit nutzen kann, um die Beschäftigten zu entlasten, um die digitale Prekarisierung zu verhindern und um neue Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
(Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Wie kann man Gesundheitsschutz unter Berücksichtigung der alten und der neuen Belastungen, zum Beispiel der psychischen Krankheiten, gewährleisten? Hier brauchen wir eine Humanisierungsstrategie. Was tun wir bezüglich einer neuen Ordnung auf den neuen Arbeitsmärkten? Welche neuen Formen von informeller Arbeit wird es geben: Cloud Working usw.? Wie können wir all dem mit einer Mitbestimmungsstrategie begegnen?
Viele der genannten Aspekte sind in der Enquete- Kommission angedeutet worden. Aber seien Sie, liebe Mitglieder der Kommission, einmal ehrlich: Viele Probleme wurden zwar richtig benannt, aber die Empfehlungen waren nicht so deutlich.
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Bitte? Haben Sie das Ding mal gelesen, Herr Kollege? Sie reden darüber, aber Sie haben das doch nie gelesen!)
Herr Kollege Barthel, Sie denken an die vereinbarte Redezeit?
Ich komme zum Schluss.
(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Ihre eigene Fraktion ist schon hinreichend verwirrt! – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Wir schicken Ihnen mal ein Exemplar unseres Berichts!)
Herr Präsident, ich kann meinen letzten Satz nicht ausführen, wenn die Kollegen dort drüben so unruhig sind.
(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Das ist ja auch kein Wunder bei Ihrer Rede!)
– Sie können gleich etwas dazu sagen, Herr Tauber.
Wir wollen die Arbeitswelt gestalten. Hier geht es nicht um die Belastungen für die Wirtschaft oder um Maschinenstürmerei, sondern es geht darum, dass wir die Voraussetzung dafür schaffen, dass Digitalisierung funktionieren kann. Wer die politische Gestaltung und die gesellschaftliche Gestaltung als wirtschafts- und innovationsfeindlich diskreditiert – ich habe die Veränderungen gerade genannt –, ist der eigentliche Blockierer der digitalen Zukunft.
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Da gibt es nicht einmal Applaus von der eigenen Fraktion! Das ist ein klares Zeichen!)
Vielen Dank. Das war ein ausführlicher letzter Satz. – Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Marian Wendt für die CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3991176 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 60 |
Tagesordnungspunkt | Digitale Agenda 2014 bis 2017 |