16.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 9

Uli GrötschSPD - Änderung des Antiterrordateigesetzes

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch vor einem Jahr war das Ausmaß der Terrororganisation „Islamischer Staat“ der deutschen Öffentlichkeit nicht bekannt. Natürlich haben wir uns über al-Qaida, über Salafismus und über Dschihadisten unterhalten, aber dass wir es hier in Deutschland ganz unmittelbar mit reisenden und in Terrorcamps ausgebildeten Terrorkämpfern zu tun haben, von denen eine konkrete und nicht einschätzbare Gefahr für uns ausgeht, ist eine ganz neue Dimension des Terrors.

Weil der Terror nicht statisch, sondern dynamisch ist, ist der Kampf gegen den Terror auch ein Kampf gegen die Zeit, wie es BKA-Präsident Ziercke formuliert hat. Wenn es darum geht, Anschläge in Deutschland zu verhindern, zählt jeder Tag. Ich halte daher eine Diskussion über die Notwendigkeit der Antiterrordatei für unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich bin sehr glücklich und erleichtert, dass wir nun fristgerecht einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Antiterrordateigesetzes vorlegen, damit dieses wertvolle Instrument zum Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden über das Jahr 2014 hinaus weitergeführt werden kann.

Dass die Antiterrordatei verfassungsgemäß ist, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil bereits eindeutig festgestellt. Das ist insbesondere für diejenigen eine wichtige Nachricht, die sich um das Trennungsgebot von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden Sorgen machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier hat uns die Realität doch bereits eingeholt; denn das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum sowie das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus sind gelebte Kooperation zwischen Polizei und Verfassungsschutz.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne gesetzliche Grundlage! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Genau! Ohne gesetzliche Grundlage!)

Beide Einrichtungen sind unverzichtbare Bausteine der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland und – ich sage es ganz deutlich – eine „zeitgemäße Ausformung einer Informations- und Kommunikationsplattform aller beteiligten Behörden“. Auch die ATD ist so eine Plattform für die fast 40 Sicherheitsbehörden – eben eine Kontaktanbahnungsdatei, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

(Beifall bei der SPD)

Herr Staatssekretär Krings hat gerade schon darauf hingewiesen: Wir alle hier haben im Nachgang zum NSU-Skandal und in den Handlungsempfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses gemeinsam im Haus den nicht vorhandenen, fatalen Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden bemängelt. Wenn wir unsere Bürgerinnen und Bürger vor extremistischen Angriffen schützen wollen, müssen wir Verbrechern informationstechnisch einen Schritt voraus sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Selbstverständlich sind wir uns bewusst, dass wir uns im Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit auf der einen Seite und den zu schützenden Grundrechten auf der anderen Seite bewegen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgehalten, dass eine gemeinsame Verbunddatei ein besonders schwerer Grundrechtseingriff ist, dem enge Grenzen zu setzen sind. Ich sage: Gut, dass das Bundesverfassungsgericht dies auch so klar betont hat.

(Beifall bei der SPD – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das habt ihr so nicht umgesetzt!)

Wir als SPD sind nicht der Meinung, dass es ein Supergrundrecht Sicherheit gibt. Nur: Ohne Sicherheit gibt es eben auch keine Freiheit!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wenn es also so etwas wie ein Supergrundrecht geben sollte, dann muss das, wie wir meinen, zunächst die Freiheit sein und nicht die Sicherheit.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich ist das ein Spagat. Wir glauben aber, dass die Grundrechtseingriffe in der Antiterrordatei verhältnismäßig sind.

Fakt ist doch auch, dass die Anwender sehr sensibel mit der Datei umgehen. Je höher der Grundrechtseingriff ist, desto seltener wurde abgefragt. Fast alle Abfragen in der ATD betrafen die Grunddaten. Sehr selten wurde in den erweiterten Grunddaten gesucht.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das weiß man doch gar nicht so genau!)

Die hochsensible Eilfallregelung, die gerade schon angesprochen wurde, wonach die abfragende Behörde unter bestimmten, im Übrigen klar definierten Voraussetzungen unmittelbaren Zugriff auf die erweiterten Grunddaten hat, wurde – das hat der Evaluierungsbericht gezeigt – im überprüften Zeitraum nur ein einziges Mal angewendet.

Nur um es noch einmal klarzustellen: In der Antiterrordatei werden nicht die Daten von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes gespeichert, sondern Daten von Menschen, von denen eine konkrete terroristische Gefahr ausgeht. Wir haben auch in der vorliegenden Neufassung noch einmal konkretisiert, welche Personen als terrorismusnah gelten. Daten von Kontaktpersonen etwa, die mit einer terrorismusnahen Hauptperson in Kontakt stehen, dürfen künftig nur noch als erweiterte Grunddaten gespeichert werden. Als Person sind sie gewissermaßen gar nicht mehr gespeichert, sondern sie sind einfach nur noch ein Informationsmedium in Bezug auf die Hauptperson.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist aber echt ein Schlingerkurs!)

Eine weitere Änderung – das ist mir wichtig, anzusprechen – haben wir im neuen § 6 a eingeführt. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass die Analysefähigkeit der Antiterrordatei verbessert werden soll.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verstehen Sie den § 6 a denn?)

Auch der Evaluierungsbericht, der von denen verfasst wurde, die jeden Tag mit der Antiterrordatei arbeiten, hat ergeben, dass eine komplexe Abfrage im Datenbestand der ATD sinnvoll wäre. So ist es künftig möglich, im Rahmen von einzelfallbezogenen Projekten, Informationen im Rahmen einer erweiterten Nutzung zu sammeln und auszuwerten und Zusammenhänge darzustellen. Es weiß hier jeder, wie vernetzt gerade die Zielgruppe ist, um die es hier geht.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur weiß keiner, was ein Projekt ist!)

Diese Möglichkeit gibt es bereits heute in der Rechtsextremismusdatei, sodass es auch nichts Neues ist.

Ich komme zum Schluss. Ich bin mir bewusst, dass die Antiterrordatei nicht überall und bei jedem auf Gegenliebe stößt. Auch ich würde mir wünschen, dass ich ruhigen Gewissens sagen könnte, wir brauchen die Antiterrordatei und die Rechtsextremismusdatei gar nicht, weil das Terrorrisiko in Deutschland kalkulierbar und handhabbar ist. Das ist aber leider nicht so. Wir dürfen uns nicht belügen. Schließlich tragen wir die Verantwortung für die Sicherheit der Menschen in unserem Land.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre es ein richtiges Signal, wenn die Antiterrordatei mit den hier vorgeschlagenen Änderungen den Beamtinnen und Beamten in den Polizeien und Nachrichtendiensten mit breiter Unterstützung dieses Hauses auch weiterhin zur Verfügung stehen würde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3991642
Wahlperiode 18
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Änderung des Antiterrordateigesetzes
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