16.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 60 / Tagesordnungspunkt 10

Lothar BindingSPD - Bekämpfung von Steuerbetrug

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist schon verwunderlich, dass wir uns mit einem Antrag so schwertun, dessen Inhalt irgendwie alle ein bisschen teilen. Lisa Paus hat gesagt: Es liegt am System. – Das stimmt auch irgendwie. Aber wer ist eigentlich das System?

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das System sind irgendwie auch wir.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)

Das System sind Menschen. Das System ist vielleicht auch Ministerpräsident Kretschmann;

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

den fragen wir vorsichtshalber gar nicht. Das System sind auch die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg, die schwarz-grüne Regierung in Hessen, ein Finanzminister Söder. Wenn wir uns die alle jetzt einmal vorstellen, dann merken wir schon, dass es in dieser komplexen föderalen Lage mit so vielen unterschiedlichen Interessen verständlich ist, wie alle reagieren.

Wir fragen uns einfach, ob es klug ist, jetzt mit einem solchen Antrag die Verhandlungsoptionen, die wir den anderen einräumen wollen und müssen, um zu einem guten Ergebnis zu kommen, im Grunde zu beschränken. Wir wollen die Verhandlungsoptionen offenlassen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Ja, es gibt verschiedene Verhandlungsstile. Nachdem man 20 Jahre so irgendwie verhandelt hat, könnte man darüber nachdenken, ob man den alten Stil beibehält oder einen neuen findet. – Wir wollen an dieser Stelle nichts verschütten, um die Optionen offenzuhalten.

Jetzt bitte ich Sie alle einmal, in die Rolle eines Landespolitikers zu schlüpfen – ein Soziodrama sozusagen – und sich eine Formulierung anzuhören, die im Antrag enthalten ist: „Übertragung der Kompetenz der Steuerverwaltung auf den Bund“. Welche Reflexe haben wir im Kopf? Das ist klar: Abwehrreflexe.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso? Wir haben auch gerade die Kompetenz bei der Bankenunion übertragen!)

Das verschüttet Verhandlungsoptionen. Insofern ist der Antrag sogar kontraproduktiv, auch wenn wir im Grunde gar nicht so weit auseinanderliegen. Wir wissen doch: In Reinkultur werden wir unsere Ziele nicht erreichen. Deshalb müssen wir immer die Interessen der anderen mitdenken.

Margaret Horb und Andreas Schwarz haben es schon gesagt – Richard Pitterle hat es auch zitiert –: Wir sitzen in einem Boot. – Das stimmt. Die Abgabenordnung, andere Gesetze, das ist das große Boot. Da sitzen wir drin.

Dieses Bild nehme ich auf: Wir haben aber 16 verschiedene Maschinenräume mit unterschiedlichen Drehzahlmomenten in den Motoren. Die werden anders geschmiert,

(Bernhard Daldrup [SPD]: Geschmiert, ja!)

die werden anders gesteuert. Sie wissen, es ist ein großes Problem, die zu koordinieren. Gehen Sie mal runter in den Maschinenraum, und sagen Sie den Leuten, dass sie alle das Gleiche machen sollen! Das wird richtig schwierig!

(Beifall bei der SPD)

Insofern wäre der Antrag gut – er ist auch gut gemeint –, aber er ist für eine Welt, die wir nicht haben, und das macht es natürlich schwierig. Ich fände es wichtig, zuvor einmal festzustellen, dass wir in ganz vielen Einrichtungen, auf ganz vielen Ebenen exzellente Kompetenz haben.

(Beifall der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU])

Wir haben gute Fachleute im BMF, in den Länderfinanzministerien sowie im Bundeszentralamt für Steuern. Es wäre wichtig, das zu bündeln. Denn das – so muss man sagen – gelingt im Moment nicht hinreichend. Deshalb ist der Vollzug unterschiedlich, und deshalb wird auch die Steuererhebung nicht von allen als gerecht empfunden. Die Wirkung der vorhandenen Kompetenz geht ein Stück weit durch innere Reibungskräfte verloren.

Wir wissen – das ist kein Geheimnis –, dass die Betriebsprüfungen unterschiedlich gehandhabt werden. Wenn man sich die personelle Ausstattung anschaut – ich will das nicht ausführen; Andreas Schwarz hat das hinreichend gemacht –, erkennt man, dass die Gleichheit der Besteuerung wohl nicht in allen Fällen sichergestellt werden kann. Dabei geht es – einige Kollegen sind schon darauf eingegangen – ganz offensichtlich beispielsweise um die EDV. Der Wildwuchs in der EDV ist ein dickes Problem.

Man könnte übrigens denken, dass das im privaten Bereich besser läuft. Wer sich einmal in einem Großbetrieb umguckt, wird bemerken, dass sich jede Abteilung am allerliebsten auf ihre eigene EDV beruft und um Gottes willen nicht das machen will, was alle anderen machen. Das ist eine durchaus sehr weit verbreitete Krankheit. Dadurch wird aber eine Rationalisierung verhindert.

Wir wissen, dass die EDV die Zukunft in der Steuererhebung ist. Speziell bei der Einkommensteuer werden im Augenblick ein einheitlicher Vollzug bzw. automatisierte Verfahren behindert. Das hängt sehr stark mit 16 nicht gleichen Systemen zusammen.

Deshalb ist das Anliegen des Antrags auch richtig, eine stärkere Rolle des Bundes zu erreichen, um eine bessere Abstimmung hinzubekommen. Dem würden die Länder noch nicht widersprechen; aber die Abgabe von Kompetenz ist ihnen unangenehm.

In diesem Zusammenhang wird dann auch immer gesagt: Dann müsst ihr auch die Kosten übernehmen. – Die allerdings sind im Antrag noch nicht so ganz sauber herausgearbeitet worden. Über die Pensionslasten und all das, was an personellen bzw. finanziellen Aufgaben zu übernehmen wäre, wenn das Ganze sofort beim Bund gebündelt werden würde, wurde noch nicht hinreichend nachgedacht. Man muss sich das einmal abgezinst zum Zeitpunkt null der Einrichtung dieser Verwaltung vorstellen. Ich schaue auf die Regierungsbank, um herauszufinden, wie hoch dieser Betrag ist. – Ich sehe, der Kollege Kampeter denkt an einen zweistelligen Milliardenbetrag. Das wäre natürlich relativ viel. Darüber müssten wir dann getrennt reden.

Insofern glauben wir, dass es klug ist, über eine Bündelung der Kompetenzen und auch über eine Zuordnung von Kompetenzen im Bund nachzudenken und klug mit den Ländern zu verhandeln. Deshalb sollten wir im Moment auf diesen Antrag verzichten und einmal schauen, wie die Länder auf unsere Toleranz bzw. unser Angebot eingehen.

Schönen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3991784
Wahlperiode 18
Sitzung 60
Tagesordnungspunkt Bekämpfung von Steuerbetrug
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