17.10.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 61 / Tagesordnungspunkt 25

Petra PauDIE LINKE - Bekämpfung des Antiziganismus

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, sich dem Antiziganismus zuzuwenden, also der vielfältigen Diskriminierung von Sinti und Roma. Das teilt die Linke ausdrücklich.

(Beifall bei der LINKEN)

Professor Wolfgang Benz hat vor wenigen Tagen sein Buch Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit vorgestellt.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss der Herr Fabritius einmal lesen!)

Ich war bei der Präsentation dabei und empfehle uns allen sein Buch. Darin erinnert er, dass diese Menschen als Zigeuner von jeher ausgegrenzt wurden. In der Nazizeit gipfelte das im Völkermord an den Sinti und Roma, den auch lange nach 1945 niemand wahrnehmen wollte. Auch heute werden Sinti und Roma oft wie Aussätzige behandelt, nicht nur in Osteuropa, sondern auch in der Bundesrepublik. Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn es geht hier nicht um irgendwelche Minderheitenrechte, sondern um allgemeine Menschenrechte, auch für Sinti und Roma.

Aktiver Antiziganismus knüpft häufig an Ängste und Vorurteile an und facht sie fernab der Wahrheit an. Ich möchte Ihnen ein aktuelles Beispiel der Hetze gegen Sinti und Roma darlegen. In Halle an der Saale im Wohngebiet „Silberhöhe“ gibt es seit neuestem eine Bürgerinitiative via Facebook. Das Bündnis „Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage“ hat einige Hetzparolen und falsche Behauptungen aufgegriffen. Die erste Behauptung, die dort verbreitet wird: Romakinder gehen generell nicht zur Schule. – Tatsache ist: Natürlich unterliegen sie wie alle Kinder der Schulpflicht und gehen selbstverständlich in die Schule.

Zweite Behauptung: Die dort ansässigen Romafamilien vermüllen das Wohnhaus und die öffentlichen Flächen – Tatsache: Dem widersprechen vehement die Vermieterin und die Stadtverwaltung.

Dritte Behauptung: Roma stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist. – Tatsache: Weder die Polizei noch der Supermarkt vor Ort bestätigen das.

Vierte Behauptung: Wegen krimineller Roma wurde die Polizeipräsenz im Wohngebiet erhöht. – Tatsache: Der Polizeisprecher der Stadt Halle sagt: „Ja, wir mussten die Polizeipräsenz nach dem Auftauchen dieser Bürgerinitiative erhöhen, zum Schutz der Sinti und Roma“.

Ich füge an: Solche Vorurteile werden nicht nur vom rechten Rand der Gesellschaft bedient, sondern auch aus ihrer Mitte. Vorwürfe oder Unterstellungen, Sinti und Roma seien Sozialschmarotzer, kommen leider auch aus dem politischen Raum. Ich halte das für unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Gleichwohl, Herr Kollege Beck, sollten wir in Ruhe darüber beraten, ob die vorgeschlagene unabhängige Expertenkommission „Antiziganismus“ darauf die richtige Antwort ist. Ich befinde mich dazu auch in der Debatte mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Ich möchte uns alle an die Expertenkommission zum Antisemitismus erinnern. Die erste Expertise liegt seit über zwei Jahren vor, allerdings – wir sprachen gestern darüber – bisher weitgehend folgenlos. Eine Expertise, die folgenlos bleibt, nützt weder den Jüdinnen und Juden hier im Land noch, wenn wir denn eine solche Berichterstattung hier beschließen, den Sinti und Roma und übrigens auch nicht der Gesellschaft.

Damit will ich abschließend uns alle daran erinnern: Seit drei Jahren kennen wir die Ergebnisse der Langzeitstudie über deutsche Zustände von Professor Heitmeyer und seinem Team an der Uni Bielefeld. Sein Befund: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, gegen Sinti und Roma, gegen Migrantinnen und Migranten, gegen Menschen mit Behinderungen, gegen Obdachlose und Arbeitslose usf. Auch darauf haben wir bisher im Bundestag, aber auch insgesamt noch nicht adäquat reagiert.

Übrigens wird als Ursache für diese Entwicklung in der Studie ein Megatrend benannt, nämlich dass das Soziale ökonomisiert und die Demokratie entleert wird. Es reicht also nicht, dass wir die Probleme in den Innenausschuss überweisen oder sie Experten anheimstellen. Ich glaube und bin fest davon überzeugt: Wir müssen hier gemeinsam einen Politikwechsel bewerkstelligen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3997040
Wahlperiode 18
Sitzung 61
Tagesordnungspunkt Bekämpfung des Antiziganismus
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