06.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 63 / Tagesordnungspunkt 4

Ralph BrinkhausCDU/CSU - Regierungserklärung zur Einigung auf wirksamere Regeln zur Bekämpfung von Steuerflucht

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zum wiederholten Mal ein Déjà-vu-Erlebnis. Die Opposition bemüht sich krampfhaft, irgendetwas zu kritisieren. Aber so richtig gelingt das nicht; denn anscheinend ist das, was wir hier vollbracht haben, ziemlich gut.

Frau Andreae, ich konnte Ihren Ausführungen an der einen oder anderen Stelle nicht mehr folgen. Ich glaube, da ist auch einiges durcheinandergegangen. Sie haben gesagt, dass Menschen, die über Kapitaleinkünfte verfügen, nicht besser behandelt werden sollen als andere. Das stimmt, aber man sollte sie auch nicht schlechter behandeln. Sie möchten mit Ihrer Vermögensteuer bzw. Vermögensabgabe insbesondere den Menschen, die Kapitaleinkünfte erzielen, ganz tief in die Tasche greifen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das sind die Steuererhöher à la Trittin!)

Eigentlich ist heute ein Tag großer Freude. Alle Steuerpolitiker müssten eigentlich vor Begeisterung platzen; denn das, was in der letzten Woche hier in Berlin erreicht wurde, ist in der Tat ein Meilenstein. Ich möchte meine Rede dazu nutzen, meine Begeisterung als Steuerpolitiker mit Ihnen allen zu teilen. Der Austausch von Steuerdaten gehört zu den sensibelsten Bereichen in den Beziehungen zwischen Staaten. Das hat damit zu tun, dass jeder eifersüchtig auf seine Steuergesetzgebung achtet. Bekanntlich sind die Steuergesetzgebung und das Budgetrecht die Königsrechte eines jeden Parlaments. Hier lässt man sich ungern in die Karten schauen.

Es ist sicherlich richtig – das wurde bereits von mehreren Rednern angesprochen –, dass es einige Staaten gab und gibt, die Steuerhinterziehung und Steuervermeidung als Geschäftsmodell entwickelt haben. Insofern ist es umso erstaunlicher, dass in der letzten Woche über 50 Staaten – weitere werden folgen – ein Abkommen unterschrieben haben, das vorsieht, dass freiwillig und automatisch Steuerdaten an andere Staaten weitergegeben werden. Das ist ein riesiger Sprung. Den bisherigen Informationsaustausch haben wir durch viele Doppelbesteuerungsabkommen organisiert. Hier geschah der Austausch aber nur auf Anfrage. Das war ein fürchterlich anstrengender Prozess, der dazu beigetragen hat, dass Steuervermeidung und Steuerhinterziehung fröhliche Urständ gefeiert haben.

Vor diesem Hintergrund ist das, was geschehen ist, wirklich beeindruckend. Dahinter steckt sehr viel Arbeit. Frau Andreae und Frau Wagenknecht, ich glaube, dass Sie das unterschätzen. Mit den Steuern verhält es sich so wie beim Fußball: Jeder meint, davon Ahnung zu haben. Wir haben in Deutschland ein paar Millionen Bundestrainer und wahrscheinlich genauso viele Finanzminister, die davon überzeugt sind, zu wissen, wie das Steuersystem gestaltet werden muss. Je nach Blickwinkel sind die Steuern zu hoch oder zu niedrig. Auf jeden Fall sei das System viel zu kompliziert. Viele meinen, dass andere zahlen müssten, nur sie selber nicht. Jeder hat also eine Meinung dazu und ist überzeugt, dass das ganz einfach sei.

Die Vorschläge, die durch das Land geistern, sind Legion. So hieß es einst – durchaus sympathisch –, das Steuersystem werde so stark vereinfacht, dass man seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen könne. Dann wurde von Stufentarifen gesprochen und davon, die Zahl der Steuerparagrafen zu halbieren. Das alles führt nur nicht weiter. Das möchte ich Ihnen anhand des automatischen Informationsaustausches, des von Herrn Schäuble angesprochenen BEPS-Abkommens und der strafbefreienden Selbstanzeige beispielhaft erläutern.

Wir alle sind uns, glaube ich, einig, dass das Steuersystem ergiebig sein soll, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Es soll zudem einfach und gerecht sein. Aber es muss auch fair sein. Ein Steuersystem ist dann fair, wenn jeder, dem das Gesetz die Last der Steuerzahlung auferlegt, seine Steuern tatsächlich zahlt. Man muss ehrlich sagen: Da waren wir in der Vergangenheit nicht immer ganz so gut.

Blicken wir auf die 80er- und 90er-Jahre zurück. Damals waren die Steuersätze sehr hoch. Gleichzeitig gab es sehr viele Möglichkeiten, sich von der Steuerlast zu befreien, legal durch Abschreibungsmodelle und Verlustzuweisungsgesellschaften, translegal durch eine weite Dehnung der Gesetze und auch illegal. Es stimmt, dass damals viele Menschen ihr Geld in die Schweiz gebracht haben, weil sie sich dem deutschen Steuersystem entziehen wollten. Deshalb haben alle Bundesregierungen, egal von welcher Partei sie gestellt wurden, daran gearbeitet, die entsprechenden Schlupflöcher zu schließen. Das war nicht immer einfach. Zuerst haben wir die deutsche Steuergesetzgebung sukzessive verschärft. Des Weiteren haben die Finanzgerichte entsprechende Urteile gefällt. Auf internationaler Ebene wurden Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Hier ist sehr viel kleinteilige Kärrnerarbeit geleistet worden.

Deswegen finde ich es bedauerlich, dass das alles quasi mit einem Federstich weggewischt und behauptet wird, nichts sei passiert. Tatsächlich ist sehr viel passiert. Aber wir müssen auch sehen: Wir sind immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes an unsere Grenzen gestoßen, nämlich an die Grenzen unseres Landes; denn uns fehlten die Informationen über das Geld, das auf irgendeine Weise ins Ausland gebracht wurde. Deswegen konnten wir es nicht besteuern. Es ist daher sehr wichtig, dass der nun vereinbarte automatische Informationsaustausch tatsächlich umgesetzt wird. Die Grundlage für eine faire Besteuerung ist, dass wir wissen, wer wo sein Geld liegen hat.

(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])

– Danke, Lothar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das haben wir jetzt erreicht. Carsten Schneider hat es gesagt: Das ging nicht innerhalb von anderthalb Jahren, sondern das ist ein Prozess, der seit mindestens 2002 andauert. Wolfgang Schäuble hat jetzt den Ball ins Tor geschossen. Wir sind nun so weit, dass wir auf einem Stand sind, den wir uns vor wenigen Jahren wirklich nicht zu erträumen gewagt haben. Das ist gut und richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Deswegen können wir uns heute einmal so richtig darüber freuen.

Natürlich sind wir mit der ganzen Aktion noch nicht fertig. Wir werden andere Staaten integrieren müssen. Ich bin übrigens sehr optimistisch, dass beispielsweise die Schweiz sehr schnell nachfolgen wird und dass auch andere Länder nachfolgen werden. Aber wir müssen auch an anderen Stellen arbeiten.

Ich habe gerade gesagt, dass wir ein faires Steuersystem haben wollen. Ein faires Steuersystem bedeutet auch, dass derjenige, der auf Einkommen in Deutschland keine Steuern zahlt, diese Steuern in anderen Ländern zahlt. Das Problem, das sich entwickelt hat – die Namen der Firmen, die das in einer großen Extensität betrieben haben wie Google und Amazon, sind genannt worden –, ist die doppelte Nichtbesteuerung. Doppelte Nichtbesteuerung heißt, dass Einkommen weder in Deutschland noch in einem anderen Staat versteuert werden.

Das ist in der Tat nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem, sondern das ist auch – das ist mehrfach angesprochen worden – ein Wettbewerbsproblem, weil ein Mittelständler in Erfurt, dem Wahlkreis von Carsten Schneider, nicht die Chance hat, die doppelte Nichtbesteuerung zu organisieren. Das ist vielmehr ein zweifelhaftes Privileg von großen Konzernen. Deshalb müssen wir dagegen vorgehen.

Auch da hat sich unser Bundesfinanzminister sehr verdient gemacht, indem er vor zwei Jahren mit seinem britischen Kollegen George Osborne die sogenannte BEPS-Initiative angestoßen hat. Die BEPS-Initiative bedeutet, dass sich alle OECD-Staaten darauf einigen, dass man nach gleichen Standards arbeitet und eines nicht mehr passiert, nämlich die doppelte Nichtbesteuerung. Auch da sind wir schon sehr weit. Man hat dieses Mammutprojekt in 15 Teilprojekte aufgeteilt. Sieben davon sind schon abgeschlossen, acht werden im nächsten Jahr folgen. Wir werden das gemeinsam mit unserem Koalitionspartner sehr zügig in nationales Recht umsetzen. Auch das ist ein Meilenstein, der von diesem Bundesfinanzminister und dieser Bundesregierung gesetzt worden ist. Auch darüber können wir uns freuen. Darauf können wir sehr stolz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ich von Fairness im Steuersystem rede, dann gehört dazu auch, dass derjenige, der in diesem Steuersystem Fehler macht, die Möglichkeit hat, diese Fehler zu korrigieren, und zwar zu korrigieren, ohne dass er gleich kriminalisiert wird.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ist das!)

Wir sprechen heute über die strafbefreiende Selbstanzeige. Die Regelungen für die strafbefreiende Selbstanzeige, die es seit Jahrzehnten gibt, sind in der letzten Legislaturperiode von der christlich-liberalen Koalition maßgeblich verschärft und stark eingeengt worden. Es ist nach diesem Gesetz der christlich-liberalen Koalition nicht mehr möglich, mit der strafbefreienden Selbstanzeige zu zocken.

Dabei sind wir allerdings ein wenig über das Ziel hinausgeschossen; denn es gibt einen Bereich, in dem Fehler gemacht werden, die aus dem ganz normalen wöchentlichen oder monatlichen Geschäftsbetrieb herrühren. Das geschieht dann, wenn ich monatlich eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben oder wenn ich Lohnsteueranmeldungen vornehmen muss. Die Menschen, die dabei vielleicht einen Fehler gemacht haben und diesen korrigieren müssen, sind durch die Verschärfung, die wir in der letzten Legislaturperiode gemacht haben, in einen Bereich gerutscht, in dem es nicht mehr klar ist, ob es sich um eine Korrektur von Fehlern oder einen Hinterziehungsakt handelt.

Das werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur strafbefreienden Selbstanzeige ändern. Das heißt, wir werden das erreichen, was wir immer erreichen wollten: Die gewerbliche Wirtschaft, die Steuern zahlt, kann Fehler korrigieren – das muss auch möglich sein –, aber diejenigen, die bewusst Steuern hinterziehen, können das nicht mehr, weil man mit dem Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige nicht mehr zocken kann. Auch das ist gut und richtig, und das ist der zweite Punkt, den wir heute auf den Weg bringen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zur Fairness im Steuersystem gehört aber auch, dass ich nicht 99,9 Prozent der Steuerpflichtigen unnötig belaste, um 0,1 Prozent der Steuerhinterzieher zu erwischen. Deswegen müssen wir sehr vorsichtig sein und dürfen den normalen und ehrlichen Steuerpflichtigen nicht mit Bürokratie belasten und ihm Dokumentationspflichten auferlegen, die ihm das Leben und die tägliche Arbeit unglaublich schwer machen und die nur dazu dienen, dass man einen minimalen Prozentsatz von Steuerhinterziehern tatsächlich aufdeckt.

Beim BEPS-Projekt und bei vielen anderen Projekten stellt sich die Frage, ob wir nicht an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausschießen. Wenn wir das Ganze wirklich ernst nehmen und wenn wir sagen: „Keine zusätzlichen Belastungen für die Wirtschaft, keine zusätzliche Bürokratie, keine zusätzlichen Dokumentationspflichten“, dann müssen wir das, was wir hier im steuerlichen Bereich beschließen, sehr genau dahin gehend überprüfen, ob es am Ende des Tages stimmt. Ich sage Ihnen auch: Mir ist es lieber, in Kauf zu nehmen, dass der eine oder andere einmal „durchrutscht“, als dass man die gesamte Wirtschaft mit unzumutbaren Bürokratie- und Informationspflichten belastet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Insofern werden wir diesen Punkt sehr genau im Auge behalten.

Wenn man einmal einen Strich unter die drei Aspekte, die ich gerade genannt habe – unter den automatischen Informationsaustausch, unter dieses BEPS-Projekt, das eine internationale Nichtbesteuerung vermeidet, und unter die Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige –, zieht, dann muss man eins sagen: Steuerpolitik ist Kärrnerarbeit, ist kleinteilig, dauert lange und geht nicht schnell. Deswegen kann ich allen nur sagen: Glauben Sie niemandem, der behauptet: Ich habe im steuerpolitischen Bereich den großen Wurf in der Tasche. Ich kenne den grünen Knopf, auf den man nur drücken muss, und dann haben wir ein supereinfaches Steuersystem, das völlig gerecht ist, das es vermeidet, dass international an irgendeiner Stelle Steuern hinterzogen werden. – Das Ganze ist harte Arbeit.

Wir in dieser Koalition und insbesondere unser Finanzminister haben uns auf den Weg gemacht, diese harte Arbeit zu leisten. Wir haben heute ein wichtiges Etappenziel erreicht. Wir werden in der nächsten Zeit weitere Etappenziele erreichen. Ich denke, dass wir dann ein viel besseres Steuersystem haben, als wir es vorher gehabt haben.

Jetzt vielleicht noch einige Sätze zu dem Thema Steuervereinfachung. Das, was ich gerade im Hinblick auf das internationale Steuerrecht ausgeführt habe – dass es in diesem Zusammenhang viele kleine Projekte und viele kleinteilige Maßnahmen gibt, die das Ganze besser machen –, gilt auch für die Steuervereinfachung. Auch daran werden wir uns im nächsten Jahr machen. Wir werden ein Verfahrensvereinfachungsgesetz auf den Weg bringen, und wir werden mit Hunderten kleinerer Maßnahmen versuchen, das Steuerrecht unbürokratischer zu machen, Dokumentationspflichten abzuschaffen, das Ganze gerechter und fairer zu machen. Ich denke, das wird uns auch gelingen. Wir haben mit unserem Koalitionspartner verabredet, dass wir das zustande bringen. Da ziehen wir an einem Strang; da sind wir uns total einig.

Ein Steuersystem muss nicht nur dafür sorgen, dass genügend Steuern da sind, dass der Staat finanziert werden kann, sondern es muss auch handhabbar sein, muss verlässlich sein, muss fair sein und muss partnerschaftlich sein. Dafür zu sorgen, das ist das, was wir uns in dieser Legislaturperiode vorgenommen haben. Das ist viel ambitionierter als Versprechungen, das Steuersystem mit einem großen Wurf komplett zu reformieren oder zu revolutionieren. Insofern freue ich mich auf die Arbeit in dieser Legislaturperiode.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Lothar Binding ist der nächste Redner für die SPD- Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4075701
Wahlperiode 18
Sitzung 63
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zur Einigung auf wirksamere Regeln zur Bekämpfung von Steuerflucht
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