Karl LauterbachSPD - Ebola-Epidemie
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich etwas zu der Debatte sagen, die ich hier verfolgt habe. In der Summe ist es so: Wir haben es hier mit einer Epidemie zu tun, die in dieser Form niemand jemals voraussehen konnte, die uns alle überrascht hat, die auch die WHO vor Ort und viele Experten vor Ort überrascht hat. Ich selbst habe in Burkina Faso und in dessen Umgebung Bekannte, die dort seit vielen Jahren als Ärzte und Forscher arbeiten und relativ nahe an den dortigen Geschehnissen sind. Niemand hat absehen können, wie es dann gekommen ist. Das hat uns alle betroffen gemacht und bestürzt.
Man muss sagen, dass Ärzte ohne Grenzen die einzige Hilfsorganisation gewesen ist, die von Anfang an, und zwar schon über den Juli hinweg, eine andere Einschätzung hatte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich sage hier ganz klar: Ärzte ohne Grenzen hatte recht. Wir haben uns getäuscht. Wir alle haben spät reagiert. Das hat aber, Herr Kollege Kekeritz, niemand sehen können. Das hat niemand absichtlich getan.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ist es!)
Daher hat es mich, offen gesagt, ein bisschen bestürzt, dass Sie gesagt haben, dass die Regierung hier nur auf öffentlichen Druck und auf internationale Veröffentlichungen reagieren würde. Wir sind über die Entwicklung genauso bestürzt gewesen wie Sie. Jeder von uns handelt, weil er das so für richtig hält, und er handelt nach seinem Gewissen. Über die Maßnahmen kann man streiten; aber zu unterstellen, dass hier einige ein Gewissen haben, aber andere nur auf Druck reagieren, das geht bei dieser Epidemie nicht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Kollege Lauterbach, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Kekeritz?
Ja, natürlich.
Nur ganz kurz. – Wollen Sie damit sagen, dass die Wissenschaft nicht weiß, wie sich solche Infektionszyklen, ob das Ebola, Grippe oder anderes ist, entwickeln? Sie wissen doch auch, dass nach dem Auftreten der ersten Infektionen das Personal noch reduziert worden ist, weil man einfach nicht wahrnehmen wollte, dass da ein Problem ist, weil man die Mittel nicht hatte. Wissenschaftlich besteht doch überhaupt kein Zweifel darüber, wie diese Ansteckungszyklen verlaufen. Oder vertreten Sie da eine andere Auffassung?
(Charles M. Huber [CDU/CSU]: Es geht doch um die Strategie der Bekämpfung!)
Zunächst einmal: Ich bin von der Ausbildung her Arzt und Epidemiologe
(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
und habe einen entsprechenden Lehrstuhl an der Uni Köln. Von daher kenne ich mich aus.
(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Es ist tatsächlich so, dass jede Epidemie anders verläuft.
(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist es!)
Die Ebolaepidemie, die diesmal zu beobachten ist, hat einen ganz anderen Verlaufstypus: Die Sterblichkeit ist etwas niedriger, und die Phase, in der jemand jemanden infizieren kann, ist etwas länger. Daher ist der Verlauf ein ganz anderer als bei den Epidemien, die wir vorher gehabt haben – bei dem gleichen Erreger übrigens.
Es ist tatsächlich tragischerweise so, dass man das nicht weiß. Das ist so. Man weiß es nicht.
(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Nur die Grünen wissen es!)
Richtig ist aber, dass vor Ort eine Einschätzung gegeben werden kann. Da hatte Ärzte ohne Grenzen die richtige Einschätzung. Die lokale WHO-Organisation hatte die falsche Einschätzung. Die Verantwortlichen sind ersetzt worden; das ist zu Recht passiert.
Wir haben hier nicht erst auf Druck gehandelt, sondern wir haben uns wie bei den vergangenen Epidemien auf die lokale Berichterstattung der WHO und einiger anderer Organisationen verlassen. Das will ich jetzt nicht im Detail ausführen, weil das die Zeit sprengen würde. Aber es ist tatsächlich so gewesen: Ärzte ohne Grenzen war die einzige Organisation mit der richtigen Einschätzung. Noch am 4. August – Sie haben eben den 8. August genannt – hat die lokale WHO-Organisation gesagt, die Seuche verlaufe so wie bei den früheren Epidemien. Am 8. August hat man das korrigiert. Vorher war das also eine Fehleinschätzung.
Dann haben wir aber unmittelbar reagiert. Ich könnte jetzt im Detail beschreiben, was passiert ist. Zum Beispiel haben wir zwei lokale Labore vor Ort unterhalten, um den Verlauf der Infektion vor Ort kontrollieren zu können. Es gab eine Vorabexpedition. Wir haben sehr früh einen Krisenstab eingerichtet. Es gibt eine Reihe von Dingen, die wir gemacht haben. Es kann sein, dass nicht alles gemacht wurde, was hätte gemacht werden sollen – das will ich gar nicht bestreiten –, aber wir sollten in dieser Diskussion ehrlich miteinander umgehen.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ist es!)
Es gab eine Fehleinschätzung, aber niemand hat hier gegen sein Gewissen gehandelt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben jetzt konkret Folgendes vor: Wir bringen zwei Kliniken vor Ort in Betrieb – in Zusammenarbeit von THW, Bundeswehr und DRK. Freiwillige werden derzeit in Würzburg ausgebildet, übrigens gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen, aber auch mit dem DRK. Diese Ausbildung verläuft sehr gut. Nach dem, was wir bisher verfolgen können, wird diese Ausbildung zeitgerecht vorbereitet. Wir bilden eine Luftbrücke. Wir rüsten derzeit ein Flugzeug um, mit dem Helfer, die sich infizieren, zurückgebracht werden können. Wir haben 50 Klinikbetten an sieben Standorten. Nicht alle dieser 50 Klinikbetten können gleichzeitig betrieben werden. Man geht davon aus, dass zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht zwei Drittel betrieben werden können; der Rest kann aber in relativ kurzer Zeit hochgerüstet werden.
Man kann zwar sagen: Die Kapazität ist zu gering. – Das ist aber auf jeden Fall die höchste Kapazität, die ein europäisches Land derzeit vorhält. Das ist auch der Grund, weshalb wir derzeit Patienten aufnehmen, und zwar nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer. Das machen wir zu Recht; denn wir haben eine gute Kapazität. Wir bringen sie voll ein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir versuchen, unsere Bemühungen zu koordinieren. Wir arbeiten mit der speziellen Stelle zusammen, die dafür von der UN in New York eingerichtet worden ist. Ebenfalls sehr eng arbeiten wir mit einer entsprechenden europäischen Stelle, ECHO, zusammen. Diese beiden Einrichtungen arbeiten zusammen. Wir koordinieren unsere Pläne auch mit den Nichtregierungsorganisationen, insbesondere mit Ärzte ohne Grenzen, die sogar in unser Ausbildungsprogramm eingebunden sind.
Es ist richtig, dass wir nicht sofort das Geld zur Verfügung gestellt haben, was wir hätten zur Verfügung stellen sollen. Wir stellen aber jetzt mehr zur Verfügung als jedes andere europäische Land. In der Summe sind es immerhin fast 150 Millionen Euro. Selbstverständlich sind wir bereit, mehr zur Verfügung zu stellen, wenn das notwendig sein sollte.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich will zum Abschluss noch etwas zu dem vorliegenden Entschließungsantrag sagen. Es ist klar, dass er zum Teil veraltet ist.
(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Zum Teil veraltet“! Na ja, da sind wir uns wenigstens einig!)
Das gilt – auch das ist ganz klar – für jeden Antrag. Wenn ein Antrag eingebracht wird, dauert es halt eine Zeit, bis er diskutiert wird. Insofern habe ich noch nie einen Antrag gesehen, der nicht ein Stück weit veraltet gewesen wäre.
Der Antrag hatte das Ziel, diese wichtige Diskussion im Bundestag einmal offen und konstruktiv nach vorne gerichtet zu führen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann frage ich mich, warum Sie unserem Antrag nicht zugestimmt haben vor einem Monat!)
Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir in Zukunft – das ist jetzt keine Abrechnung mit den bisher erfolgten Redebeiträgen – zu einer konstruktiven, über die Fraktionsgrenzen hinweggehenden Zusammenarbeit kommen, damit wir für diejenigen ein Vorbild sind, bei denen ich mich abschließend im Namen der gesamten SPD-Fraktion bedanken möchte: Das sind die Menschen, die vor Ort, aus der ganzen Welt kommend, bei der Bekämpfung dieser Seuche zusammenarbeiten und dafür ihr Leben riskieren.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3996935 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 61 |
Tagesordnungspunkt | Ebola-Epidemie |