Heinz-Joachim BarchmannSPD - Ebola-Epidemie
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mittlerweile sind weit über 4 000 Menschen durch die anhaltende Ebolaepidemie gestorben. In der Nacht zum Dienstag dieser Woche erlag ein UN-Mitarbeiter in Deutschland, der in Leipzig behandelt wurde, der furchtbaren Krankheit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat erschreckende Hochrechnungen veröffentlicht: Sie rechnet im Dezember mit 5 000 bis 10 000 neuen Infektionsfällen pro Woche in den am stärksten betroffenen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone.
Die Ausmaße dieser Krise sind erschreckend. Unsere Hilfe in den betroffenen westafrikanischen Ländern, die zu den ärmsten Ländern zählen, ist dringend notwendig. Sie ist meiner Meinung nach überfällig. Angesichts der Krise muss man sagen: Die Gefahr wurde zu lange nicht erkannt.
Wir sind allen Helferinnen und Helfern zu Dank verpflichtet, wie zum Beispiel denen von Ärzte ohne Grenzen. Sie haben lange vor der WHO auf die Tragödie in Westafrika aufmerksam gemacht.
(Beifall bei der SPD)
Die Ärzte sind unermüdlich im Einsatz, um Menschenleben zu retten. Allen Helferinnen und Helfern, die bis zur Erschöpfung ihr Möglichstes tun, um die infizierten Menschen zu retten, gebührt unser großer Dank für ihr Handeln und für ihren Mut.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was sich meiner Meinung nach gerade in dieser Situation in Guinea, Sierra Leone und Liberia schmerzvoll zeigt, sind die frappierenden Defizite in den Gesundheitssystemen dieser Länder. Es sind in der Tat auch Entwicklungsdefizite. Der erste Ausbruch von Ebola liegt fast 40 Jahre zurück, das war im Jahr 1976. Über 400 Menschen sind damals gestorben. Eine Verbesserung der Gesundheitssysteme hat es seither kaum gegeben. Eine tragfähige öffentliche Gesundheitsversorgung in zahlreichen afrikanischen Staaten gibt es nach wie vor nicht. In Liberia wird die Lage besonders deutlich: Auf 100 000 Menschen kommt ein einziger Arzt. Dass es hier zu einer Überforderung der Gesundheitssysteme während einer Krise kommen muss, ist uns allen klar. Die Überforderung ist auch schon ohne diese furchtbare Epidemie massiv vorhanden.
Kollege Barchmann, gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage der Kollegin Vogler?
Ja, gern.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie meine Frage zulassen. – Sie haben gerade selbst die desaströse Situation in den betroffenen Ländern beschrieben. Können Sie mir vielleicht sagen, wie Sie menschlich und politisch dazu stehen, dass in Deutschland Gerichte immer noch Abschiebungen zum Beispiel nach Guinea anordnen und Behörden gehalten sind, diese auch zu vollziehen, und dass die Bundesregierung in Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion kürzlich gesagt hat, dass sie das nach wie vor für in Ordnung hält? Würden Sie sich persönlich dafür einsetzen wollen, dass solche Abschiebungen nach Guinea, Liberia und Sierra Leone bis auf Weiteres unterbunden werden?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Es wird überhaupt nicht abgeschoben! Es gibt überhaupt keine Abschiebungsfälle!)
Liebe Kollegin Vogler, die Problematik der Abschiebung ist eine andere Problematik, als wir hier im Augenblick diskutieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich denke, das Problem Ebola ist so evident und offenkundig, dass wir die Problematiken durchaus voneinander trennen sollten. Insofern ist das für mich im Augenblick in diesem Zusammenhang kein Thema. Allerdings ist Abschiebung ein Punkt, den wir ebenfalls behandeln müssen. Ich nehme das auch gern auf.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Meine Damen und Herren, am Beispiel von Senegal und Nigeria kann man aber auch gut sehen, wie entscheidend ein vergleichsweise gut funktionierendes Gesundheitssystem ist. In beide Länder ist jeweils eine infizierte Person eingereist. Dank schneller Isolierung der betroffenen Personen und ihrer direkten Kontakte konnte sich die Krankheit nicht weiter ausbreiten. In Nigeria kam es zu 20 Fällen der Infektion. Im Senegal blieb es bei einer Infektion. Das ist, glaube ich, hervorragend, und es sollte auch erwähnt werden, dass man durchaus etwas machen kann.
Die Bundesregierung hat gute Maßnahmen auf den Weg gebracht, um bei der Eindämmung der Epidemie zu helfen. Die finanziellen Mittel für die Krisenregionen wurden vom Entwicklungsminister auf 10 Millionen Euro angehoben. Auch das Auswärtige Amt hat die Hilfen für die betroffenen Länder um weitere 5 Millionen Euro aufgestockt. Die Bundeswehr unterstützt mit einer Luftbrücke den Transport von Hilfsgütern aus Deutschland und der Europäischen Union. Sie wird eine Krankenstation zur Verfügung stellen und dementsprechend einrichten. Die von Frau Dr. Böhmer angesprochenen 85 Millionen Euro, die diese Woche im Haushaltsausschuss bewilligt worden sind, sind, glaube ich, auch eine sehr wichtige Hilfe, die zur Linderung beiträgt.
Ich begrüße auch sehr, dass die Europäische Union 150 Millionen Euro bereitstellt, um die Epidemie zu bewältigen, und dass Deutschland auch einen Anteil dazu beiträgt.
Doch um eine Wiederholung dieser Krise zu verhindern, müssen die betroffenen Länder mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft entschlossen die strukturellen Probleme angehen. Die betroffenen Staaten müssen wenigstens eine Grundsicherung im Gesundheitssystem anbieten können. Das gelingt nur durch ein sozial gerechtes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Nur wenn die Grundlagen stimmen, können Katastrophen wie diese eingedämmt werden. Dabei haben die Weltgemeinschaft und auch wir eine entwicklungspolitische Verantwortung. Diese Verantwortung muss sich auch in unserem Haushalt widerspiegeln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Darum erlauben Sie mir einen kurzen Einwurf dazu: Eine aktuelle Emnid-Umfrage besagt, dass 79 Prozent der Deutschen sich dafür aussprechen, dass wir mehr Geld in die Entwicklungszusammenarbeit investieren und unsere Zusage einhalten, einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit fließen zu lassen. Hier müssen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr tun. Denn davon sind wir noch weit entfernt.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir müssen dringend über weitere Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken, auf nationaler und internationaler Ebene.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ebolaepidemie löst auch eine Nahrungsmittelkrise aus. Eine Hungerkatastrophe droht. Schon jetzt ist Liberia von drastischen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln betroffen. Wir müssen davon ausgehen, dass alle betroffenen Länder Nahrungsmittelhilfe benötigen werden. Denn die Landwirtschaft leidet enorm unter der Krise. Felder wurden nicht bestellt; Ernten werden ausbleiben.
Die zurzeit völlig überforderten Gesundheitssysteme haben zur Folge, dass anderweitig Erkrankte oft keine Behandlung mehr erhalten. Aus Angst vor Ansteckung trauen sie sich nicht mehr zum Arzt. Menschen sterben jetzt noch häufiger an Krankheiten, die ansonsten relativ einfach zu behandeln wären.
Wer aufgrund einer Erkrankung nicht arbeitet, verdient kein Geld und kann sich und seine Familie nicht ernähren. Es fehlt an sozialer Sicherung. Kinder können nicht mehr zur Schule gehen. Wirtschaft und Landwirtschaft kommen zum Erliegen. Der Handel stagniert. Das wirtschaftliche und soziale Leben liegt brach. Die Menschen in Sierra Leone, Guinea und Liberia fürchten sich inzwischen vor Berührungen. Sie gehen nicht mehr aus dem Haus und vermeiden Kontakte. Man schüttelt sich aus Angst vor dem unsichtbaren Virus nicht mehr die Hand.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird nicht ausreichen, die Ebolaepidemie einzudämmen. Neben den notwendigen und möglichst schnell umzusetzenden Krisenmaßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit wird die weitere Entwicklung der betroffenen Staaten entscheidend sein. Die öffentliche Gesundheitsvorsorge ist dabei ein wichtiger Teil.
Zur Stabilisierung der Staaten müssen wir jetzt humanitäre Hilfe leisten. Wir müssen in der Krise helfen, und das tun wir. Langfristig muss allerdings eine nachhaltige und mit unseren europäischen und internationalen Partnern koordinierte Entwicklungszusammenarbeit die Antwort sein. Dafür sollten wir uns alle einsetzen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Uwe Kekeritz das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3996888 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 61 |
Tagesordnungspunkt | Ebola-Epidemie |