Heiko Maas - Vereinbarte Debatte anlässlich der Aufdeckung der NSU-Verbrechen
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Verbrechen des NSU vor drei Jahren bekannt wurden, waren alle von uns vor allen Dingen eines, nämlich fassungslos: fassungslos angesichts der brutalen Taten, aber auch fassungslos, weil es uns nicht gelungen war, die Morde früher zu stoppen und unsere Mitbürger besser zu schützen, fassungslos auch wegen des Versagens unseres Staates und seiner Behörden. Wir waren aber auch fassungslos, dass neben dem Leid des Verlustes eines nahen Angehörigen anschließend noch das Leid durch Demütigung hinzukam, weil man vielfach aus Opfern Täter gemacht hat, etwa als sie in den Ermittlungen in den Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität gestellt worden sind. Man muss ganz klar sagen, sehr geehrte Frau Pau: Das Leid, das Terroristen angerichtet haben und das durch das Staatsversagen verstärkt wurde, können wir nicht wiedergutmachen. Aber was wir tun müssen, ist, dafür zu sorgen, dass sich das nie wiederholt.
(Beifall im ganzen Hause)
Damit sich solche Taten nicht wiederholen, sind alle gefordert, die Rechtsprechung, die Gesetzgebung, die Exekutive, aber auch unsere Gesellschaft, wir alle.
Die Rechtsprechung handelt zurzeit in München. Dort findet vor dem Oberlandesgericht der NSU-Prozess statt. Das ist kein einfaches Verfahren. Wir befinden uns beim 155. Verhandlungstag. Die Beteiligten bei Gericht sind mit großer Sorgfalt dabei, die schrecklichen Verbrechen aufzuarbeiten. Dies ist nicht nur sinnvoll, sondern bitter notwendig; denn es trägt dazu bei, neben der Aburteilung von Straftaten auch die Wahrheit ans Licht zu bringen, vor allen Dingen das, was noch nicht das Licht der Welt gesehen hat. Das ist wichtig für die Angehörigen der Opfer, und es hilft vor allen Dingen uns, verloren gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen.
Wie wir die Gesetze ändern müssen, damit rassistische oder fremdenfeindliche Taten künftig früher erkannt und vor allen Dingen auch verhindert werden, darüber werden wir zum Beispiel in der nächsten Woche hier im Plenum miteinander diskutieren. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt vor. Er hat vor allen Dingen ein Ziel: In Zukunft sollen die Extremismusexperten vom Generalbundesanwalt häufiger und früher in Ermittlungen eingreifen und sie auch übernehmen können.
Schließlich müssen wir darüber hinaus auch die ganz alltägliche Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden verbessern. Auch das ist ein Ergebnis des Untersuchungsausschusses gewesen. Staatsanwaltschaften müssen über die Arbeit des Verfassungsschutzes besser informiert werden und häufiger den Kontakt mit diesen Ämtern suchen. Außerdem wird der Generalbundesanwalt auch der Länderjustiz helfen, rechtsterroristische Zusammenhänge besser erkennen zu können: Welche Codes und Symbole nutzen die Rechtsextremisten? Wie erkennt man, dass sich Verdächtige auf ein Leben in der Illegalität vorbereiten? Diese und viele weitere Informationen müssen und werden wir innerhalb der Justiz besser aufarbeiten, weiter verbreiten und einfacher nutzbar machen, damit rechtsextreme Taten als solche rechtzeitig erkannt und auch verhindert werden können.
Meine Damen und Herren, vor drei Jahren wurden die NSU-Verbrechen aufgedeckt. Ein Jahrestag – das klingt ein bisschen nach Geschichte. Tatsache ist aber leider: Rechte Gewalt ist keine Geschichte, sondern brennend aktuell. Rechte Hooligans und militante Neonazis haben das kürzlich mitten in Deutschland deutlich gemacht; Herr de Maizière hat es bereits angesprochen. Diese Gewalttaten – auch das will ich in aller Deutlichkeit sagen – waren auch eine Kampfansage an unseren Rechtsstaat. Ich sage deshalb sehr deutlich: Wer die Gewalt auf unsere Straßen trägt, der wird die ganze Härte unseres Rechtsstaates zu spüren bekommen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer die Versammlungsfreiheit für Gewaltexzesse missbraucht, für den wird es im Rechtsstaat keine Toleranz geben. Wir werden deshalb aber ganz sicherlich nicht das Demonstrationsrecht einschränken müssen. Es ist als Verlängerung der Meinungsfreiheit in einer Demokratie unantastbar.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen auch nichts einzuschränken; denn Verabredungen zur Gewaltausübung stehen ganz sicherlich nicht unter dem Schutz von Artikel 8 des Grundgesetzes. Ganz im Gegenteil: Landfriedensbruch ist die bessere Bezeichnung, und Landfriedensbruch kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden. Ich bin mir absolut sicher, dass Polizei und Justiz diese Gewalttäter entschlossen ermitteln und auch bestrafen werden.
Und ja, wenn das zutrifft, was wir in den letzten Wochen wahrgenommen haben, wenn Hooligans und Rechtsextreme zukünftig nachhaltig gemeinsame Sache machen, dann werden wir auch überlegen müssen, ob auch Hooligans zukünftig ein Thema für den Verfassungsschutz werden können. Wir brauchen ein gutes und funktionierendes Frühwarnsystem gegen solche Gewalt.
Gleichzeitig müssen wir aber auch verhindern, dass junge Leute in die rechte Szene abdriften. Deshalb ist die Präventionsarbeit so wichtig. Anfang 2015 startet das neue Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Es ist mit mehr als 30 Millionen Euro ausgestattet und schafft Planungssicherheit für die kommenden fünf Jahre. Dafür hat die Kollegin Schwesig mit gesorgt.
Rechtstaatliche Härte gegen Gewalttäter und kluge Prävention, damit niemand zum Täter wird – ich meine, das sind die richtigen Antworten auf die rechte Gewalt. Diese Antworten sind wir den Opfern des NSU auch bitter schuldig.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nächster Redner ist der Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4074111 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 62 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte anlässlich der Aufdeckung der NSU-Verbrechen |