06.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 63 / Zusatzpunkt 3

Oliver KrischerDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde zu den Ergebnissen des Weltklimaberichts

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen hat der Weltklimarat seinen zusammenfassenden Bericht vorgelegt, der zwei zentrale Botschaften enthält.

Die eine Botschaft ist: Der Klimawandel schreitet voran, und zwar viel stärker, als es die Forscher noch vor wenigen Jahren erwartet hätten. Es ist längst klar: Wir können eigentlich nicht mehr, wie es auf dem Bericht vorne draufsteht, vom Klimawandel reden, sondern wir müssen von der Klimakatastrophe sprechen.

Diese Katastrophe findet nicht nur irgendwo in der Arktis statt. Sie findet ganz real auch bei uns hier in Deutschland statt. 2014 wird wahrscheinlich das Jahr werden, das als das wärmste in die Geschichte der Wetteraufzeichnung eingeht. Die sogenannten Jahrhundertfluten kommen inzwischen alle fünf Jahre, also in immer schnellerer Folge, und verursachen Milliardenschäden.

Die zweite Botschaft des Weltklimarates ist positiv. Wir können, wenn wir wollen, das Schlimmste noch verhindern, wenn wir konsequent handeln, wenn die Weltgemeinschaft etwas unternimmt. Das Allerbeste ist: Sie muss dafür weniger als 0,1 Prozent des Weltbruttoinlandsprodukts, der Wertschöpfung, aufwenden, um den Klimawandel aufzuhalten. Das bietet eine riesige Chance für Entwicklung und Wohlstand auf der ganzen Welt. Diese positive Botschaft sollten wir aufgreifen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dass es bis heute noch kein globales Klimaschutzabkommen gibt, liegt daran, dass es viele nationale Egoismen gibt. Wenn wir endlich vorankommen wollen, dann braucht es Vorreiter, die die Sache in die Hand nehmen. Man kann es nicht anders sagen: Deutschland war über viele Jahre hinweg Vorreiter, angefangen – und ich hätte nicht gedacht, dass ich das hier einmal sage – bei Helmut Kohl über die rot-grüne Bundesregierung bis hin zur letzten Großen Koalition.

(Frank Schwabe [SPD]: Sigmar Gabriel!)

Wir erinnern uns alle daran, wie Angela Merkel und Sigmar Gabriel in schönen roten Anoraks vor Gletschern standen. Von da an ging es mit dem Klimaschutz in Deutschland nur noch bergab. Die Anoraks sind längst in der Abfallmitverbrennung in einem Braunkohlekraftwerk zu CO 2 verbrannt worden; diese Geschichte ist vorbei.

Deutschland ist schon lange kein Vorreiter mehr. Wir haben Jahre des Nichthandelns, des Stillstandes und des Rückschrittes erlebt. Die Bundesregierung steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Klimapolitik. Es sieht ganz so aus, dass wir das Klimaschutzziel, die Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent, krachend verfehlen werden. Das liegt vor allen Dingen daran, dass die Emissionen aus dem Energiesektor immer weiter steigen, weil Uraltkraftwerke und Kohlekraftwerke rund um die Uhr laufen, weil wir im Wärmebereich nur in Trippelschritten vorankommen. Mit Klimaschutz in der Verkehrspolitik haben wir noch gar nicht angefangen. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft steigen auch die Emissionen in diesem Sektor immer weiter.

Hätten wir nicht die Wall-Fall-Profits – das ist der Rückgang der CO 2 -Emissionen durch den Niedergang der DDR-Wirtschaft, Stichwort „25 Jahre Mauerfall“ – und hätten wir nicht das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Sie vor der Sommerpause noch verstümmelten, dann wären Deutschlands Emissionen gegenüber 1990 noch gestiegen. Das ist die Bilanz. Wir stehen vor einer schwierigen Situation. Aber Sie liefern keine Antworten auf die drängenden Fragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])

Ich kann nur sagen: Ich finde es absolut zynisch, dass Sie trotz der schlechten Bilanz und der vor uns stehenden Herausforderungen die Vorlage des Weltklimaberichtes dafür nutzen, eine Debatte darüber anzustoßen, ob man das Ziel nicht streichen solle nach dem Motto „Wir schaffen es nicht, dann canceln wir das ganze Ziel“. Nun schicken Sie Herrn Homann, den Präsidenten der Bundesnetzagentur, vor, um die Reaktion der Öffentlichkeit auf einen solchen Vorschlag zu testen. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, liebe Frau Hendricks, ich kann Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie das Klimaschutzziel 2020 beerdigen, dann ist das nicht nur der Abschied von der Vorreiterrolle – die ist schon lange weg –, dann ist das das Ende jeder Klimaschutzpolitik in Deutschland. Das müssen Sie sich dann ins Stammbuch schreiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines ist klar: Man könnte handeln. Es gäbe in Deutschland die Möglichkeit, das Klimaschutzziel bis 2020 noch zu erreichen. Dazu müsste man das „dreckige Dutzend“, die schmutzigsten Kohlekraftwerke aus den 1960er-Jahren, die im Moment rund um die Uhr laufen, abschalten. Die Möglichkeiten dazu haben Sie. Das wäre im Sinne der Energiewende und im Sinne eines modernen Strommarktes erforderlich, um der klimafreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung, den Gaskraftwerken und dem Bereich der erneuerbaren Energien eine Chance zu geben. Diesbezüglich kommt von Ihnen aber gar nichts.

Ich erwarte, dass das Maßnahmenprogramm, das einst mittelfristiges Sofortprogramm hieß, das dann den Namen geändert hat und vielleicht irgendwann im Dezember kommt, klare Vorschläge enthält. Ich erwarte, dass wir in diese Richtung gehen und die schmutzigsten Kohlekraftwerke endlich vom Markt nehmen.

(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Vor allen Dingen – das ist das Allerwichtigste – sollten Sie Klimaschutz endlich als Chance begreifen. Es geht um Effizienz, Nachhaltigkeit und grüne Wirtschaft. Mit grüner Wirtschaft schwarze Zahlen schreiben, das ist die Zukunft. Der Klimaschutz liefert uns die richtige Vorlage dafür. Darauf müssen Sie sich einstellen. Auf diesem Gebiet müssen Sie Maßnahmen liefern. Frau Hendricks, ich erwarte, dass das, was am 3. Dezember 2014 endlich vorgelegt werden soll, mit konkreten Maßnahmen hinterlegt ist, damit wir das Klimaschutzziel erreichen. Eine Aufgabe des Klimaschutzziels wäre eine Versündigung am Weltklima.

Herr Kollege.

Das wäre eine Versündigung an der nachhaltigen Wirtschaft. Das wäre eine Versündigung an unseren Kindern und Enkeln.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das Präsidium hat Milde walten lassen, aber es wäre ganz gut, wenn wir alle darauf achten würden, die Vereinbarungen zur Aktuellen Stunde, auch was die Redezeiten angeht, liebevoll und solidarisch einzuhalten.

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Dr. Anja Weisgerber von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4078044
Wahlperiode 18
Sitzung 63
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den Ergebnissen des Weltklimaberichts
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