17.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 61 / Tagesordnungspunkt 21

Georg NüßleinCDU/CSU - Pflegeversicherung

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Mit dem Pflegestärkungsgesetz legt diese Koalition eine Fülle von Verbesserungen und Entlastungen vor, und zwar für Pflegebedürftige, um die es nämlich geht, für die pflegenden Angehörigen – sie tragen eine wesentliche Last – und für die professionellen Pflegekräfte, die wir in Zukunft, so wie es die Kollegin Mattheis beschrieben hat, vermehrt brauchen. Zusätzlich werden wir – das hat die Kollegin Scharfenberg gerade massiv kritisiert – einen Pflegevorsorgefonds in Höhe von 1,2 Milliarden Euro jährlich einführen und damit ein Element der Generationengerechtigkeit und Zukunftssicherung schaffen.

Frau Kollegin Scharfenberg, von einer Partei, die sonst immer über Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit spricht,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Allerdings!)

hätte ich eigentlich erwartet, dass sie genau diese Maßnahme positiv würdigt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Stattdessen war von Ihnen, in schöne Worte gekleidet, eine Fülle von Allgemeinheiten zu hören.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Gemeinheiten!)

Das Einzige, was in dem Zusammenhang durchaus charmant und ehrlich war, war Ihr einleitender Satz, es sei Aufgabe der Opposition, Wasser in den Wein zu gießen. Das ist aber nicht überzeugend gelungen, muss ich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man kann zwar kritisieren, dass wir für diese Maßnahmen Geld brauchen und dafür den Beitragssatz erhöhen. Aber wenn man den Gesetzentwurf genau liest, dann stellt man fest: Wir finanzieren eine ganze Menge von wirklich wichtigen Verbesserungen,

(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Versicherten finanzieren!)

und wir tragen dafür Sorge, dass das Geld auch wirklich bei den Pflegenden ankommt – auch das muss man erst hinbekommen – und sie tatsächlich etwas davon haben.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss selbstverständlich sein! Wir reden hier über Beiträge, nicht über Steuern!)

Deshalb werden Sie erleben, dass unser Vorhaben entgegen Ihrer Kritik relativ schnell in der Gesellschaft wie auch in der Wirtschaft akzeptiert wird.

Weil es infrage gestellt wurde, möchte ich betonen: Es handelt sich um einen ersten Schritt. Wir gehen demnächst einen wohlüberlegten zweiten Schritt, indem wir den Pflegebegriff neu definieren. Auch dafür werden wir entsprechend Geld in die Hand nehmen,

(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Versicherten werden das Geld in die Hand nehmen!)

sodass auch die Kritik, die von der Linken gekommen ist, nämlich am Ende würde uns das Geld dafür fehlen, von der Hand zu weisen ist.

Wir führen parallel dazu mit einem anderen Gesetz einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit ein. Beschäftigte, die Pflegezeit oder Familienpflegezeit in Anspruch nehmen, werden zugleich einen Anspruch auf finanzielle Förderung zur besseren Bewältigung des Lebensunterhalts während der Freistellung erhalten.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber warum zahlt das der Beitragszahler?)

Die bis zu zehntägige Auszeit für Angehörige, die kurzfristig Zeit für die Organisation einer neuen Pflegesituation benötigen, wird künftig mit einer Lohnersatzleistung gekoppelt. Das ist eine enorme Verbesserung für die pflegenden Angehörigen, meine Damen und Herren. Es ist aber auch eine Belastung für die Wirtschaft, die wir in Kauf nehmen, weil wir wissen, dass es darauf ankommt, dass Beschäftigte die Chance bekommen, für pflegebedürftige Angehörige da zu sein. Auch dazu hätte ich mir von Ihnen anerkennende Worte zu den Freiräumen und finanziellen Voraussetzungen gewünscht, die wir für diesen großartigen Einsatz schaffen. Es wäre wirklich angebracht gewesen, dazu etwas Positives zu sagen, meine Damen und Herren.

Mit dem Pflegestärkungsgesetz werden wir alle Leistungsbeträge anheben und damit dynamisieren. Das ist überfällig. Wir setzen einen besonderen Schwerpunkt, indem wir die Rahmenbedingungen für die häusliche Pflege weiter verbessern. Bei aller Wertschätzung – ich sage das ganz deutlich, um Missverständnisse zu vermeiden – für die Leistung der Pflegeheime und der dort arbeitenden Pflegekräfte, wie sie die Kollegin Mattheis richtig beschrieben hat, wissen wir, dass es ein Anliegen der Pflegebedürftigen ist, solange es irgendwie geht, in ihrem eigenen Heim zu bleiben. Weil das so ist und das Zuhause immer höher geschätzt wird als ein Heim, haben wir in dem Gesetzentwurf einen entsprechenden Schwerpunkt gesetzt. Schon deshalb bitte ich Sie alle, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir eröffnen den Pflegebedürftigen und den sie pflegenden Angehörigen eine bedarfsgerechtere und flexiblere Inanspruchnahme mit mehr Wahlmöglichkeiten. Die Leistungsverbesserungen kommen somit direkt bei den Pflegebedürftigen an. So können zukünftig alle zuhause lebenden Pflegeleistungsempfänger 40 Prozent des Sachleistungsbetrages für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote verwenden. Dies sind zum Beispiel kleinere Erledigungen im Haushalt, Botengänge oder die Begleitung zu Arztterminen, also lauter Tätigkeiten, die wichtig sind und die gesunden Menschen ganz selbstverständlich erscheinen. Aber in einer Pflegesituation wird deutlich, was für eine große Bedeutung sie haben.

„Niedrigschwellig“ klingt erst einmal ein wenig wie „nachrangig“. Aber die Regelung stärkt die Flexibilität und erweitert die finanziellen Spielräume der Pflegebedürftigen zu Recht, wie ich meine. Für einen gebrechlichen Senior mit Demenzerkrankung ist die Hilfe im Alltag eine fundamentale Voraussetzung, um zu Hause wohnen zu können. Darum geht es uns.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der einzelne Pflegebedürftige kann sich erstmals aussuchen, welche Leistungen er braucht. Er kann sich ein Paket schnüren. Gerade für Pflegebedürftige, die Unterstützung im Haushalt und im Pflegealltag benötigen, für die aber die klassischen Sachleistungen nicht passgenau sind, bieten sich dadurch Gestaltungsoptionen, um ihre Bedarfe zu decken. Das ist ein entscheidender, ein wirklich wichtiger Fortschritt. Dies trägt wesentlich zur Selbstbestimmung und zur Verbesserung der Lebensqualität vieler Betroffener bei.

Im Übrigen haben Studien ergeben – das sage ich an die Adresse der Linken –, dass niedrigschwellige Angebote insbesondere bei Personen aus einfachen Milieus, wenn es um den Zugang zu pflegerischen Hilfen geht, sehr bedeutsam sind. Hier werden persönliche Beziehungen als eine wichtige Strategie zur Bewältigung von Pflegebedürftigkeit empfunden, die im Rahmen dieser niederschwelligen Angebote in viel größerem Maße gewährleistet sind. Ich bitte, das nachzuvollziehen.

Wir stärken damit auch das Potenzial familiärer und ehrenamtlicher Versorgungsstrukturen und leisten einen Beitrag zur Weiterentwicklung einer generationengerechten Infrastruktur. Dies ist auch aufgrund des spürbaren Fachkräftemangels eine wichtige Maßnahme. Wer in der eigenen Wohnung gepflegt werden möchte, aber dafür Umbaumaßnahmen durchführen muss, um zum Beispiel die Dusche begehbar zu machen oder Türen zu verbreitern, kann Zuschüsse in Höhe von bis zu 4 000 Euro bekommen. Auch das ist eine wichtige Maßnahme. Man sollte nicht vergessen, wie viel dadurch letztendlich eingespart wird.

Viele lamentieren über die Kosten. Aber wir sprechen viel zu wenig darüber, was auf der anderen Seite der Bilanz steht. Das ist gut investiertes Geld. Durch einen altersgerechten Umbau kann der Umzug von Pflegebedürftigen in ein Heim vermieden oder hinausgeschoben werden. Wenn Sie sich eine Studie der Prognos AG zu Gemüte führen, dann lesen Sie, dass das unser Sozialsystem um bis zu 3 Milliarden Euro im Jahr entlastet. Wir tätigen also sehr wohl überlegte, gute Investitionen.

Eine weitere Voraussetzung ist, dass in den Ländern und Kommunen das soziale Lebensumfeld und die bestehenden Wohnangebote zum Beispiel durch Quartierskonzepte alters- und bedarfsgerechter ausgebaut werden. Auch wohnortnahe Beratungs- und Dienstleistungsstrukturen zum Beispiel durch den Ausbau der ehrenamtlichen Unterstützung müssen wir verstärkt anbieten. Dazu haben wir die bereits angesprochene Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet. Wir setzen große Hoffnungen darauf.

Lassen Sie mich noch etwas zu dem kritisierten, viel gescholtenen Generationenfonds sagen. Ich möchte ganz klar herausstellen, dass wir das sehr bewusst machen und nicht auf besonderen Wunsch eines Einzelnen. Vielmehr sind wir der Überzeugung, dass wir Vorsorge treffen müssen. Wir machen uns Gedanken über die Frage, ob wir gerüstet sind, wenn die geburtenstarken Jahrgänge – 1964 ist der stärkste Jahrgang aller Zeiten – in die Pflegesituation kommen. Eigentlich müsste das Ganze positiv begleitet werden. Das würde auch passieren, wenn wir in der Politik nicht alles infrage stellen und uns selber misstrauen würden. Was ist das denn für ein Einwand, zu sagen: „Um durch den Fonds nicht in Versuchung geführt zu werden, sollten wir ihn lieber weglassen. Er hat keinen Zweck, weil irgendwann einmal eine politische Generation in die Versuchung geraten könnte, in den prall gefüllten Topf zu fassen“?

Wir betreiben Vorsorge und legen das Geld gut an. Wir schmeißen es nicht in den Rachen der Finanzmärkte, wie Sie es in Ihrem Duktus gesagt haben. Wir stellen im Übrigen durch solche Debatten sicher, dass sich niemand trauen wird, dieses Geld anzufassen.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Zu sparen und für schwierige Situationen, die programmiert sind, Vorsorge zu treffen, kann nichts Schlechtes sein. Das entspricht aber nicht Ihrer Vorstellung von Schulden machen, Geld aufs Spiel setzen und nicht für die Zukunft zu sorgen. Sie sorgen vielmehr dafür, dass spätere Generationen in Schwierigkeiten kommen.

Das werden wir nicht tun. Wir machen das gut, wir machen das zielorientiert. Dafür ist dieses Gesetz ein wichtiger erster Schritt; wir freuen uns auf den zweiten.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Kollegin Pia Zimmermann spricht jetzt als nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3993017
Wahlperiode 18
Sitzung 61
Tagesordnungspunkt Pflegeversicherung
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta