16.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 6

Hans-Georg von der MarwitzCDU/CSU - EU-Verordnung über ökologische/biologische Produktion

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Frau Präsidentin Bulmahn! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Harald, das war jetzt ein bisschen sehr drastisch.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind aber alle wieder wach!)

Da müsste einiges richtiggestellt werden. Aber gerade weil euer Antrag sehr weitreichend ist und weit über das hinausgeht, über das heute diskutiert werden soll,

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er adressiert das Notwendige, Hans-Georg!)

ist klar, dass wir nicht näher darauf eingehen können.

Heute diskutieren wir über den Vorschlag der Kommission, die EU-Öko-Verordnung komplett neu zu strukturieren. Beim ersten Lesen wirken die Forderungen des ehemaligen Kommissars Ciolos eigentlich plausibel. Wer sich aber näher mit dem Verordnungsvorschlag befasst, wird schnell nachdenklich. Denn der Teufel steckt, wie immer, im Detail. Worum geht es? Grenzwerte für ökologisch erzeugte Produkte sollen eingeführt, Ausnahmeregelungen bei der Verwendung von ökologischem Saatgut abgeschafft, das Kontrollsystem effizienter gestaltet und das Importregime verbessert werden. Die Kommission möchte durch diese Maßnahmen das Verbrauchervertrauen in ökologische Produkte stärken, die Qualitätsstandards der Produkte verbessern und den Wettbewerb fördern. Das hört sich erst einmal alles gut an. Es ist nachvollziehbar, dass sich der Rechtsrahmen für ökologische Produkte fortentwickeln muss. Die Ökobranche hat sich in den letzten Jahren prächtig entwickelt. Ein weiteres Wachstum ist wünschenswert, da die Ökoproduktion eine besonders umweltschonende Form der Landbewirtschaftung ist; das wissen wir.

Doch auch die Biobranche musste in den letzten Jahren Nackenschläge verkraften. 2010 beschäftigte uns der Skandal um dioxinverseuchte Bioeier aufgrund kontaminierter Futtermittel aus der Ukraine. Nur ein Jahr später stand Italien im Fokus. Über 700 000 Tonnen konventionelles Getreide und Lebensmittel wurden als Bioprodukte umdeklariert und in andere europäische Länder verkauft. Das Frappierende an diesem Skandal war, dass selbst Kontrolleure in den Betrug verwickelt waren. Insofern ist es nachvollziehbar, dass die gesetzlichen Bestimmungen an steigende Absatzzahlen und Verbraucheransprüche angepasst werden sollen, auch um Betrugsfällen dieser Art vorzubeugen.

Uns stellt sich jedoch die Frage nach der Ausgestaltung. Sind die aktuellen Vorschriften tatsächlich ungeeignet, oder müsste nur die Durchsetzung der geltenden Bestimmungen schärfer kontrolliert werden? Von wissenschaftlicher Seite hat das Thünen-Institut bei der Evaluierung der derzeitigen Verordnung festgestellt – ich zitiere –:

Zitat Ende. – Da liegt der Hase im Pfeffer. Jetzt überlegt sich die Kommission, die Öko-Verordnung komplett zu erneuern. Meiner Ansicht nach wäre die gezielte Fortentwicklung der bestehenden Verordnung die bessere Alternative gewesen;

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn die Umsetzungsprobleme in einigen Mitgliedstaaten werden mit einer neuen Verordnung nicht gelöst, vor allem nicht, solange Schummeln als Kavaliersdelikt angesehen wird.

Der Entwurf der neuen Öko-Verordnung sieht Regeln vor, die die Planungssicherheit für Ökolandwirte massiv verschlechtern würden. Dadurch könnten bestehende Betriebe – wir haben es heute schon gehört – aus dem Markt gedrängt und für umstellungswillige Landwirte größere Hürden aufgebaut werden. Lassen Sie mich anhand zweier Punkte in die Problematik einsteigen:

Erstens. Ein wesentlicher Unterschied zwischen ökologischer und konventioneller Produktionsweise ist der Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel. Das heißt, ökologisch produzierte Pflanzen werden während des Produktionsprozesses nicht mit chemischen Pflanzenschutzmitteln behandelt. Trotzdem können im Endprodukt minimale Rückstände von Mitteln enthalten sein. Das erklärt sich dadurch, dass Ökobauern unter demselben Himmel wie konventionelle Bauern produzieren. Durch Umwelteinflüsse wie Luft, Wasser oder Bodenbewegungen können Pflanzenschutzmittel auch in Ökoprodukte gelangen. Allerdings sind in diesen erheblich weniger Rückstände zu finden als in konventionellen Produkten. Laut Ökomonitoring des Landes Baden- Württemberg von 2013 war die Mehrzahl der Proben sogar rückstandsfrei.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Übrigens gelten derzeit für alle Lebensmittel einheitliche Rückstandsgrenzwerte, egal ob konventionell oder ökologisch produziert.

(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Das ist gut so!)

Nun möchte die Kommission neue Grenzwerte speziell für die ökologischen Produkte – nicht für die konventionellen, lieber Kollege Saathoff – einführen. Darin liegt letztlich das Problem. Denn je niedriger die Grenzwerte angesetzt werden, desto größer ist das Risiko für den Ökobauern, allein durch unvermeidbare Umwelteinflüsse diese Grenzwerte zu erreichen. Im Klartext: Der Ökobauer hätte die gesamten Kosten des ökologischen Produktionsprozesses zu tragen, um am Ende Gefahr zu laufen, sein Produkt nur konventionell vermarkten zu dürfen.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! Hört!)

Zweites Beispiel. Wer nach den Kriterien des ökologischen Landbaus produziert, muss auch ökologisches Saatgut verwenden. Für einige Sorten gibt es Ausnahmeregelungen, da zurzeit nicht ausreichend ökologisches Saatgut am Markt verfügbar ist. Die Kommission möchte ab dem Jahr 2017 diese Ausnahmeregelungen abschaffen, um Anreize für Forschung und Produktion, so sagen sie, beim ökologischen Saatgut zu schaffen. Allerdings ist schon jetzt absehbar, dass für viele Gemüsesorten oder neue Züchtungen von Getreide, Öl- oder Eiweißsaaten die Verfügbarkeit von ökologischem Saatgut nicht gegeben sein wird. Welchen Anreiz soll der Landwirt haben, neu in die Ökoproduktion einzusteigen, zum Beispiel in die Gemüseproduktion, wenn er von vornherein weiß, dass Saatgut für das Produkt, das er eventuell produzieren möchte, knapp oder nicht vorhanden sein wird?

Dabei ist es aus meiner Sicht gar nicht so schwer, beides unter einen Hut zu bringen. Ausnahmeregelungen sollten nur für Sorten erlassen werden, deren Verfügbarkeit nicht zugesichert werden kann. Für jede Sorte kann individuell die Ausnahmeregelung verschärft bzw. gestrichen werden. Stattdessen laufen wir Gefahr, dass sich Ökolandwirte aufgrund der pauschalen Abschaffung der Ausnahmeregelung aus der ökologischen Produktion verabschieden werden. Sie merken, es geht mir nicht darum, die Vorschriften für den ökologischen Landbau so gering wie möglich zu halten. Wenn jedoch die EU- Kommission den Wünschen des Verbrauchers nachkommen möchte, sollte dies nicht zum Verlust von Betrieben und ökologischer Produktion führen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich noch kurz auf das Kontrollmanagement eingehen. Um die Einhaltung der ökologischen Produktionsvorschriften sicherzustellen, werden Betriebe von privaten Kontrollstellen überprüft. Die Arbeit selbiger wird wiederum von Länderbehörden überwacht. Dieses System hat sich übrigens in Deutschland wunderbar bewährt. Allerdings lässt der aktuelle Verordnungsentwurf erhebliche Interpretationsspielräume bei den tatsächlichen Anforderungen an die Kontrollen. Diese sollen in delegierten Rechtsakten und Durchführungsbestimmungen erst nach Abschluss der politischen Verhandlungen durch die Kommission bekannt gegeben werden. Das wiederum sichert der Verwaltung eine Vielzahl von Entscheidungsbefugnissen. Das Mitspracherecht der EU-Parlamentarier wird allerdings dadurch nachhaltig beschnitten. Ferner stellt sich abermals die Frage nach der Planungssicherheit für Betriebe. Jeder Landwirt muss wissen, mit welchem Rechtsrahmen er es zu tun hat.

Ein weiteres Kuckucksei hat sich die Kommission mit der Abschaffung des Einzelhandelsprivilegs ins Nest gelegt. Zurzeit müssen Einzelhändler, die ausschließlich endverpackte und kontrollierte Biowaren verkaufen, nicht kontrolliert werden. Diese Ausnahme von der Kontrollpflicht soll nun abgeschafft werden. Dadurch werden beispielsweise Tankstellen oder Kioske in das Kontrollsystem mit eingebunden. Was das für einen enormen Aufwand an Verwaltung bedeutet, können Sie sich sicher vorstellen.

Last, but not least: die Einfuhrregelungen. Die Kommission hat sich auf eine Verschärfung des Importregimes fokussiert, wodurch die Einfuhr von Erzeugnissen aus Drittländern erschwert werden könnte. Die bestehenden Defizite bei den Kontrollen und der Überwachung der Drittländer werden dadurch garantiert nicht gelöst. Dies haben wir heute schon mehrfach gehört.

Die Neufassung der EU-Öko-Verordnung hat viele Schwachpunkte. Der einstige Agrarkommissar Ciolos wollte den Ökolandbau voranbringen und fit für die Zukunft machen. Nach meiner Auffassung ist das mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf in keiner Weise gelungen. Daher nutzen wir die Gelegenheit und geben unserem Bundesminister Schmidt – lieber Herr Schmidt, Sie haben es ja heute schon angekündigt – unsere Stellungnahme mit auf den Weg. Wir hoffen sehr – ganz im Gegensatz zu meinem Kollegen Harald Ebner, der ja schon unkenrufenmäßig prophezeit hat,

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

dass wir letztlich keinen Erfolg haben werden –, dass wir damit in Brüssel erfolgreich sein werden. Angesichts der Vehemenz, mit der Sie es heute vorgetragen haben, gehe ich davon aus, dass wir es sein werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was war mit dem anderen Antrag?)

– Ich habe nur noch wenige Minuten Redezeit. Du kannst gerne einen Einwand machen, dann steh bitte auf. – Okay, bitte, Kollege Ebner möchte etwas sagen.

Herr Kollege Ebner.

Danke schön, Hans-Georg, dass du mir das freimütig einräumst.

Wir hatten schon einmal den Fall mit einem Artikel- 23-Antrag: Das war zum Opt-out. Da wurden hier große Sprüche geklopft, wie man sich einbringen möchte. Wer das Protokoll dieser Ratssitzung gelesen hat, der weiß, wie leidenschaftlich der Einsatz für diesen Antrag des Bundestages ausfiel. Im Protokoll ist nämlich zu lesen: Der Vertreter Deutschlands erwähnt, dass im Übrigen eine Stellungnahme des Deutschen Bundestages vorliege, er nenne einen Punkt daraus, bitte auch die andere Mitgliedstaaten um eine Stellungnahme dazu; im Übrigen werde man aber der Beschlussvorlage zustimmen. – Wenn man so verhandelt, kann dabei nichts herauskommen. Ich bitte darum, dafür zu sorgen, dass das im vorliegenden Fall anders läuft.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Harald, du weißt, dass wir jetzt eine ganz andere Vehemenz haben durch eure Zustimmung

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön!)

und durch die Zustimmung der Linken, aber ganz besonders auch durch die Koalition, die einhellig diese Position vertritt. Ihr habt es ja gehört: Der Minister weiß sich einer ganz anderen Allianz – auch anderer Länder – sicher. Insofern gehe ich davon aus, dass deine Befürchtungen unbegründet sind; wir werden es sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sehen uns wieder! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Man sieht sich immer zweimal im Leben!)

Ganz zum Schluss: Es tut mir leid, dass wir deinen/ euren Antrag nicht unterstützen können. Das ist sicherlich verständlich; denn ihr schießt wieder einmal weit – weit! – über das Ziel hinaus.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer für mehr Bio ist, unterstützt diesen Antrag! Das wäre für euch doch ein Klacks!)

Da sind soundso viele Punkte mit angesprochen, daraus könnte man ein abendfüllendes Programm machen. Insofern: Nehmt jetzt erst einmal unseren Antrag an, und dann sehen wir weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Rita Hagl-Kehl das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3991431
Wahlperiode 18
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt EU-Verordnung über ökologische/biologische Produktion
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