Armin SchusterCDU/CSU - Vereinbarte Debatte anlässlich der Aufdeckung der NSU-Verbrechen
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Systemversagen, großes Leid, Schuld, die wir auf uns geladen haben – ich möchte nicht alles wiederholen –, all dies führt uns zu der Frage, was gut ein Jahr danach daraus folgt. Ich empfinde es heute Nachmittag jedenfalls als sehr eindrucksvoll, dass es nicht um eine routinemäßige Gedenkdebatte geht. Dass das nicht alles sein kann, wurde jetzt schon deutlich; dafür müsste ich nicht hier vorne ans Pult gehen. Nein, der Sinn dieser wertvollen 60 Minuten ist es, uns selbst den Finger in die Wunde zu legen, die für mich noch deutlich spürbar ist.
Was ist aus unseren Empfehlungen geworden, wie werden sie umgesetzt? Diese Frage im deutschen Parlament jährlich zu stellen, halte ich im Sinne der Opfer noch eine ganze Zeit für unabdingbar, ja, sogar für würdig und angemessen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich halte dies auch deshalb für angemessen, weil sich unsere Aufklärungsarbeit noch so unvollendet anfühlt; jedenfalls fühle ich es so. Viele Fragen bleiben offen; einige Rätsel sind ungelöst. Dass wir deswegen eine eigene Ermittlungsgruppe einsetzen, Herr Özdemir, erscheint mir irgendwie merkwürdig. Das ist hier immer noch das deutsche Parlament und nicht die Exekutive.
Meine Damen und Herren, dass viele Fragen offengeblieben sind, heißt aber nicht, dass ich hier ein Plädoyer für den 3. Untersuchungsausschuss halte. Da sich die Kolleginnen und Kollegen nicht selber loben können, möchte ich an dieser Stelle für die vielfältigen Aktivitäten, die hier im Parlament ohne Untersuchungsausschuss seit 14 Monaten laufen, den Berichterstattern, wie ich hoffe, fraktionsübergreifend einmal danken, die diese Arbeit ohne Untersuchungsausschussreferenten und wen auch immer intensiv, sensibel und, Frau Mihalic, zumeist viel konsensualer leisten, als Sie es jetzt hier vorgestellt haben. Ich glaube, dass Clemens Binninger, Eva Högl, Petra Pau und Irene Mihalic dafür einmal einen großen Dank von uns entgegennehmen sollten. Das ist eine sehr aufwendige, aber wichtige Arbeit.
(Beifall im ganzen Hause)
Frau Mihalic, die Unionsfraktion anzugreifen wegen ihrer Haltung zu Ausländern, ist ziemlich an der Sache vorbei. Wissen Sie, diese Fraktion sorgt seit neun Jahren in wechselnden Koalitionsbesetzungen dafür, dass wir das Einwanderungsland Nummer 2 auf der Welt sind. Wenn das nicht ein Erfolg von Integrations- und Zuwanderungspolitik ist! Davon träumen Sie doch in Wirklichkeit.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, ich werde wie viele andere Kollegen auch zu Polizei- und Verfassungsschutzbehörden eingeladen, um Vorträge über den NSU zu halten: 60 Minuten, 90 Minuten, 120 Minuten, toll. Vor allem in NRW – das muss ich einmal sagen – ist man hierbei vorbildlich. Aber unsere Empfehlung ging einen Schritt weiter.
Die Idee, sich den NSU-Fall im Führungsnachwuchs des höheren Dienstes planspielartig gerne auch mehrere Tage vorzunehmen, hat einen besonderen Hintergrund. Fragen des Trennungsgebots, der überregionalen Zusammenarbeit verschiedenster Behörden deutschlandweit, Ermittlungspannen, Rechtsextremismus und Terrorismus sind schon rein kognitiv wichtige Lerneffekte. Wir wollten damit aber eigentlich etwas anderes: Planspiele sorgen für emotionale Betroffenheit. Diese würde ich gern beim Führungsnachwuchs des höheren Dienstes in Polizeibehörden und Verfassungsschutzbehörden sowie bei Staatsanwaltschaften auslösen. Das sorgt für die größte Multiplikationswirkung, die wir unbedingt brauchen, damit der Fall lebendig bleibt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Auch mit und in der Gesellschaft ist das Thema nicht einfach abgehakt worden. Ich erlebe das sogar im eigenen Wahlkreis immer wieder und bin davon überrascht, wie viel Power da ist. Ich begrüße zum Beispiel die Initiative des Freiburger Filmemachers Peter Ohlendorf, der die Hintergründe zum Mord an Michèle Kiesewetter recherchieren und in einem Film verarbeiten möchte. Ich merke für diejenigen an, die Interesse haben: Das Projekt soll über Crowdfunding finanziert werden. Ich könnte viele andere Beispiele nennen.
Es ist in unserer Gesellschaft angekommen, und deswegen sehe ich nicht alles negativ, Herr Özdemir. Meines Erachtens haben wir Grund zum Optimismus. Dies ersetzt nicht unsere Aufklärungsarbeit, aber es ergänzt sie.
Was haben wir in gesetzgeberischer Hinsicht getan? Meine Damen und Herren, das GAR ist ein voller Erfolg. Es war sehr schnell, konsequent und hat sich komplett bewährt. Dafür stehen die Rechtsextremismusdatei und das Bundesamt für Verfassungsschutz mit einem umfangreichen Reformprozess, der nahezu abgeschlossen ist. In Kürze werden wir hier einen Entwurf des Ministers beraten, der insgesamt 48 Einzelregelungen beinhalten wird, die wir allesamt mit den Ländern abstimmen mussten.
Wenn es Ihnen zu langsam geht, Frau Pau – leider regieren Sie ja hier und da mit in den Ländern,
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
zunehmend mehr –,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Einmal!)
dann sollten Sie sich einmal dort informieren, warum das Verhalten hier und da so sperrig ist und ein Innenminister immer wieder persönlich Hand anlegen muss, damit die Dinge vorwärtsgehen. – Herr Dr. de Maizière, ich halte es jedenfalls für beachtlich, welches Megaprojekt das Innenministerium hierbei schultert; wir werden es demnächst hier im Deutschen Bundestag behandeln.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss noch zwei Punkte bringen, die mir sehr wichtig sind. Der erste Punkt bezieht sich auf Kritik. Ich halte es nicht für akzeptabel, dass angesichts eines Gesetzespakets, das zur Reform des Verfassungsschutzes kommen wird, und angesichts dessen, dass auch bei den Polizeien nichts passiert, die Länderinnenminister es kategorisch ablehnen, sich mit dem Bund auf einen Staatsvertrag zu einigen, in dem wir regeln, wie künftig ein NSU-Fall 2.0 oder andere Fälle länderübergreifend konsequent geführt werden sollen.
Der Leiter der BAO Bosporus hat uns in seinem Erfahrungsbericht ins Stammbuch geschrieben: So kann kein Mensch führen. Das Gleiche würde wieder passieren, wenn wir debattieren und keine Bindungswirkungen entstehen. Solange Nordrhein-Westfalen Angst hat, von Bremen geführt zu werden, ändert sich nichts.
(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts gegen Bremen!)
– Entschuldigung, wir finden Bremen gar nicht so schlecht. Immerhin holen wir uns von da, glaube ich, den BKA-Präsidenten. Das kann man doch einmal sagen. – Ich denke, wir brauchen diesen Staatsvertrag.
Liebe Frau Dr. Högl, wenn ich nur eine Minute gehabt hätte, dann hätte ich dieses Thema herausgegriffen, das Gegenteil von Frau Pau: Wer dem Bundesamt für Verfassungsschutz so viele neue Aufgaben aufbürdet wie wir, sie ihm zu Recht aufbürdet, der muss nach dem Prinzip „Wer anschafft, bezahlt auch“ in Haushaltsverhandlungen dafür sorgen, dass diese Behörde unseren berechtigten Qualitäts- und Quantitätsanforderungen überhaupt gerecht werden kann. Das Motto „Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie“ kann nicht für das BfV gelten.
Nach meiner Auffassung brauchen wir Nachrichtendienste. Ich hoffe, ihr schafft das in Thüringen nicht ab. Meines Erachtens sind Nachrichtendienste in dieser Sicherheitslage unverzichtbar. Das Land braucht mehr als soziale Sicherheit in diesen Tagen, und deshalb werbe ich darum, auf der Zielgeraden der Haushaltsverhandlungen noch einmal im Sinne des NSU-Abschlussberichts und unserer weitreichenden Forderungen, die entsprechenden Mittel in Köln zur Verfügung zu stellen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Staatsministerin Aydan Özoguz spricht jetzt für die Bundesregierung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Bayerisch reden kann er besser! – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin, sie weiß, wer gemeint ist!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4074165 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 62 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte anlässlich der Aufdeckung der NSU-Verbrechen |