Uwe KekeritzDIE GRÜNEN - Ebola-Epidemie
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir bei Ihrem Beitrag, Herr Huber, überlegt, ob das die Position Ihrer gesamten Fraktion ist oder ob es sich mehr um die Meinung eines Freigeistes handelt. Wenn es die Meinung Ihrer Fraktion ist, dann sollten wir darüber noch einmal intensiver diskutieren.
Am 23. März 2014 hat die WHO die ersten Ebolafälle in Guinea gemeldet. Kurz darauf bestätigte sie weitere Infektionen in Liberia. Im Mai wurde Ebola in Sierra Leone registriert. Noch vor der Sommerpause habe ich die erste Anfrage an die Bundesregierung gestellt und in einer Pressemitteilung die Bundesregierung aufgefordert, schnell und entschieden im Kampf gegen die Ebolaepidemie zu handeln.
Herr Barchmann, Sie sind schon sehr lange informiert. Das Problem ist also nicht unterschätzt worden. Selbst auf WHO-Ebene ist das klar gesagt worden. Am 8. August hat die WHO den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Spätestens dann hätte die Regierung handeln müssen. Dass sie nicht auf meine Anfrage handelt, ist klar.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Wäre aber gut!)
Aber vier Wochen später hätte sie aufgrund der WHO- Verlautbarung handeln müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nun diskutieren wir drei Monate später über einen Entschließungsantrag von Union und SPD, der überwiegend Prüfaufträge für die Bundesregierung vorsieht. Die Zeit der Prüfaufträge ist aber meines Erachtens vorbei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Sie bestätigen mit diesem Antrag, dass die Bundesregierung nicht willens oder vielleicht auch nicht fähig ist, entschlossen und schnell zu handeln. In dieser dramatischen Situation geht es um Soforthilfe und humanitäre Hilfe. Schauanträge, die zum großen Teil auf völlig veralteten Fakten basieren, helfen niemandem. Wir stimmen doch heute nicht ernsthaft darüber ab, dass die Bundesregierung die Verfügbarkeit von technischem Material und Flugkapazitäten prüfen soll. Wir sind nicht in der heute-show. Solche Anträge können Sie sich sparen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Es ist eindeutig: Dieser Antrag bringt keinen Mehrwert. Er bestätigt letztlich nur das Versagen der Bundesregierung, und das nach einem dramatischen Aufruf von Johnson Sirleaf an die Kanzlerin und nachdem der UN-Sicherheitsrat die Ebolaepidemie als eine Gefahr für Frieden und Sicherheit in der Welt eingestuft hat. Eine solche Einstufung erfolgt nicht aus Jux und Tollerei.
Kollege Kekeritz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Huber?
Aber selbstverständlich. Wenn es von Herrn Huber kommt, immer.
Kollege Kekeritz, die Sache wäre ganz einfach, wenn wir nicht über eine ansteckende Krankheit reden würden. Ich frage mich, wo die Expertise ist, wenn Sie sagen: Schickt die Leute los; denn wir sind mit einem Epidemieszenario konfrontiert.
Das, was ich vorhin zitiert habe, entstammt nicht den Gehirnwindungen eines Freigeistes – das haben Sie mir unterstellt –, sondern ist ein Zitat eines Experten der WHO. Er wollte deutlich machen, dass zuallererst die Einschätzung der WHO gefragt ist. Das letzte Mal, als wir mit solchen epidemischen Szenarien zu tun hatten, war während der Zeit der Pest. Damals war Herr Gröhe noch nicht im Amt, sehr geehrter Herr Kekeritz. Eine Expertise fehlt uns also.
Sie behaupten, die Bereitschaft, dieses Szenario wahrzunehmen, sei nicht vorhanden. Dem ist nicht so. Ich glaube, ich war der Erste, der gesagt hat: Ich werde mir die Situation vor Ort gerne anschauen. – Der Grund war: Ich weiß, wie der Impact auf die Bevölkerung ist, wenn man vor Ort auftritt, insbesondere in Gebieten auf dem Land, wo die Menschen zum Teil noch dem Naturglauben verhaftet sind. Glauben Sie nicht, dass die Menschen vor Ort, wenn Sie dort erscheinen, sofort erkennen, dass Sie ihnen helfen wollen!
Vielen Dank.
Herr Huber, herzlichen Dank für Ihre Frage. – Ich weiß, dass Sie – Sie haben darauf schon oft verwiesen – Ärzte ohne Grenzen Ihre Hilfe angeboten und diese Organisation aufgefordert haben, Sie zu begleiten, weil Sie die Welt dort unten erklären können. Ärzte ohne Grenzen hat meines Erachtens zu Recht Ihr Angebot abgelehnt; denn die müssen sich mit den Kranken und Betroffenen beschäftigen und haben keine Zeit für deutsche Bundestagsabgeordnete,
(Charles M. Huber [CDU/CSU]: Mit afrikanischem Hintergrund, Herr Kekeritz!)
die da unten den Reiseführer spielen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Sie fragten auch, wo die Expertise steckt. Herr Huber, wir diskutieren die Sache jetzt wirklich lange genug in den Ausschüssen und auch hier in diesem Saal. Die Expertise fing 1976 im Kongo an, als Ebola zum ersten Mal aufgetreten ist. Wir haben seitdem an die 50 Ausbrüche gehabt. Die Weltgemeinschaft hat sich mit der Thematik auseinandergesetzt. Auch wir hier haben schon klar gemacht, dass die Ausbrüche, zum Beispiel in Uganda, in Ruanda und – auch das wurde vorhin gesagt –in Guinea, eingedämmt worden sind, und zwar sehr schnell. Da sind die Gesundheitssysteme einfach weiter und besser entwickelt. Das ist also keine Frage der Pest oder ob Herr Gröhe damals schon Minister war. Diesen Zusammenhang sehe ich überhaupt nicht.
Also, die Expertise ist da. Es ist die Frage, inwieweit die Mittel für diese Expertise zur Verfügung gestellt werden und inwieweit die internationale Gemeinschaft darauf reagiert. Ich kann nochmals feststellen: Die Bundesregierung reagiert nur, wenn der öffentliche Druck groß wird oder wenn sie es aufgrund des internationalen Drucks nicht mehr schafft, nach unten wegzutauchen. – Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Rebmann [SPD]: Deine Pressemitteilung war genau 48 Stunden vor meiner!)
Jetzt hat die Bundesregierung finanziell aufgestockt. Wir hören wieder, wir könnten stolz sein. Vor diesen Verhandlungen und Haushaltsdebatten war das noch nicht der Fall. Jetzt wird aufgestockt. Das ist mir eigentlich zu spät.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen wir gerettet hätten, wenn wir damals, nachdem der WHO-Aufruf erfolgt ist, Mittel zur Verfügung gestellt hätten? Es geht nicht nur um die infizierten Menschen, sondern es geht um das ganze Land. Es ist vorhin von Frau Böhmer richtig skizziert worden. Liberia und Sierra Leone sind inzwischen in ihrer Gesamtheit schwer traumatisiert. Tausende weißer Plastiksäcke sind Symbole des Untergangs des Landes, der Kultur und vor allem auch der Zukunft. So empfinden es die Menschen dort.
Ich zitiere eine Mutter, die erläutert, was der Unterschied zwischen dem grausamen Bürgerkrieg, den beide Länder über ein Jahrzehnt erlebt hatten, und Ebola ist: Wir konnten – so die Mutter – die Soldaten und die Mörderbanden hören, wenn sie kamen, und konnten in den Wald fliehen. Ebola ist plötzlich da. Du hörst Ebola nicht, du riechst Ebola nicht, und du siehst es nicht. Ebola macht uns zu einem Volk der Unberührbaren. Wir umarmen uns nicht mehr, wir küssen unsere Kinder nicht mehr, wir beerdigen unsere Väter und Mütter nicht mehr. Kinder, die ohne Eltern sind, sind plötzlich alleine. Niemand nimmt sie mehr auf. Im Krieg war das anders. Wir haben auch fremde Kinder aufgenommen und versorgt. Heute haben wir Angst vor kleinen Kindern.
Wie sich allein gelassene Kinder in einer apokalyptischen Umwelt fühlen, kann niemand von uns tatsächlich beschreiben. Die WHO spricht – auch das ist schon gesagt worden – von bis zu 10 000 Neuinfektionen pro Woche. Bis gestern sind circa 4 500 Menschen gestorben. Wenn wir uns in 14 Tagen zur nächsten Sitzungswoche wiedersehen, werden es weit über 5 000 sein. Die Dunkelziffer ist darin noch nicht eingerechnet.
Westafrika braucht dringend 3 000 Klinikbetten, Personal und Material. Die Expertise, wie das sinnvoll eingesetzt wird, Herr Huber, ist vorhanden. Ich appelliere an dieser Stelle an die Kanzlerin – Ebola ist ja seit gestern Chefsache –, dass sie für das Jahr 2015 die richtigen Weichen stellt. Es ist eine Blamage, dass wir heute feststellen müssen, dass am Mittwoch in der Frühe, um 9 Uhr, für das Haushaltsjahr 2015 1 Million Euro im Haushaltsentwurf standen und nicht mehr. Sie haben jetzt nachgebessert, aber das war das, Herr Huber, was vor zwei Tagen noch geplant war. Das ist eigentlich eine Schande.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ich muss Ihnen sagen: Damit wird deutlich, dass dieser Haushalt der verlogenste Haushalt seit der Gründung der Republik ist.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihnen hat es ins Gehirn geregnet, oder? „Verlogener Haushalt“, das ist eine Frechheit! – Charles M. Huber [CDU/CSU]: In Anbetracht eines solchen Szenarios eine parteipolitische Debatte in dieser Form zu inszenieren, ist eine Schande! Sie sollten nach Afrika gehen! Ich lade Sie ein!)
Ich habe jetzt die Möglichkeit gegeben, den Zwischenruf vollständig zu dokumentieren. Nun hat aber die Kollegin Sabine Weiss für die Unionsfraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3996924 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 61 |
Tagesordnungspunkt | Ebola-Epidemie |