Hans-Joachim SchabedothSPD - Gesetzliche Tarifeinheit
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir scheinen uns ja ziemlich einig zu sein, dass wir alle bis zum Juni 2010 froh waren über ein funktionierendes System des tarifpolitischen Interessenausgleiches. Nicht immer konfliktfrei – wie könnte es auch –, aber stets konsensfähig. Versuche, die Belastbarkeit der Tarifpartnerschaft auszureizen, hat das nie ausgeschlossen. Es gab selbst hochrangige Arbeitgeberfunktionäre, die Tarifverträge am liebsten am Lagerfeuer verbrannt sehen wollten.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So war es!)
Aber selbst das kühnste ideologische Draufsatteln auf tarifpolitische Gestaltungsarbeit konnte bislang die Tarifeinheit mit dem Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ nicht beschädigen. Es lässt sich deshalb wirklich nur schwer nachvollziehen, warum diese Praxis ausgerechnet durch die Arbeitsrechtsprechung infrage gestellt worden ist. Damit wurde völlig unnötig die Büchse der Pandora geöffnet, sagen Kritiker. Berufsverbandliche Organisationen hatten diese Entscheidung als eine Art Ermutigung missverstanden, Sonderinteressen privilegierter Arbeitnehmergruppen ohne Rücksicht auf Gesamtinteressen zu realisieren. Und es ist nur verständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass deshalb das öffentliche Interesse an einer klarstellenden politischen Rahmensetzung für Tarifeinheit gewachsen ist. Schon seit Jahren hat es zu dieser Problematik Konsultationen der Tarifvertragsparteien gegeben. Und auch der politische Rahmensetzer hatte die Hausaufgabe akzeptiert, die Tarifeinheit neu zu fundieren, ohne die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht zu beschädigen. In der abgelaufenen Legislaturperiode gab es jedoch auch in dieser Beziehung einen Stillstand.
Die jetzige Regierung hat dieses Problem also geerbt, aber nicht, um es abermals auszusitzen, sondern um es zweckgerecht und verfassungsgemäß zu lösen.
(Beifall bei der SPD)
Seien wir miteinander sehr sicher: Sobald ein beratungsfähiger Entwurf vorliegt, wird sich ja dann auch dieses Parlament sorgfältig damit auseinandersetzen können. Und Sorgfalt ist hier der Feind des falschen Eifers. Es geht dabei schließlich um eine Operation am offenen Herzen der Tarifautonomie. Gerade deshalb scheint es mir äußerst fahrlässig,
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man es auch sein lassen!)
hier mit der heißen Nadel Patentlösungen zu stricken oder gar, Frau Kollegin, Regulierungsnotwendigkeiten völlig zu leugnen.
(Beifall bei der SPD)
In Ihrem Antrag fällt mir auf, dass Sie das Wort „Tarifpluralität“ so nutzen, als sei das etwas Erstrebenswertes, das man unbedingt gegen Veränderungen erhalten müsse.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist einfach Realität!)
Ich verstehe ja die Begeisterung für das Prinzip „Lasst viele Blumen blühen“. Aber bei diesem Gegenstand ist diese Begeisterung vielleicht doch nicht richtig am Platze. Ich will das erläutern. Es gibt aus guten Gründen keine Pluralität bei der Straßenverkehrs-Ordnung. Es gibt auch nur ein demokratisch legitimiertes Gremium der Bundesgesetzgebung. Wir befinden uns gerade in ihrem Zentrum.
(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Aber man kann verschiedene Parteien wählen!)
Es macht einfach keinen Sinn, für jede Verkehrsteilnehmergruppe eine eigene Ordnung zu schaffen. Es mag ja eine lustige Vorstellung sein – doch man sollte das lieber nicht wollen –, dass jede Partei in Konsequenz von Gesetzgebungspluralität Gesetze für die eigene Mitgliedschaft verabschieden darf.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es aber Probleme mit der Verfassung! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht um Grundrechte!)
– Ja, das sage ich Ihnen doch. – Aber genauso fatal ist es, eine Situation für tolerierbar zu halten, in der jede Berufsgruppe Tarifsetzungsmacht beansprucht.
Ein zentrales Argument der Antragsteller ist, trotz BAG-Entscheidung von 2010 ließen sich keine negativen Folgen beobachten. Ich halte das für eine leichtfertige Verharmlosung der Situation. Auch bei einem Sturz von einem Hochhaus sollte man beim Passieren der unteren Stockwerke lieber nicht darauf vertrauen, es könne doch noch irgendwie gut ausgehen. Warum zum Beispiel – das ist ein Anlass für Regelungsüberlegungen – sollte eine potenzielle Vereinigung christlicher Lokführer nicht versuchen, über Arbeitskämpfe einen noch besseren Tarifvertrag auszuhandeln als die GDL-Kollegen?
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kriegen keinen 80-prozentigen Organisationsgrad hin, oder? Also, wo ist das Problem?)
– Ja, das ist auch unbestritten. Aber können Sie mir dann erklären, warum jemand, der 80 Prozent der Lokführer organisiert und nur eine marginale Zahl aller anderen Beschäftigten, sagt: „Ich will auch für die anderen Beschäftigten verhandeln“?
Bisher war es gute Praxis, dass beide Parteien miteinander verabredet haben, wer für was verhandelt. Aber die Konflikte, die wir jetzt beobachten, sind dadurch entstanden, dass der eine Teil sagt: Nein, ich möchte mit euch nicht verhandeln, über was ich verhandele und wie ich für meine Klientelgruppe die Forderungen abgrenze.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie bei den Tarifverhandlungen dabei?)
In Kooperationen getrennt marschieren, aber vereint gewinnen – diese Strategie ist ja leider durch die Praxis entwertet worden. Wir möchten gerne, dass diese Strategie wieder maßgeblich wird.
Kollege Schabedoth, Sie haben es nicht geschafft, jemanden zu animieren, Ihnen eine Frage zu stellen. Ich bitte Sie, auf die Redezeit zu achten. Es funktioniert jetzt nicht im Zwiegespräch. Sie hätten das anders lösen müssen.
Darf ich zu meinem Fazit kommen? Wer glaubt, dass es hier keinen Sprengstoff für das etablierte und bewährte System der Tarifsetzung in unserem Land gibt, der müsste treu darauf vertrauen, dass zum Beispiel die Fahrdienstleiter bei der Bahn, die Feuerwehren an den Flughäfen oder die anlagenführenden Industriemeister das auch glauben.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3991367 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 60 |
Tagesordnungspunkt | Gesetzliche Tarifeinheit |