Andrea LindholzCDU/CSU - Flüchtlingspolitik der Europäischen Union
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Grundanliegen des vorliegenden Antrags ist absolut richtig: Das Sterben im Mittelmeer muss beendet werden. Trotzdem lehne ich den Antrag ab; denn er basiert auf einer falschen Problemanalyse, er ignoriert die tatsächlichen Fluchtursachen, und er zieht kurzsichtige Schlussfolgerungen.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch besser!)
Ein Großteil der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa strömen, stammt aus Syrien und Eritrea. Aus diesen Ländern stammt ein Drittel der Asylanträge in Deutschland. Die Menschen fliehen vor Krieg, vor dem IS-Terror, vor Diktatoren wie Assad in Syrien und Afewerki in Eritrea. Diese zentralen Fluchtursachen erwähnt der Antrag aber mit keinem Wort. Stattdessen werden der Freihandel, die EU und vor allen Dingen die Bundesregierung als Problem hingestellt. Diese Problemanalyse des Antrags kann nur zu falschen Schlussfolgerungen führen.
(Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]: So ist es!)
In diesem Jahr werden voraussichtlich über 200 000 Asylanträge in Deutschland gestellt. Die Schutzquote des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge beträgt derzeit fast 30 Prozent. Angesichts dieser Fakten wirkt der Vorwurf einer Abschottungspolitik in Deutschland absurd. Allein 60 000 Flüchtlinge aus Syrien wurden bereits aufgenommen, Tendenz stark steigend.
Die Bundesregierung engagiert sich zudem massiv mit Blick auf die Fluchtursachen vor Ort. Deutschland hat allein in den letzten zwei Jahren 635 Millionen Euro bereitgestellt, um die Flüchtlingskrise rund um Syrien einzudämmen. Weitere 500 Millionen Euro wurden zugesagt.
Der UNO-Flüchtlingskommissar Guterres lobte Deutschland kürzlich – ich zitiere ihn –:
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das sagen nicht wir, das sagt nicht die Bundesregierung.
Frau Kollegin, Kollege Liebich von der Fraktion Die Linke möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Mögen Sie sie zulassen, oder möchten Sie weitersprechen?
Bitte.
Herr Abgeordneter Liebich.
Vielen Dank. – Frau Kollegin, dass Sie uns nicht recht geben, ist sehr bedauerlich.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Aber nachvollziehbar!)
Deswegen möchte ich auf eine Äußerung einer Ihrer Kolleginnen verweisen. Ihre Kollegin Dagmar Wöhrl hat kürzlich ein Flüchtlingslager in Nürnberg besucht. Sie hat gesagt, sie schäme sich für die Politik der Bayerischen Staatsregierung, weil die Bayerische Staatsregierung nicht rechtzeitig verantwortungsbewusst gehandelt habe.
Am Mittwoch war Bundesentwicklungsminister Gerd Müller im Auswärtigen Ausschuss zu Gast. Auch er hat gesagt, Deutschland müsse mehr tun. Er hat auf eine Stadt in Jordanien verwiesen, die er kürzlich besucht hat, die 60 000 Einwohner hat und 100 000 Flüchtlinge aufgenommen hat.
Wenn Sie also unsere Vorschläge nicht teilen, dann möchte ich gerne wissen, was Sie auf diese Hinweise hin tun möchten.
Sehr geehrter Herr Kollege, wenn ich Ihnen dazu antworten darf: Mit Blick darauf, was unsere bayerischen Kommunen derzeit leisten – und als ehemalige stellvertretende Landrätin weiß ich das –, kann ich Ihnen nur sagen: Bayern tut viel, und Bayern tut mehr als alle anderen Bundesländer.
(Lachen des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Dieser massive Zustrom, der insbesondere auch dadurch bedingt ist, dass die Flüchtlinge von Italien ungehindert nach Bayern durchgewunken werden, war so nicht absehbar. Nichtsdestotrotz gab es Missstände, die eingeräumt wurden, die aber auch ausgeräumt werden. Wir in Bayern tun sehr viel für die Flüchtlinge.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber was denn?)
– Ich habe es gerade dargestellt. Es geht nicht einfach nur darum, die Menschen vor Ort unterzubringen; es geht zum Beispiel auch darum, die Kinder einzuschulen. Die Menschen werden bei uns in Bayern aufgenommen und ordnungsgemäß untergebracht, und zwar in vielen bayerischen Kommunen.
Wenn Sie hier sagen, die bayerische Politik wäre verantwortungslos hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen,
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Frau Wöhrl hat das gesagt!)
dann weise ich das mit aller Entschiedenheit zurück.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist ein Schlag gegen alle ehrenamtlichen Helfer, alle Bürgermeister, alle Landräte, alle Stadträte und alle, die mit dieser Problematik befasst sind.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das war Frau Wöhrl!)
Ich stehe heute für die CSU hier, die Sie angegriffen haben. Ich nehme das, was Dagmar Wöhrl gesagt hat, zur Kenntnis. Ich habe Ihnen gesagt, dass die Mängel, die es in Bayern gab, abgestellt wurden bzw. noch werden. Ich hoffe, dass das auch in allen anderen Bundesländern der Fall ist.
Zu Ihrer zweiten Bemerkung, zu Herrn Müller: Ich weiß, dass wir noch mehr tun müssen. Aber vielleicht lassen Sie mich meine Rede erst einmal zu Ende bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die Antwort?)
Noch eine Zwischenfrage, eine Zwischenfrage des Kollegen Max Straubinger.
(Abg. Max Straubinger [CDU/CSU] erhebt sich)
– Moment, wir müssen erst fragen, ob sie sie zulässt.
Ja, ich lasse sie zu.
Das weiß man unter Parteifreunden nicht immer.
(Heiterkeit)
Bitte schön.
Frau Kollegin Lindholz, würden Sie bestätigen
(Heiterkeit bei der SPD)
oder können Sie bestätigen, dass die Bayerische Staatsregierung im Gegensatz zur Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die Kommunen nicht hängen lässt,
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
sondern deren Kosten voll übernimmt?
Lieber Kollege Straubinger, ich habe in meiner Antwort gerade schon versucht, zu sagen, dass Bayern mehr tut als viele andere. Ich hoffe, dass auch andere Länder, in denen noch Defizite bestehen, nachziehen. Aber es geht heute meines Erachtens nicht darum, irgendwelche Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern darum, uns der Lösung der Probleme zu widmen.
Ich merke, jetzt rennt mir die Redezeit davon. Ich fahre jetzt mit meiner Rede fort.
Frau Kollegin, ich hatte vergessen, die Uhr anzuhalten. Sie bekommen für Straubinger gleich noch eine Minute extra.
(Heiterkeit)
Ich möchte an dieser Stelle das Lob und den Dank des UNO-Flüchtlingskommissars, den ich gerade zitiert habe, an die Menschen vor Ort weitergeben, an die Helfer in den Flüchtlingslagern, aber auch bei uns in den Kommunen, an die Organisationen und vor allem auch an die vielen ehrenamtlich Engagierten.
Es ist eine großartige Leistung, die die Menschen in Deutschland derzeit vollbringen. Es ist unsere Aufgabe, die Akzeptanz für unser Asylsystem und diese überwältigende Hilfsbereitschaft der Menschen zu erhalten, um anderen am rechten Rand keine Chance zu geben. Wir müssen daher alles daransetzen, damit unsere Kräfte nicht überstrapaziert werden. Es geht, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nicht nur darum, einfach Menschen in einer großen Vielzahl zu uns zu holen, sondern es geht auch um eine gute Versorgung und Unterbringung vor Ort. Dazu gehört mehr als ein Dach über dem Kopf. Dazu gehören Beschulung, Integration, Sprachkurse und vieles mehr.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprachkurse, ganz genau!)
Ihr Antrag fordert, Europa solle die Steuerung von Migration aufgeben, seine Grenzen öffnen und jedem ein Visum gewähren. Das können wir nicht leisten. Die Fluchtursachen würden damit auch nicht behoben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es gibt heute so viele Flüchtlinge auf der Welt wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die UN rechnen mit über 50 Millionen Vertriebenen. Europa verspricht den Menschen Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Natürlich versuchen daher viele, zu uns zu kommen. Die italienische Marine hat laut der Internationalen Organisation für Migration innerhalb eines Jahres rund 150 000 Flüchtlinge mit militärischen Mitteln gerettet. Im gleichen Zeitraum wurden aber auch 3 200 Todesfälle registriert. Das sind fünfmal so viele Fälle wie im Jahr vor Mare Nostrum. Auch diese Mission konnte das Sterben nicht verhindern.
(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und deshalb stellen wir sie ein?)
Laut Frontex steigen allein in Libyen jede Woche bis zu 4 000 Flüchtlinge in ein Boot nach Europa. Eine flächendeckende Überwachung ist trotz der militärischen Mittel von Mare Nostrum angesichts der riesigen Fläche nicht möglich. Mare Nostrum wird zurückgefahren, und wir müssen genau beobachten, ob Frontex im Rahmen der Mission Triton unsere humanitären Verpflichtungen auf dem Mittelmeer erfüllen kann. Können sie nicht erfüllt werden, müssen wir meines Erachtens nachsteuern.
Letztendlich kann das Sterben auf dem Mittelmeer aber nur beendet werden, wenn wir verhindern, dass die Menschen überhaupt in Boote steigen. Dabei stellen sich für uns drei zentrale Herausforderungen:
Erstens müssen wir Transitländer wie Libyen und Ägypten unterstützen, um den menschenverachtenden Schleuserbanden das Handwerk zu legen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Da geht es ja auch so menschlich zu!)
Der italienischen Marine fehlen die dafür notwendigen polizeilichen Befugnisse, die Frontex hat.
Zweitens muss Europa seine Mittel stärker bündeln, um die Fluchtursachen effektiver zu bekämpfen. Unsere Innenpolitik muss stärker mit der Außen- und Entwicklungspolitik der EU verknüpft werden. Die EU ist mit Abstand der weltweit größte Geldgeber bei der Entwicklungshilfe. Ein gezielter Einsatz dieser Mittel kann substanziell zur Stabilisierung der Anrainerstaaten, wie zum Beispiel Libanon, beitragen; denn die meisten dort untergekommenen Flüchtlinge wollen zurück in ihre Heimat, sobald es ihnen möglich ist.
Drittens muss endlich die Blockade im europäischen Asylsystem gelöst werden. Wir brauchen ein faires und solidarisches Asylsystem in Europa, das diesen Namen auch verdient. Es gibt dafür bereits alle erforderlichen Regelungen. Europa muss das bestehende Regelwerk nur richtig umsetzen und praxistauglich machen.
Länder wie Italien und Griechenland fordern unsere Unterstützung beim Schutz der Außengrenzen. Gleichzeitig ignorieren sie aber zentrale Regeln des Asylsystems. Auf Deutschland entfallen heute über 30 Prozent aller Asylanträge in Europa, während auf Italien trotz des großen Zustroms nur rund 10 Prozent entfallen. Warum ist das so? Italien ignoriert zum Beispiel zentrale Regeln und europäische Standards für die humanitäre Versorgung von Flüchtlingen. Das können und dürfen wir nicht zulassen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Solidarität in der EU darf keine Einbahnstraße sein. Alle Flüchtlinge müssen direkt nach der Einreise in die EU registriert werden, so wie es die Dublin-Verordnung festlegt. Erst dann kann, liebe Kolleginnen und Kollegen, die es schon angesprochen haben, ein notwendiges europäisches Quotensystem installiert werden, an dem sich alle EU-Staaten solidarisch beteiligen müssen.
Deutschland hat bereits Sonderprogramme für syrische Flüchtlinge aufgelegt. Diesem Beispiel sollte Europa endlich folgen. Mit der EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen gibt es dafür in Europa bereits eine Rechtsgrundlage. Alle EU-Staaten müssen sich der langfristigen Folgen der Fluchtursachen bewusst werden und den Sinn eines praxistauglichen europäischen Asylsystems anerkennen. Deutschland alleine als mahnende Stimme reicht hierfür nicht aus. Die komplette Auflösung der bestehenden Regelungen des Asylsystems, sehr geehrte Damen und Herren von der Linken, wie sie Ihr Antrag fordert, bietet keine Lösung. Sie wäre ein klarer Rückschritt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Frank Heinrich, CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4078020 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 63 |
Tagesordnungspunkt | Flüchtlingspolitik der Europäischen Union |