16.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 5

Tobias ZechCDU/CSU - Gesetzliche Tarifeinheit

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jahrzehntelang galt der Grundsatz: ein Betrieb – ein Tarifvertrag. Wir haben das heute schon mehrmals gehört. Ich habe immer das Glück, als einer der Letzten zu sprechen, was dazu führt, dass ich mein Konzept zur Seite legen kann. Aber jetzt habe ich in das Konzept von Bündnis 90/Die Grünen gesehen; denn zu diesem Thema gab es von Bündnis 90/ Die Grünen einen Fraktionsbeschluss vom 1. Juli 2014. Darin lese ich: Jahrzehntelang hat es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegeben, jahrzehntelang waren sich Gesetzgeber und Rechtsprechung, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände einig.

Jahrzehntelang galt, dass nur ein Tarifvertrag Anwendung findet. Vor 2010 hieß der Grundsatz in der Rechtsprechung: Die Folgen der Verdrängung anderer Tarifverträge seien im Interesse der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit hinzunehmen. Die Anwendung mehrerer Tarifverträge nebeneinander führe zu rechtlichen und tatsächlichen Unzuträglichkeiten, die durch den Grundsatz der Tarifeinheit vermieden würden. – So klar war die Rechtsprechung bis 2010. Bis dahin konnte damit jeder gut leben.

Jetzt diskutieren wir heute über das Bestehen der Tarifpluralität. Dafür haben Sie einen Zeitpunkt gewählt, zu dem wir noch nicht einmal einen Gesetzentwurf vorliegen haben, sondern nur ein Eckpunktepapier. Es stammt vom Juli 2014 und ist wahrscheinlich schon überholt. Versuchen wir also, die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu prüfen, von dem wir nicht wissen, wie es aussieht

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir wissen, was ihr wollt!)

– auch wir nicht, Kollege Ernst –, von dem aber zu erwarten ist – das hat der Kollege Schiewerling klargemacht –, dass darin auf die Verfassungstreue ein besonderes Augenmerk gelegt wird.

Zudem heißt es in dem vorliegenden Antrag, es gebe keinen Handlungsbedarf. Eines muss man natürlich schon sagen: Von britischen oder französischen Verhältnissen sind wir weit entfernt.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)

Auch ein Streik ist nicht der Untergang des christlichen Abendlandes. Zu der vernünftigen Tarifpolitik, die wir seit 60 Jahren machen, gehört: Arbeitnehmer und Arbeitgeber entscheiden gemeinsam.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo ist denn jetzt das Problem?)

Das Ziel dieser Politik ist aber immer – auch das hat Karl Schiewerling dargestellt –, den Betriebsfrieden zu wahren. Streik ist aber die Unterbrechung dieses normalen Zustandes.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach vier Jahren ist es jetzt so!)

Aber können wir davon ausgehen, dass dieser Zustand so bleibt? Es haben sich natürlich seit 2010 ein paar kleine Gewerkschaften gegründet. Müssen wir erst abwarten, wenn wir doch schon sehen, dass sich die Tariflandschaft verändert?

Mit Blick auf die Geschichte müssen wir noch etwas sagen: 2010 haben sich nach der Änderung der Rechtsprechung die BDA und der DGB in ungekannter Einigkeit gemeinsam aufgemacht und festgestellt, dass für das Durchsetzen der gemeinsamen Interessen eine Regelung der Tarifeinheit notwendig ist. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Gestern stand in der Süddeutschen Zeitung, dass die Vereinigung Cockpit seit April sechs Streikaktionen mit einer Streichung von mehr als 4 300 Flügen und 500 000 betroffenen Passagieren durchgeführt habe. Auch wenn sich die Zahl der Streiktage im Allgemeinen im Rahmen hält, nimmt die Zersplitterung natürlich dann ihren Lauf, wenn ich immer für Partikularinteressen kämpfe. Meine Meinung ist, dass Zustände wie bei der Lufthansa nicht auch in anderen Betrieben überhandnehmen dürfen. Daher brauchen wir eine Regelung, und zwar eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um die Koalitionsfreiheit einzuschränken!)

Die sollte insbesondere zwei Schwerpunkte abdecken, zum einen den volkswirtschaftlichen Schaden, über den wir auch sprechen müssen: Wenn die Bahn streikt, verursacht das täglich einen Schaden von 100 Millionen Euro. Da ist die Volkswirtschaft aus meiner Sicht ab einer gewissen Dauer unverhältnismäßig hart getroffen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben nicht Sie zu beurteilen, das machen die Gerichte!)

„Die Tarifpolitik der Gewerkschaften lebt von Solidarität“, heißt es in Ihrem Antrag. Unter Solidarität verstehe ich aber nicht, dass einige wenige – es sind teilweise weniger als 1 Prozent der Beschäftigten – einen ganzen Betrieb lahmlegen können, diesen schlimmstenfalls sogar in der Existenz gefährden können, um eigene Partikularinteressen durchzusetzen. Uns geht es um die Solidarität unter den Mitarbeitern und in der Belegschaft. Die Tarifautonomie hat eine Ordnungs- und Befriedungsfunktion. Von der entfernen wir uns immer weiter. – Das war der erste Punkt.

Der zweite Punkt: Es geht auch darum – das wird früher oder später auch volkswirtschaftliche Folgen nach sich ziehen –, den innerbetrieblichen Frieden zu sichern. Eine Tarifkonkurrenz in einem Betrieb kann nur zu immensen betriebsinternen Verstimmungen führen. Glauben Sie mir, ich war früher in einem Betrieb, in dem wir Spartengewerkschaften hatten. Da wird diskutiert, da wird auch unter den Kollegen diskutiert. Der Erhalt der Tarifpluralität kann uns dahin bringen, dass unterschiedliche Arbeitsverträge und Löhne in einer Mannschaft gelten. Das treibt die Truppe auseinander und gefährdet in höchstem Maße den Betriebsfrieden.

Wie man diesen zerstört, haben wir jetzt bei der Auseinandersetzung zwischen GDL und EVG wunderbar beobachten können. Die GDL verhandelt für 30 Prozent der Zugbegleiter mit und will 5 Prozent mehr Lohn und wöchentlich zwei Arbeitsstunden weniger erreichen. Das würde im Ergebnis dazu führen, dass knapp ein Drittel der Zugbegleiter zwei Stunden weniger arbeitet, und zwar für mehr Lohn als der Rest der Mannschaft. Das ist Gift für den Betrieb und kann in diesem zu irreparablen Schäden führen. Schlimmstenfalls drohen Spaltungen der Belegschaft, exzessive Arbeitskämpfe und eine sinkende Akzeptanz des Tarifvertragsystems. Das kann eigentlich niemand wollen.

(Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Bitte.

Sie lassen die Kollegin Müller-Gemmeke etwas sagen oder auch fragen? – Bitte schön. Ich halte die Uhr an.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben mich jetzt doch gereizt, zwei Vorbemerkungen zu machen und eine Frage zu stellen.

Das Erste. Sie haben die Verhältnismäßigkeit von Streiks angesprochen. Ich bin froh, dass wir dafür Gerichte haben, die das zu beurteilen haben, und nicht die Politik.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Richtig!)

Das Zweite ist: Ich höre bei Ihnen heraus, dass Sie auch beurteilen, ob Tarifverhandlungen gut verlaufen oder nicht. Auch da sage ich: Ich glaube, Politik hat nicht zu beurteilen, ob Tarifverhandlungen gut verlaufen oder nicht.

Meine Frage ist: Sie reden gerade die ganze Zeit vom innerbetrieblichen Frieden. Jetzt haben wir nun einmal die Situation, dass es Tarifpluralität gibt; das heißt, wir haben die großen DGB-Gewerkschaften, aber wir haben auch die Berufsgewerkschaften. Jetzt kommen Sie eventuell mit einem Gesetz daher, das besagt, dass da wieder Ordnung hineingehört.

(Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD]: Es gibt noch kein Gesetz, Frau Kollegin!)

Wie die Ordnung auszusehen hat, können wir uns momentan vorstellen.

Da frage ich Sie jetzt wirklich ernsthaft: Glauben Sie, dass die kleinen Berufsgewerkschaften das einfach so hinnehmen werden? Ich bin der Meinung, dass es zu richtiger Konkurrenz in den Betrieben kommen wird. Natürlich wird der Kampf um die Mehrheit im Betrieb verschärft. Glauben Sie wirklich, dass die kleinen Berufsgewerkschaften einfach sagen: „Okay, dann hören wir halt auf“? Stattdessen werden sie kämpfen. Glauben Sie nicht, dass dann der betriebliche Friede tatsächlich gestört wird?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zunächst einmal danke für die Frage. – Nein, das glaube ich eben nicht. Wissen Sie, ich bin sogar davon überzeugt, dass der Grund dafür, warum wir Spartengewerkschaften haben, ist – das muss man fairerweise ansprechen; nehmen wir einmal das Beispiel Marburger Bund –, dass sich die Ärzte von Verdi nicht richtig vertreten gefühlt haben.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)

Dazu gehört natürlich auch, dass man die eigene Meinung artikuliert. Die Frage ist nur, ob man für einen Teil der Belegschaft spricht oder das Gesamtinteresse im Blick hat. Ich glaube nicht, dass es zu einer Zersplitterung kommt, weil die Gewerkschafter, die ich bis jetzt kennengelernt habe – und zwar alle; vielleicht gab es eine Ausnahme –, nicht die Interessen Einzelner und kleiner Sparten, sondern immer den Betrieb und die gesamte Belegschaft im Blick gehabt haben. Deswegen ist meine Antwort auf Ihre Frage: Nein, das glaube ich nicht.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nach der Konkurrenz im Betrieb gefragt! Sie haben nicht geantwortet!)

– Doch. Das war ein klares Nein auf die Frage.

Die zentrale Herausforderung des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens liegt darin, ein demokratisches und pluralistisches Mehrheitsprinzip bei der Wahrung der Tarifeinheit im Betrieb zu entwickeln. Es geht darum – jetzt kommen wir noch einmal zu Ihrem Thema, Frau Müller-Gemmeke –, die kleineren Gewerkschaften in ein demokratisches Verfahren mit starken Minderheitsrechten einzubinden. Zudem sollen die Ausnahmen gelten, dass eine Auflösung nicht erforderlich ist, wenn die Gewerkschaften ihre jeweiligen Zuständigkeiten abgestimmt haben und die Tarifverträge jeweils für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten. Das ist die sogenannte gewillkürte Tarifpluralität. Eine Auflösung ist ebenfalls nicht erforderlich, wenn die Gewerkschaften inhaltsgleiche Tarifverträge abgeschlossen haben.

Dass wir ein Gesetz zur Tarifeinheit verfassungskonform ausgestalten werden, sollte selbstverständlich sein. Diese Verfassungsmäßigkeit haben wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wir befinden uns hierbei, wie Kollege Schiewerling schon gesagt hat, auf einer Gratwanderung. Das ist allen klar. Das Thema ist auch in der internen Debatte nicht einfach. Wir wollen Spartengewerkschaften nicht verhindern und nicht verbieten.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur entmachten!)

Die Frage ist aber, wie wir sie tarifpolitisch agieren lassen.

Durch die Zersplitterung der Tariflandschaft liegt eine Unverhältnismäßigkeit zwischen Ziel und Schaden vor, die weder wirtschaftlich noch sozialpolitisch geduldet werden kann.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage es noch einmal: Das haben die Gerichte zu beurteilen!)

Allein mit Streikdrohungen werden Kunden verschreckt und immense Schäden angerichtet.

Ich möchte noch eines betonen, bevor ich zum Schluss komme: Es geht nicht um eine Abschaffung der Koalitionsfreiheit. Es geht nicht um die Abschaffung eines Grundrechts. Es geht um Rechtsklarheit für den Fall einer Kollision unterschiedlicher Tarifverträge. Das ist sowohl der Wunsch der Arbeitgeberseite als auch der Arbeitnehmerseite. Dessen müssen wir uns annehmen. Deshalb warten wir auf eine Gesetzesvorlage.

Wir wollen keine Ausschaltung kleiner Gewerkschaften, sondern ihre Einbindung. Jede Gewerkschaft soll Einfluss auf die Tarifverhandlungen nehmen können. Mehrere Gewerkschaften in einem Betrieb sollen zur Kooperation aufgerufen werden. Der Kollege Rützel hat vorhin gesagt: Gemeinsam statt einsam. – Das steht dahinter. Die Existenzberechtigung der Minderheitsgewerkschaften wird dadurch aber eben nicht infrage gestellt. Das Streikrecht bleibt, wenn es im Interesse der gesamten Belegschaft besteht. Wir wollen Einheit oder, besser gesagt, Regeln in der Vielfalt.

Ich möchte abschließend betonen, dass ich mich jetzt vor allem darauf freue, vom Arbeitsministerium bzw. von der Ministerin den Entwurf eines verfassungskonformen Gesetzes zu bekommen. Lange genug wurde dem Thema Tarifeinheit aus dem Weg gegangen. Nun ist es endlich an der Zeit, einen konkreten Gesetzentwurf vorzustellen. Die gesetzliche Tarifeinheit darf nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Hans-Joachim Schabedoth für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3991329
Wahlperiode 18
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Gesetzliche Tarifeinheit
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