Frank HeinrichCDU/CSU - Flüchtlingspolitik der Europäischen Union
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr dankbar, dass alle Fraktionen es unterstützen, dass in dieser Debatte, die eine innenpolitische Debatte ist, auch die menschenrechtlichen Aspekte eine große Rolle spielen. Die letzte Stunde hat das sehr deutlich gemacht.
Ich habe ein Symbol mitgebracht, ein Symbol für mich: ein Liederbuch aus dem Norden Nigerias. Vor 14 Tagen fand ich es in einer zerstörten Kirche in einem zerstörten Dorf in einem Haufen von Müll. Die Bewohner wurden am 24. und 26. August vertrieben. Das letzte Mal war dort Gottesdienst Ende August.
Warum dieses Symbol und die Erinnerung an dieses Erlebnis? Es steht dafür, dass ganz viele Menschen – einige Kollegen haben es gesagt – vor realen, lebensbedrohlichen Gefahren auf der Flucht sind. In Nigeria ist es zumeist Binnenflucht; das ist nur ein Beispiel. Wir kennen die Folgen des IS und wissen von den vielen Vertriebenen. Wir wissen von den Krisen in anderen Staaten. Herr Bosbach hat es gerade gesagt: Terror, brutale Verhältnisse, Tragödien, Dinge, die uns zum Weinen bringen müssen, sind Ursachen, warum sich Menschen auf den Weg, auch auf den Weg nach Europa, machen.
Eine humane und dem Grundgesetz entsprechende Flüchtlingspolitik darf Menschen allerdings nicht einfach unter den Generalverdacht stellen, dass sie Wirtschaftsflüchtlinge seien. Humanität ist mehr, als nur Grenzen zu ziehen. Allerdings darf ein verantwortungsvoller Antrag – das geht an die Adresse der Linken, die den Antrag eingebracht hat – auch nicht die EU oder die Bundesrepublik einfach unter Generalverdacht stellen und kritisieren, dass sie Ignoranz und Ablehnung an den Tag legen würden.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was ist denn mit Mare Nostrum?)
Das Wort „Massensterben“ in der Überschrift Ihres Antrages ist für mich billige Polemik, und das ist nicht hilfreich für diejenigen, über die wir heute sprechen.
Massen sterben in Kriegen und humanitären Katastrophen, zum Beispiel – das wurde gerade gesagt – in Syrien, im Norden des Iraks, in Liberia, in Zentralafrika und in vielen anderen Krisengebieten. Nicht die EU-Politik, wie Sie es gesagt haben, Frau Jelpke, treibt die Menschen in den Tod. Ganz im Gegenteil: Die Hilfe für Flüchtlinge rettet Leben.
Dennoch sind die Flüchtlingszahlen – wir haben es gehört – gestiegen und werden angesichts der Weltlage wahrscheinlich weiter steigen. Die italienische Regierung spricht von 150 000 Bootsflüchtlingen allein in diesem Jahr. Das Bootsunglück von Lampedusa im Oktober letzten Jahres, das schon angesprochen wurde, bei dem 390 Tote zu beklagen waren, hat die Debatte ausgelöst. Auch aktuell gab es Meldungen bei Spiegel Online – Sie haben es wahrscheinlich verfolgt –: im Schwarzen Meer Dutzende Flüchtlinge, 24 Leichen, einige davon Kinder. Am 10. September sind in der Nähe von Malta rund 500 Menschen ertrunken. Seit Jahresbeginn kamen je nach Schätzung 2 500 bis 3 000 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ums Leben.
Aber auch auf anderen Fluchtwegen sind Todesfälle zu verzeichnen, zum Beispiel auf den Wegen durch die Sahara.
Deshalb müssen wir – das haben alle betont – die Anstrengungen erhöhen. Jeder einzelne Tote an den Grenzen der EU und auf dem Mittelmeer ist einer zu viel. Wir wollen und wir werden – einige Begründungen haben Sie schon gehört – unsere Verantwortung wahrnehmen. Dies ist in letzter Zeit in Deutschland, auch in der Gesetzgebung, schon passiert. Neben den genannten Einsätzen des THW und der Erhöhung der Mittel – Frau Kampmann, Sie haben darauf hingewiesen – gibt es Bestrebungen, das Asylrecht zu verändern. Die Residenzpflicht wird gelockert, Asylbewerber dürfen früher arbeiten, es gibt den Vorrang von Geldleistungen.
Was ist noch passiert? Es wurde vorhin das Lob des Flüchtlingskommissars Guterres zitiert, das er uns ausgesprochen hat, was insbesondere die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen angeht. Wir haben die Quote weit übererfüllt. Das muss uns nicht nur mit Stolz erfüllen. Aber, wie mein Kollege Bosbach gesagt hat, man darf im Nebensatz auch einmal sagen, was hier schon alles passiert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Allerdings sind wir in diesem Konzert nicht alleine; wir sind als EU unterwegs. Hier müssen schon noch einige Dinge getan werden, zum Beispiel ein besseres Programm zur Rettung der Seeflüchtlinge. Dass Mare Nostrum in Triton übergeht, ist ein guter Schritt. Aber Aufstockung, Verifizierung und Ausweitung sind notwendig. Schleuserbanden muss das Handwerk mit all unseren Möglichkeiten gelegt werden. An dieser Stelle kann ich es nicht anders sagen: Es kommt mir hoch, wenn ich höre, dass auf dem Rücken der Verletztesten in unserer Welt Geld gemacht wird und Sie diese Personen auch noch als Helfer bezeichnen.
Eine Vereinheitlichung der humanitären Standards, etwa bei der Unterbringung und den Rechtsverfahren, halte ich für eine Selbstverständlichkeit.
Ich bin sehr nah bei Ihrem Vorschlag, liebe Kollegen von der SPD, eine feste EU-Quote für die Aufnahme von Flüchtlingen in Verbindung mit einem möglichen Finanzausgleich einzuführen.
Darum werden wir den Antrag ablehnen: rein sachlich wegen der Polemik, die weit über das vernünftige Maß in einer Auseinandersetzung hinausgeht, und wegen der unsinnigen Schuldzuweisungen darin, wegen der Verknüpfung mit Kritik an der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik,
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Schicken Sie keine Waffen in die ganzen Krisenländer?)
nicht zuletzt, weil wir der Abschaffung von Frontex nicht zustimmen können, da dies die Sicherheit an den Grenzen tatsächlich beeinträchtigen würde, die gerade von mir emotional angesprochene Tätigkeit der Schleuser eher begünstigen und eine Kontrollierbarkeit ausschließen würde.
Zum Ende noch einmal zum Symbol dieses Liederbuchs. Das vorrangige Ziel von Politik, auch bei uns, muss sein, dass Menschen – in diesem Fall in Nigeria, aber auch in vielen anderen Ländern – in Frieden ihre Lieder singen und ihre Gebete sprechen können, sei es in einer Synagoge, in einer Moschee oder in einer Kirche. Dafür stehen wir unter anderem: für Humanität. Wir engagieren uns mit humanitärer Hilfe vor Ort und in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit; Sie haben es genannt. Solidarität und Humanität müssen sich am Schluss in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und der Übernahme von Verantwortung in Krisen erweisen. Da bin ich ganz bei dem Satz, den Sie, Frau Kampmann, gesagt haben: Lassen Sie uns da noch die eine oder andere Schippe drauflegen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4078033 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 63 |
Tagesordnungspunkt | Flüchtlingspolitik der Europäischen Union |