17.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 61 / Tagesordnungspunkt 21

Hermann GröheCDU/CSU - Pflegeversicherung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor fast 20 Jahren, am 1. Januar 1995, trat die Pflegeversicherung in Kraft. Mit ihr gelang es, die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen in erheblichem Umfang unabhängig von der Unterstützung durch Sozialhilfe zu machen. Vor allen Dingen aber gelang es erstmals, insbesondere denjenigen, die zu Hause pflegebedürftige Angehörige betreuen, Anspruch auf solidarische Unterstützung und auf Leistungen der Pflegeversicherung zu gewähren und sie in ihrem unermüdlichen Einsatz zu unterstützen. Ich freue mich darüber, dass wir mit dem vorliegenden ersten Pflegestärkungsgesetz gleichsam zum 20. Geburtstag dieser wichtigen Reform unseres Sozialstaats, die sich in besonderer Weise mit dem Namen Norbert Blüm verbindet, eine wichtige und umfassende Reform der Pflegeversicherung beschließen.

Ich weiß mich einig mit den Pflegebedürftigen, mit ihren Angehörigen, aber auch mit den Pflegekräften, wenn ich sage, dass es uns darum gehen muss, die Pflege individueller zu machen, damit sie den konkreten Bedürfnissen der einzelnen Pflegebedürftigen besser gerecht wird und angemessen erfolgt. Das wünschen sich diese. Das wünschen sich die Angehörigen. Das ist aber nicht zuletzt auch der Anspruch der Pflegekräfte selbst an ihre wichtige Arbeit. Dazu bedarf es eines veränderten Rechtsrahmens. Dazu bedarf es aber auch in besonderer Weise eines erheblichen Ausbaus der entsprechenden Leistungen der Pflegeversicherung. Beides beschließen wir heute mit Wirkung vom 1. Januar 2015.

Ich weiß, dass das Thema „individuellere Pflege“ für viele mit der Diskussion um den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff verbunden ist. Ich will ausdrücklich sagen: Ja, diesen werden wir in dieser Legislaturperiode umsetzen. Sie wissen, dass wir die letzten Monate zu Erprobungsphasen genutzt haben, in denen parallel Begutachtungennach dem alten und dem neuen Begutachtungssystem durchgeführt und 4 000 Pflegebedürftige entsprechend eingestuft wurden, um daraus zu lernen. Derzeit wird diese Erprobungsphase in Gutachten ausgewertet. Die Ergebnisse werden uns dann im Jahr 2015 bei der Erarbeitung des nächsten Pflegestärkungsgesetzes leiten. Aber es ging uns darum, nicht mit den notwendigen Leistungsverbesserungen zu warten, bis das in den Pflegeeinrichtungen implementiert wird, sondern diese schon zum 1. Januar 2015 vorzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Diese Verbesserungen werden 2,6 Millionen Pflegebedürftigen in diesem Lande, ihren Angehörigen, aber auch dem unermüdlichen Tun der Pflegekräfte zugutekommen.

Weil manche der Debatten in den letzten Wochen, auch im Hinblick auf die Pflegeversicherung, sich ein bisschen sehr um die Frage gedreht haben: „Was tun die Jungen für die Alten?“, sei ausdrücklich gesagt: Wiewohl eine große Zahl der Pflegebedürftigen hochbetagte ältere Menschen sind, leben auch jüngere Menschen – Menschen jedes Alters – mit dem Risiko, durch Krankheit oder Unfall pflegebedürftig zu werden. Für sie alle ist es wichtig, dass wir ein leistungsstarkes Pflegesystem in unserem Land haben.

Ausgangspunkt ist der Wunsch der Menschen – zwei Drittel aller Pflegebedürftigen sagen dies –, nach Möglichkeit zu Hause, in den eigenen vier Wänden, gepflegt zu werden und dort zu leben. 70 Prozent derer, die zu Hause pflegen, tun dies ohne tagtägliche Unterstützung durch professionelle Pflegedienste. Dies ist ein enormes Engagement in unseren Familien, das Unterstützung und vor allen Dingen auch Anerkennung verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Diese Menschen, die sich in dieser Weise für ihre Angehörigen einsetzen, haben aber auch Anspruch darauf, dass wir ihnen bei dieser Arbeit helfen. Deswegen regelt dieses Pflegestärkungsgesetz den Ausbau der Verhinderungs-, der Kurzzeit-, der Tages- und der Nachtpflege. Es geht darum, dass diese Menschen die Gelegenheit zu einer Atempause haben, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Verhinderungspflege ist dann gleichsam so etwas wie eine Urlaubsvertretung. Wir bauen diese Leistungen aus, wir machen sie untereinander besser kombinierbar, und – das ist mir ganz wichtig – wir eröffnen erstmals Angehörigen von Pflegebedürftigen der Pflegestufe 0, also demenziell Erkrankten ohne eine Einstufung in die Pflegestufe 1, die Möglichkeit, diese wichtigen Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Denn es kann gerade am Beginn einer demenziellen Erkrankung, am Beginn der Pflegephase zu Hause so wichtig sein, dass beispielsweise Unterstützung in der Nachtpflege zu einer erholsamen Nachtruhe verhilft, dass es die Möglichkeit gibt, einmal Atem zu schöpfen.

Ich weise für die Familien ausdrücklich darauf hin, dass wir am Mittwoch im Kabinett das Pflegeunterstützungsgeld beschlossen haben und heute mit dem Pflegestärkungsgesetz dafür die entsprechende finanzielle Absicherung in der Pflegeversicherung schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir bauen niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote aus. Wir haben damit gute Erfahrungen bei der Begleitung demenziell erkrankter Menschen gemacht. Sie werden ausgebaut und für alle Pflegebedürftigen geöffnet. Ich weiß, das hat im parlamentarischen Verfahren zu Diskussionen geführt. Klar ist: Solche Angebote dürfen und können nicht die Grundpflege ersetzen – das sollen sie nicht –, und solche Angebote müssen von den Ländern zugelassen werden. Somit können sie in guter Weise das Tun in der Pflege und das Tun der Angehörigen ergänzen. Wir vertrauen den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, die in diesem Zusammenhang übrigens gezielt beraten werden, dass sie selbst am besten wissen, wie das Paket der Unterstützung angesichts der jeweiligen Familiensituation aussehen sollte – ein wichtiger Schritt zu individuellerer Betreuung und Pflege.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir stärken den Umbau der eigenen vier Wände mit entsprechenden Zuschüssen. Schließlich tragen wir auch den veränderten Formen des Zusammenlebens Rechnung: mit vermehrten Zuschüssen und verstärkter Unterstützung für Wohngruppen, für das Miteinander-Wohnen von älteren, auch pflegebedürftigen Menschen. – Das waren die Leistungsverbesserungen im ambulanten Bereich.

In der stationären Arbeit geht es um eine Dynamisierung – diese erfolgt auch in der ambulanten Pflege – sowie um eine Stärkung des Aspekts der Betreuung. Wir werden die Zahl der Betreuungskräfte, die heute schon in vielen Altenpflegeeinrichtungen segensreich wirken, von 25 000 auf bis zu 45 000 erhöhen. Das trägt im Übrigen dazu bei, den Alltag, das Leben in den Altenpflegeeinrichtungen besser, menschengerechter, individueller zu gestalten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich im Hinblick auf die Fachkräfte betonen – mein Dank geht hier an Karl-Josef Laumann –, dass wir das Thema Bürokratieabbau in der Pflege, nachdem eine entsprechende Studie zum Abbau unnötiger Belastungen in der Dokumentation veröffentlicht wurde, in der Fläche angehen werden. Karl-Josef Laumann wird dafür die Verantwortung übernehmen. Wir wissen von den Pflegekräften, dass sie für die Pflegebedürftigen da sein wollen und nicht für das Ausfüllen von Papieren. Deswegen muss die Dokumentation auf das für die Qualitätssicherung notwendige Maß beschränkt und unnötige Bürokratie abgebaut werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Lassen Sie mich auch erwähnen, dass sich die Vertragspartner 2012 im Rahmen der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege verpflichtet haben, die auf Landesebene getroffene Rahmenvereinbarung über Personalschlüssel zu überarbeiten mit dem Ziel, den Notwendigkeiten angemessener, individueller Altenpflege gerecht zu werden. Das ist seitdem in vier Bundesländern geschehen, in einem weiteren ist es derzeit im Gang. Ich hoffe, dass möglichst viele schnell diesem Beispiel folgen. Wir brauchen angemessene Personalschlüssel, und dafür ist eine entsprechende Verabredung der Vertragspartner Voraussetzung, meine Damen, meine Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Diese umfassenden Leistungsverbesserungen gibt es nicht zum Nulltarif. Deswegen enthält das Pflegestärkungsgesetz ein klares Bekenntnis zu einer notwendigen paritätisch zu finanzierenden Beitragssteigerung um 0,3 Prozentpunkte. 2,4 Milliarden Euro davon gehen in die Leistungsverbesserung, 1,4 Milliarden Euro in die ambulante Pflege, 1 Milliarde Euro in die stationäre Pflege.

Mit 1,2 Milliarden Euro bauen wir einen Pflegevorsorgefonds auf, der dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge ins Pflegealter kommen, dazu beitragen wird, den Beitragsanstieg abzumildern. Ich bin zuversichtlich, dass die Debatten darüber, wie sicher das Geld dort angelegt ist, dazu beitragen, dass dieser Vorsorgefonds für alle Zeiten so tabu ist für Zweckentfremdung wie das Gold der Bundesbank. Jeder, auch derjenige, der sich kritisch dazu äußert, leistet einen Beitrag dazu, dass dieses Geld sicher ist; ob Sie das nun wollen oder nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wir werden in einem weiteren Schritt, im Zuge der Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die Beiträge erneut um 0,2 Prozentpunkte anheben. Damit wird im Rahmen der Arbeit dieser Koalition das Leistungsvolumen der Pflegeversicherung künftig um 5 Milliarden Euro pro Jahr erhöht, also eine Leistungsausweitung von über 20 Prozent. Ich bin davon überzeugt: Unsere starke Gesellschaft kann dies stemmen. Ich bin davon überzeugt: Wir schulden dies den pflegebedürftigen Menschen in unserem Land.

Ich danke für die guten Beratungen in den zurückliegenden Wochen und bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Katja Kipping.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3992938
Wahlperiode 18
Sitzung 61
Tagesordnungspunkt Pflegeversicherung
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