Hilde MattheisSPD - Pflegeversicherung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich schön, dass wir heute hier über die erste Stufe einer umfassenden Pflegereform debattieren und sie verabschieden können. Uns als SPD ist es ein fundamental wichtiges Anliegen, Menschen, die pflegebedürftig geworden sind, zu unterstützen und damit auch immer den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit mit zu transportieren. Denn Menschen haben am Lebensende ein Anrecht darauf, dass wir alle in unserer Gesellschaft solidarisch für sie einstehen. Das ist unser Anliegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Alle, die heute nicht für die Leistungsverbesserungen stimmen, müssen in ihre Wahlkreise gehen und sagen: Ich habe nicht dafür gestimmt,
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
dass Menschen, egal ob sie in einer stationären Einrichtung wohnen oder ambulant gepflegt werden, diese Leistungsverbesserungen für sich in Anspruch nehmen können. Das müssen sie dann verantworten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Wir wollen in dieser Legislaturperiode mit dem Pflegestärkungsgesetz I den ersten wichtigen Baustein setzen. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wollen wir – das haben wir uns vorgenommen – unser zentrales Anliegen, die Definition eines Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der sich am Teilhabebegriff orientiert, durchsetzen. Denn wir wollen nicht mehr die Mangelerhebung, sondern den Teilhabeaspekt in unserer Pflegepolitik herausheben. Das ist zentral wichtig und ein zweiter wichtiger Baustein.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU] – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber wir haben noch weitere Bausteine. Denn wir wissen: Pflegereform bedeutet einen ganzen Fächer an Maßnahmen. Pflegereform ist nicht einfach nur ein Konzept für die Reform eines Punktes.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Wir wollen in der Bund-Länder-Kommission miteinander klären, was eine gute Pflegepolitik für die Kommunen bedeutet. Was bedeutet das? Welche Rahmenbedingungen müssen wir als Bund setzen? Was müssen die Länder dazu beitragen, dass die Infrastruktur vor Ort passgenau ist? Das können wir hier in Berlin nicht machen. Also brauchen wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, um die Rolle der Kommunen zu definieren. Dabei müssen wir die Kommunen unterstützen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Dann müsst ihr ihnen aber auch Geld geben!)
Diese Woche konnten wir ja Gott sei Dank aus dem Familienministerium schon sehr genau vernehmen, dass es auch um die Entlastung von Angehörigen geht. Das Pflegezeitgesetz spielt hier eine wichtige Rolle.
(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer zahlt das? Die Gemeinschaft zahlt, der Steuerzahler!)
Denn alle, die mit Pflege konfrontiert sind, brauchen vor allen Dingen eines: Zeit, um sich zu kümmern. Es ist nicht einmal schnell mit einem Telefonat erledigt, pflegebedürftige Menschen zu unterstützen. Das ist nicht schnell erledigt, wenn die Kinder weit weg wohnen. Sie brauchen Zeit, um sich zu kümmern. Nicht die schnellste Lösung ist als die beste Lösung anzusehen, sondern man muss dafür sorgen, dass dem Wunsch des Vaters oder der Mutter Rechnung getragen wird und, wenn sie in der eigenen Häuslichkeit bleiben wollen, flankiert von Maßnahmen, um dies organisieren zu können. Dazu braucht man Zeit. Deshalb vielen Dank an das Ministerium.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Uns geht es natürlich auch darum, den Beruf der Pflegefachkraft in der Altenpflege zu unterstützen. Das brauche ich hier gar nicht zu wiederholen; denn wir haben hier mehrfach darüber diskutiert, an was es dort krankt. Wir brauchen nicht nur mehr Leute, die sich für diesen Beruf engagieren, sondern sie müssen auch im Beruf verbleiben können, sprich: Sie brauchen eine gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen, damit sie länger als sieben Jahre Spaß an der Arbeit haben, ihr Engagement nicht verlieren und dieser psychischen Belastung standhalten können.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber das fehlt jetzt noch im Gesetz, oder?)
Deshalb wollen wir eine generalistischere Ausbildung und Umstiegsmöglichkeiten von der Altenpflege in die Krankenpflege und auch in die Kinderkrankenpflege schaffen. Denn es ist wichtig, Menschen, die ein hohes Engagement für diesen Beruf mitgebracht haben, zu unterstützen und ihnen die Belastungen nicht so schwer auf die Schultern zu packen, dass sie sie eines Tages nicht mehr tragen können.
(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht alles nicht in diesem Gesetz!)
Eines unserer zentralen Anliegen war deshalb – alles hängt ja mit allem zusammen –, jetzt im Pflegestärkungsgesetz I für eine tarifliche Entlohnung der Pflegefachkräfte zu sorgen – ich bin allen dankbar, die diese Forderung der SPD mitgetragen haben – und sicherzustellen, dass Einrichtungen und Träger nicht als unwirtschaftlich gelten, wenn sie nach Tariflohn zahlen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
– Das ist richtig gut; für dieses zentrale Anliegen von uns könnte hier vor allen Dingen von den Linken auch einmal ein bisschen Applaus kommen. – Ich glaube, es ist wichtig, dass die Kostenträger ein Anrecht haben, einen Nachweis zu bekommen, dass in den stationären Einrichtungen, dass von den Diensten diese Vereinbarung gegenüber den Beschäftigten eingehalten wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU])
Es muss nämlich nachweisbar sein, dass die Beschäftigten auch nach Tarif bezahlt werden. All das ist in diesem Pflegestärkungsgesetz I.
Ich will gerne noch einmal auf die Leistungsansprüche zu sprechen kommen, die wir jetzt hier verankert haben.
Es geht um mehr Flexibilität, es geht um Passgenauigkeit; denn nicht jeder, nicht jede hat den gleichen Bedarf.
Es geht darum, die Leistungen auszuweiten, sie zu dynamisieren. Der Leistungsanspruch ist seit Bestehen der Pflegeversicherung nicht dynamisiert worden, es kam jedoch zu exorbitanten Kostensteigerungen. Das fangen wir mit plus 4 Prozent für alle Leistungen ein Stück weit auf.
Wir wollen die Kurzzeit- und Verhinderungspflege flexibilisieren. Es muss möglich sein, den einen Bereich für den anderen zu nutzen; das ist wichtig.
Und wir wollen vor allen Dingen auch Betreuungs- und Entlastungsleistungen stärken; denn Menschen, die an Demenz erkrankt sind, haben nicht unbedingt für den gesamten Sachleistungsanspruch einen rein pflegerischen Bedarf. Es geht vielmehr auch um Unterstützung bei der Strukturierung des Tages, es geht um die kleinen Begleitgänge – zum Friedhof, zum Arzt, zum Friseur –, es geht darum, kleine Dinge zu ermöglichen, dass also der Angehörige/die Angehörige nicht die ganze Zeit festgehalten ist, sondern auch einmal weggehen kann, ohne Angst haben zu müssen, was in der Häuslichkeit passiert, wenn die Tür von außen zugeschlossen wird.
(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Warum regeln Sie das dann nicht?)
All das ist der erste Baustein, und, ja, das ist ein Stück weit ein Vorgriff auf die Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Es ist an uns, zu kommunizieren, dass wir jetzt schon Leistungsverbesserungen anbieten, die dann natürlich auch dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff entsprechen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns doch in einem einig – bei diesem Thema bestand in diesem Haus immer große Einigkeit –: dass es um fundamentale Ansprüche von Menschen in Lebenssituationen geht, die wir alle für uns selber nicht unbedingt als Zukunftsvision haben wollen, und dass wir diese Menschen, ihre Angehörigen und die Menschen, die sie professionell unterstützen, im Blick haben. Vor dem Hintergrund dieses Dreiklangs haben wir unsere Arbeit im Bereich der Pflegepolitik immer verstanden: Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Unterstützung für pflegende Angehörige und natürlich auch Respekt und gute Berufsaussichten für Pflegefachleute. In diesem Dreiklang sehe ich einen wichtigen Baustein für die umfassende Pflegereform, die wir heute verabschieden.
Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns bei aller politischen Auseinandersetzung den Blick nicht selber verstellten und das, was wir in anderen Konstellationen längst miteinander vereinbart hatten, gemäß diesem Dreiklang auch hier heute verabschieden könnten.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Elisabeth Scharfenberg.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3992975 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 61 |
Tagesordnungspunkt | Pflegeversicherung |