05.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 62 / Tagesordnungspunkt 3

Aydan ÖzoğuzSPD - Vereinbarte Debatte anlässlich der Aufdeckung der NSU-Verbrechen

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Ja, und ich bin sehr tolerant.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neun Menschen wurden offensichtlich umgebracht, weil sie eine Einwanderungsgeschichte hatten, und wir wissen auch heute noch nicht, warum gerade sie ausgewählt wurden. Eine Polizistin wurde umgebracht, und auch hier wissen wir immer noch nicht, warum.

Die eine – „die Einzige“ will ich bewusst nicht sagen; mittlerweile haben wir durchaus einen anderen Eindruck –, die etwas dazu sagen könnte und die wir kennen, schweigt. Diese wichtigen Fragen können auch nach drei Jahren immer noch nicht beantwortet werden. Herr Binninger hat das angesprochen. Es sind viele weitere Fragen offen. Aus welchem Grund – ich wiederhole das – wurden diese Opfer ausgewählt? Wer hat auf sie aufmerksam gemacht? Wer hat tatsächlich auf sie geschossen?

Ich glaube, dass diese Fragen für die Angehörigen nicht erst seit drei Jahren quälende Fragen sind.

Wer hat den drei mutmaßlich Hauptverantwortlichen geholfen? Das ist eine weitere Frage, die uns sehr beschäftigt und die wir unmöglich unbeantwortet lassen können. All die anderen Fragen, zum Beispiel, was nun wirklich in dem Wohnmobil geschah, gehören natürlich auch dazu. Waren zwei so abgebrühte Menschen wirklich so leicht von nur einem Polizeiwagen aus der Fassung zu bringen? Ich bin den Kollegen Binninger und Ströbele sehr dankbar, dass sie dies in einem gemeinsamen Interview noch einmal angesprochen und dargestellt haben, dass viele Fragen noch offen sind.

Ich bin auch dem Kollegen Jerzy Montag sehr dankbar, der sich nun als Untersuchungsbeauftragter für den Bundestag zur Verfügung stellt. Ich denke, er weiß, welche schwierige Aufgabe vor ihm liegt. Er verdient jede mögliche Unterstützung dieses Hauses.

(Beifall im ganzen Hause)

Was sich in der Öffentlichkeit festgesetzt hat – Frau Mihalic, ich würde es vielleicht ein bisschen anders ausdrücken –, sind natürlich diese Schredderaktionen. Fast jeder spricht einen darauf an. Das ist durchaus ein riesiger Vertrauensverlust. Da brauchen wir uns gar nichts vorzumachen. Daran erinnern sich viele. Nun kommt wieder etwas hinzu: die aktuellen Geschehnisse rund um den V-Mann Corelli, die Geschichte seines Ablebens, die plötzlich wiedergefundene CD mit den NSU-Bezügen. Ich will es an dieser Stelle etwas überspitzt formulieren: Manchmal kann man schon den Eindruck gewinnen, wir klärten auf, was vorher bewusst verschleiert wurde. Das ist eine sehr schreckliche Einsicht. Bei den eigentlichen Fragen, die ich ja eben angerissen habe, sind wir hingegen noch nicht zufriedenstellend weitergekommen.

Richtig ist aber auch, dass die Untersuchungsausschüsse im Bund und in den Ländern eine sehr wichtige Aufgabe haben und hatten. Sie haben einiges in Sachen Aufklärung und Rückgewinnung von Vertrauen geleistet, natürlich nur ein Stück weit. Es ist für die Angehörigen der Opfer unglaublich wichtig, zu sehen, dass wir mit einer großen Ernsthaftigkeit dabei sind und dass sich nicht jeder mit einer Einwanderungsbiografie fragen muss: Wie geht man eigentlich mit mir um, wenn ich Opfer werde? Was ist mit meiner Familie? – Das ist doch eine schreckliche Frage für ein Einwanderungsland, das wir eben auch sind.

Deswegen möchte ich an dieser Stelle schon daran erinnern, dass erst vor einigen Monaten der Europarat Fälle von Rassismus und Diskriminierung in Deutschland gerügt hat. Die dem Rat unterstehende Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat dabei auf Gewaltdelikte Bezug genommen, die durch Rassismus, Homophobie und Transphobie ausgelöst seien. Was nachdenklich macht, ist, dass die Kommission eben auch zu dem Schluss kommt, dass Opfer von Diskriminierung in Deutschland unzureichend unterstützt werden.

Es kann, wie ich finde, kein verheerenderes Signal geben. An dieser Stelle müssen wir sehr stark ansetzen. Opferschutz – egal wer das Opfer ist – muss immer einen sehr hohen Stellenwert bei uns einnehmen; denn diejenigen, denen etwas Schreckliches angetan wurde, müssen wissen, dass wir alle neben ihnen stehen und ihnen jede Hilfe zukommen lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte zum Schluss nur noch eine Sache ansprechen. Ich glaube, dass es eine Daueraufgabe bleibt, das, was wir interkulturelle Kompetenz nennen, bei der Polizei, der Justiz und den Nachrichtendiensten zu steigern und den Anteil der Menschen, die Einwanderungsbiografien haben, überall, auch in den Länderpolizeien, zu erhöhen.

Die genannten Einrichtungen sollen die Gesellschaft abbilden. Sie sollen ein Stück weit zeigen, dass sie für diese Gesellschaft arbeiten. Sie sollen verstehen, was in dieser Gesellschaft vor sich geht. Darum glaube ich, dass es so wichtig ist, dass wir uns vorgenommen haben, alle 47 Empfehlungen tatsächlich umzusetzen. Das wird ein bisschen Zeit erfordern. Ich glaube, man kann personalpolitische Vorstellungen dieser Art nicht in wenigen Monaten umsetzen. Wir alle sollten zusammen dafür sorgen, dass wir nächstes Jahr sagen können: Es hat sich an allen Punkten Erhebliches getan, und wir nehmen diese Empfehlung alle gemeinsam sehr ernst.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dr. Volker Ullrich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4074207
Wahlperiode 18
Sitzung 62
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte anlässlich der Aufdeckung der NSU-Verbrechen
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