16.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 5

Michael GerdesSPD - Gesetzliche Tarifeinheit

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnern und Zuschauer! Wer mich und meine Biografie kennt, wird sich nicht wundern, wenn ich sage: Hände weg vom Streikrecht! Das Streikrecht muss fortbestehen. Es darf nicht angetastet werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ohnehin sind die Möglichkeiten der Arbeitsniederlegung im Vergleich zu anderen Ländern bei uns einigermaßen starr. Gleichwohl sind wir mit diesen Regelungen, so meine ich, bisher gut gefahren.

Das Thema Tarifeinheit steht auf der politischen Agenda, weil wir eine gewisse Zunahme an Arbeitskämpfen beobachten. Sie gehen allerdings nicht in die Breite, sondern die Streiks finden an Stellen statt, wo sich der Effekt aufgrund der Arbeitsniederlegung weniger Menschen potenziert und die Auswirkungen für viele Unbeteiligte deutlich spürbar sind. Wenn Förderbänder in einem Betrieb bestreikt werden, hat das andere Dimensionen als die Streiks beispielsweise von Lokführern oder Piloten.

Selbstverständlich haben auch Spartengewerkschaften das Recht, ihre Interessen mit Streiks zu vertreten. Der Streik der GDL zeigt beispielsweise auf: Das Verständnis für die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und mehr Lohn ist vorhanden, aber es ist nicht unendlich. Wer als Minderheit eine Schlüsselfunktion hat, hat auch besondere Verantwortung für die Mehrheit in seinem Betrieb und auch außerhalb des Betriebes. Wenn Tausende Pendler an mehreren Tagen im Jahr streikbedingt gar nicht oder zu spät zur Arbeit kommen, ist das Gesamtgefüge gefährdet. Speziell bei der Bahn ist die öffentliche Mobilität zu gewährleisten. – Ich glaube, Frau Krellmann möchte eine Zwischenfrage stellen.

Kollege Gerdes, genau, ich wollte Sie nur nicht im Redefluss unterbrechen.

Danke schön.

Möchten Sie der Kollegin Krellmann eine Bemerkung oder Frage gestatten?

Ja, natürlich, ich weiß nur noch nicht, womit ich Sie gereizt habe, Frau Krellmann.

Sie haben gesagt, dass es so viele neue Streiks gibt. Da hätte ich gerne von Ihnen gewusst, wo denn eigentlich.

Ich kann mich daran erinnern, Frau Krellmann, dass die Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten, was Streiks anging, sehr zurückhaltend waren, aber die Auswirkungen der Streiks in den letzten Monaten – ich nannte vorhin das Beispiel Mobilität – deutlich zu spüren sind. Wenn Sie zum Beispiel gestern oder letzte Woche oder im September am Bahnhof gestanden haben, dann werden Sie festgestellt haben, dass es durchaus mehr Streiks gibt. Ich habe gerade auch deutlich gesagt, dass wir mit den Regelungen, die festlegen, wie bei uns überhaupt gestreikt werden darf – sie sind relativ starr –, in den letzten Jahren gut leben konnten. Dennoch bemerken wir jetzt eine Zunahme von Streiks. Das ist doch der Grund dafür, warum wir hier heute überhaupt über Tarifeinheit und über eine mögliche Gesetzesänderung diskutieren. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Ich fahre fort. Streiks bei der Bahn verursachen für die Kunden nervige Wartezeiten, aufwendige Planänderungen im Berufsalltag und auch Zusatzkosten für alternative Transportmittel. Die Koalition hat sich die sogenannte Tarifeinheit zur Aufgabe gemacht. Noch ist nicht klar, wie eine gesetzliche Tarifeinheit im Detail aussehen könnte. Ehrlich gesagt: Die Juristen sind nicht zu beneiden. Wir suchen im Grunde genommen nach der Quadratur des Kreises.

(Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Streikrecht ist ein hohes Gut, das wir erhalten wollen. Die Tarifpolitik der Gewerkschaften und die betriebliche Mitbestimmung sind seit Jahrzehnten feste Größen in unserem Wirtschaftssystem und in unserem Sozialstaat. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen eine starke Stimme. Der Interessensausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern funktioniert nur mit den Gewerkschaften, nicht gegen sie und schon gar nicht gegen ihre Rechte.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU])

In einem gemeinsamen Positionspapier schlagen BDA und DGB vor, den Grundsatz der Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. Als einen wesentlichen Punkt fordern sie, dass bei Überschneidung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb der Tarifvertrag anwendbar ist, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist. Mit diesem vorgeschlagenen Prozedere würde der Grundsatz der Tarifeinheit beibehalten und Rechtsklarheit für den Fall einer Kollision unterschiedlicher Tarifverträge geschaffen werden. Das ist ein Punkt, über den die Tarifparteien, so meine ich, nachdenken sollten.

Ich sehe im Übrigen auch die Tarifparteien in der Pflicht, sich über die Tarifeinheit Gedanken zu machen. Der kurze Satz, den wir heute schon oft gehört haben: „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“, macht Sinn; so schlecht war diese Regelung nicht.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Es geht nicht um „erwünschte“ oder „unerwünschte“ Gewerkschaften, es geht um klare Positionen und Verhandlungspartner, es geht darum, dass Gewerkschaften als letztes Mittel zum Streik aufrufen können. Wir wollen eine gesetzliche Regelung, um angesichts der Rahmenbedingungen, die sich in den letzten Jahren geändert haben, klare Positionen zu schaffen – gesetzeskonform, im Interesse der Beschäftigten wie im Interesse der Betroffenen. Ich bin dankbar, dass wir dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben, um ausführlich darüber zu diskutieren.

Sicherlich macht sich an dieser Stelle auch das Thema „Verankerung von Gewerkschaften in Betrieben“ bemerkbar. Die Veränderungen der Branchen durch neue Technologien und Privatisierung – Sie haben es gerade auch noch einmal gesagt, Frau Krellmann und Herr Ernst – stellen die Gewerkschaften seit Jahren vor neue Herausforderungen. Zersplitterung, meine ich, müssen wir verhindern. Solidarität hat uns in Deutschland stark gemacht.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch einen Appell an die Sozialpartner insgesamt: Das Zusammenspiel von Arbeitnehmern und Arbeitgebern hat sich in Deutschland bewährt. Setzen Sie sich wieder an einen Tisch! Stellen Sie realistische Forderungen und gemeinsame Ziele auf! Erhöhen Sie die Tarifbindung! Nur so lassen sich übertriebene Arbeitskämpfe verhindern.

Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kollegin Katja Keul spricht nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3991317
Wahlperiode 18
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Gesetzliche Tarifeinheit
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