06.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 63 / Tagesordnungspunkt 5 + ZP 1

Lothar BindingSPD - Europäische Bankenunion

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute Vorlagen zur Schaffung der Europäischen Bankenunion im Wesentlichen, um künftig Krisen abzuwenden oder für den Fall der Krise gewappnet zu sein. Bei den Vorträgen von Manfred Zöllmer, von Vertretern der CDU/ CSU-Fraktion und von Bundesminister Schäuble gab es immer eine gewisse Nervosität auf der ganz linken Seite dieses Hauses. Man forderte, irgendwie mehr zu machen; schließlich ist geregelt, dass auf „schwere wirtschaftliche Störungen“ reagiert werden muss, um zu verhindern, dass allzu viel schiefgeht.

An dieser Stelle geht mir ein Bild durch den Kopf, das vielleicht nicht in allen Punkten zutrifft: Sahra Wagenknecht und ich wandern in einem Gebirge,

(Heiterkeit – Olav Gutting [CDU/CSU]: Im Odenwald! – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das würde ich nie machen!)

und ich habe mein Geld vergessen.

(Zurufe von der LINKEN)

– Das diskutieren wir ein andermal. – Sie bezahlt mein Frühstück. Wir wandern weiter und stürzen ab. Wir sind im freien Fall – stellen Sie sich das vor: der Binding und die Wagenknecht im freien Fall! –, und dann sagt Sahra Wagenknecht zu mir: Lass uns einmal über die Verzinsung der 10 Euro reden, die ich für dein Frühstück ausgegeben habe. Ich antworte: Nein, es ist viel besser, darüber zu reden, ob man nicht rechtzeitig an ein Netz hätte denken sollen oder an einen Zaun, der verhindert, dass wir abstürzen. – Wenn man jedenfalls im freien Fall ist, dann muss man mehr machen, als über die Zinsen für die 10 Euro, die sie mir für das Frühstück ausgelegt hat, zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das ist die Basis, auf der wir heute diskutieren.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die hätte Ihnen das Frühstück spendiert!)

– Wir waren preiswert unterwegs, und die Sahra ist sicher sparsam.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie hätte Ihnen das aber spendiert!)

– Da bin ich mir nicht ganz so sicher.

Eine weitere Frage ist, ob es eigentlich gut ist, zu sagen: Wir wollen die Risiken vom Steuerzahler abwenden. Das sagen wir ja alle, und eigentlich ist das auch gut. Die Frage ist nur – einmal angenommen, wir hätten es wirklich geschafft, dogmatisch vom Steuerzahler die Lasten abzuwenden –: Wie ist es eigentlich, wenn plötzlich der Familienvater die Last trägt oder die Familienmutter oder der Sparer oder jemand, der für seine Altersvorsorge Geld angelegt hat, oder die Alleinerziehende, die zur Finanzierung der Ausbildung ihrer Kinder ein Sparbuch angelegt hat? Wenn wir nur über den Steuerzahler reden, dann ist es sicher gefährlich, nicht auch alle anderen in den Blick zu nehmen. Bei schwerer wirtschaftlicher Störung genügt es eben nicht, allein den Steuerzahler zu schützen; dann müssen wir die Gesamtgesellschaften vor solchen Risiken schützen. Deshalb ist es wichtig, dass die entsprechende Klausel vorhanden ist und dass die Europäische Bankenunion so beschlossen wird, wie wir es heute tun wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Ausgangslage war recht gefährlich: Wir mussten Sorge haben, dass eine private Bank in irgendeinem europäischen Land relativ leichtfertig in einen öffentlich gespeisten Topf greifen kann. Das wäre die Finanzierung der Mittel zur Deckung der Kosten privater Risiken über öffentliche Steuern, über Steuern der Bürger. Dieser Idee wollten wir uns natürlich nicht anschließen, und deshalb war es klug, sich verstärkt Gedanken zu machen und zunächst die Lage der Banken ein bisschen genauer zu untersuchen. Da gibt es zwei Sachen. Bei der AQR, der Asset Quality Review, guckt man ein bisschen, wie die Aktiva in den Banken sind, ob sie risikoreich sind oder nicht. Beim Stresstest guckt man: Wie ist die Entwicklung, wenn eine Bilanz unter Druck gerät?

Meines Erachtens ist nach dem Stresstest bei den Banken ein bisschen zu viel Selbstzufriedenheit aufgekommen. Ich habe gelesen, dass die Banken, die durch den Stresstest gefallen sind, gesagt haben: Das war 2013. Wir haben inzwischen Eigenkapital aufgebaut und sind jetzt so ausgestattet, wie es der Stresstest verlangt hat. Eigentlich sind die meisten jetzt auf der sicheren Seite. – Da bin ich mir nicht ganz so sicher; denn das reduziert die Lösung unserer Probleme auf das Eigenkapital. Gerhard Schick hat gesagt: Wir brauchen eine Leverage Ratio, um das Risiko unabhängig noch etwas abzusichern. – Aber auch dazu sage ich: Wer nur an das Eigenkapital denkt, ist für die Zukunft nicht nachhaltig aufgestellt.

Was meine ich damit? Ich nehme einmal an, alle Banken hätten genügend Eigenkapital in unserem Sinne. Dann muss man sich überlegen, wie das Verhalten der Banker ist, ob die Selbstbeschränkung bezogen auf ganz bestimmte Geschäftsmodelle funktioniert, ob die Verantwortung, die sie zu übernehmen bereit sind, ausreicht, ob – ich benutze einmal den Begriff, der im Bankwesen heute häufig zu finden ist – es eine neue Kultur gibt. Gibt es keine neue Kultur im Verhalten der Banker, dann kann das Eigenkapital so hoch sein, wie es will, es wird immer wieder zu Problemen kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da hat er recht!)

Die Bankenunion als großes Projekt mit ihren drei Teilen – Aufsicht, Abwicklungsregime, Notfallabwicklungsfonds – ist eine gute Idee. Trotzdem ist sie keine abschließende Lösung. Ich glaube, damit müssen wir uns noch befassen. Wir sind uns wahrscheinlich in den meisten Punkten einig. Was noch fehlt, ist zum Beispiel die Besteuerung von Finanztransaktionen. Es gibt im Bankwesen Modelle wie den Hochfrequenzhandel und andere Geschäfte, die besteuert gehören, um die Risiken, die dort erzeugt werden, in einer Abgabe abzubilden, um den Steuerzahler zu schützen. – Ich freue mich, dass du nickst, Hans Michelbach, denn ich weiß, dass das nicht hundertprozentig deine Meinung ist. Mit dem Nicken signalisierst du aber, dass wir darüber nachdenken können.

So ähnlich ist es natürlich auch mit dem Trennbankensystem für große Banken. Auch da sind wir noch nicht am Ende. Wir müssen die Risiken im Spekulationsgeschäft von den Risiken, die das Realgeschäft betreffen, abtrennen; denn sonst wird die Realwirtschaft immer wieder unter Druck geraten, induziert durch Spekulanten, und das wollen wir natürlich vermeiden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist sicher auch zu fragen, ob die Ausstattung des Fonds mit 55 Milliarden Euro genügt. Wenn wir einmal an die Fonds denken, die die öffentliche Hand, die europäische Staaten aufgebaut haben, dann erkennen wir: Da besteht wenigstens eine Differenz um den Faktor 10 bis 20. Wir wollen die Banken nur so weit belasten, dass sie es überleben – das ist klar –, aber 55 Milliarden Euro sind zu wenig. Diese Größenordnung ist jetzt der Konsens. Ich will den ersten Schritt in die richtige Richtung nicht ablehnen, bloß weil wir noch nicht gleich am Ziel ankommen, aber zum Ziel ist es noch ein ganz schön weiter Weg.

(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Bail-in!)

– Ja; darauf komme ich noch. – Trotzdem ist die Größe des Topfes möglicherweise nicht hinreichend.

Es gibt viele Dinge, die noch zu verbessern sind. Wir haben schon öfter über die EZB und darüber gesprochen, dass sie eigentlich die falsche Aufsichtsbehörde ist. Trotzdem sind wir dankbar, dass sie die Aufgabe übernimmt. Warum? Wir haben keine andere Behörde. Wir wissen, dass es falsch ist, weil Geld- und Währungspolitik von der Aufsichtsfunktion natürlich abzutrennen ist, aber wir haben keine andere Behörde. Deshalb sind wir erst einmal dankbar, dass die EZB das macht; aber wir sprechen ja von der Sunset Clause.

Wir würden gern in einigen Jahren eine eigene Behörde gründen, die für die Aufsicht zuständig ist, die auch institutionell von der EZB, die für das Geld zuständig ist, abgetrennt ist. Dann wäre das nicht mehr in einer Hand. Geldpolitik und Aufsicht in einer Hand, das ist nämlich schwierig. Das wäre ein großer Schritt. Ich bin nicht sicher, ob das hier im Haus konsensfähig ist, aber zumindest in Europa wird es schwierig sein, das zu verhandeln. Dennoch sollten wir uns diesem Verhandlungsauftrag stellen.

Es gibt ein weiteres Problem – darauf hat Axel Troost schon hingewiesen –, bei dem sicher noch etwas zu tun ist: Die Bankenunion, wenn auch mit einer Öffnungsklausel, umfasst nur die Euro-Zone. Die Euro-Zone ist aber nicht Europa; London wurde schon erwähnt. Das ist sicherlich ein großes Problem. Wir müssen uns vergegenwärtigen, was passiert, wenn es Krisen innerhalb oder außerhalb der Bankenunion gibt, inwieweit es Infektionskanäle hinein oder heraus gibt. Natürlich haben wir keine Lust, zu erleben, dass über solche Kanäle die Bankenunion oder überhaupt Europa infiziert wird. Deshalb ist es wichtig, zur Begrenzung künftiger Krisen darüber noch einmal nachzudenken.

Mit Sicherheit ist später auch noch einmal über den Grundsatz „too big to fail“ nachzudenken. Eine Bank, die zu groß ist, darf – das sagt schon der Name – nicht scheitern. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, was eigentlich passiert, wenn es zu Schwarmeffekten kommt. Denn Kleinheit an sich ist ja noch kein Problem – Größe auch nicht. Auch eine kleine Bank kann große Sauereien treiben. Insofern müssen wir schauen, ob wir Schwarmeffekte, die sich aus dem gleichen Verhalten vieler Gleiche ergeben, nicht besser regulieren sollten. Das ist sicherlich eine sehr offene Frage.

Zur Bankenabgabe an sich und der damit verbundenen Gewinnminderung in der eigenen Bilanz hat Manfred Zöllmer schon etwas gesagt. Steuersystematisch ist eine Bankenabgabe ja eine Ausgabe. Und Ausgaben sind natürlich kein Gewinn. Das heißt also, eigentlich müsste man diese Ausgabe – die Bankenabgabe – als Betriebsausgabe abziehen dürfen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist das Nettoprinzip!)

– Ja, das Nettoprinzip.

Jetzt machen wir aber an der Stelle eine Ausnahme, und das können wir auch sehr gut erklären. Denn wir richten diesen Topf ja zur Abschirmung von Risiken für die Steuerzahler ein, und wenn wir gleichzeitig einen Betriebsausgabenabzug zulassen, dann beteiligen wir den Steuerzahler an dieser für ihn gedachten Abschirmung mit 30 Prozent. Diesen Widersinn kann man nicht erklären. Vor diesem Hintergrund ist diese Ausnahmeregelung notwendig.

Die Schwierigkeit ist – du hast darauf hingewiesen, Manfred –: In Europa sehen das manche anders. Da spürt man auch zum Teil eine etwas andere Kultur. Es gibt durchaus Länder, die zwar meinen, der Steuerzahler sollte vielleicht, eventuell – vermeintlich – ein wenig geschützt werden, aber in Wahrheit soll er es selber bezahlen. Das wollen wir natürlich nicht. Wir wollen den Steuerzahler wirklich schützen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Abschirmwirkung soll letztendlich vergrößert werden. Darüber international zu verhandeln, ist sicherlich noch eine Aufgabe für Minister Schäuble – wenn auch keine beneidenswerte Aufgabe; das wissen wir alle.

Warum spreche ich das an? Diese Ausnahmeregelung ist keine schöne Lösung; denn es werden in Europa Wettbewerbsverzerrungen erzeugt, wenn die deutschen Banken diesen Betriebsausgabenabzug nicht machen können, während andere, ausländische Banken die Möglichkeit dazu haben. Auf diesen Punkt wollen wir schauen; unter Wettbewerbsgesichtspunkten ist hier noch sehr viel zu tun.

Schließlich wollen wir einen weiteren Punkt genauer in den Blick nehmen: Diese Abgabe richtet sich ja heute im Wesentlichen nach der Größe. Wir glauben, dass sie sich im Wesentlichen nach der Risikobelastung richten muss. Denn die Risikobelastung ist ja der eigentliche Parameter, wenn es um eine Gefährdung in der Zukunft geht.

Ich will noch etwas zu den Anträgen der Linken und der Grünen sagen, die in wesentlichen Teilen zustimmend formuliert sind.

Der Antrag der Linken ist aus meiner Sicht ganz gut gelungen. Es steht aber auch wieder ein typisches K.-o.- Argument drin: Ihr wollt die Großbanken vergesellschaften. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dann besser zurechtkommen würden als heute. Wahrscheinlich würden dann alle Fehler in wenigen Händen kumuliert. Das wollen wir natürlich nicht.

Auch im Antrag der Grünen gibt es einen kleinen Pferdefuß. Wir haben den Soffin ja gerade um ein Jahr verlängert. Sie wollen diese Verlängerung rückgängig machen. Das ist für uns natürlich ein widersinniger Vorschlag, dem wir nicht folgen wollen.

Ich möchte auch noch ein Wort zur Haftungskaskade sagen. Denn die Haftungskaskade – Sie können es vielleicht erkennen – ist ziemlich lang. Die Kaskade verläuft zwischen dem Risiko und der letztendlichen Belastung des Steuerzahlers. Und wenn man sieht, wie lang sie ist – ich zitiere das ganz kurz – –

Herr Kollege Binding, aber bitte wirklich ganz kurz – und nicht die ganze Kaskade!

Dann zitiere ich das auch nicht ganz kurz, sondern beende meine Rede lieber mit folgender Bemerkung: Die Haftungskaskade ist lang, und diese Länge ist ein Zeichen dafür, wie stark wir den Steuerzahler vor den Haftungsrisiken der Banken schützen wollen. Deshalb ist die Bankenunion eine sehr gute Lösung, ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Alexander Radwan das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4077869
Wahlperiode 18
Sitzung 63
Tagesordnungspunkt Europäische Bankenunion
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta