06.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 63 / Tagesordnungspunkt 7

Günter Krings - Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Sitzung liegt dem Deutschen Bundestag der Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften zur abschließenden Beratung vor. Grundlage dieses Gesetzentwurfs – das wissen wir – ist der Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses der Bundesregierung, der sich mit „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ – so der ausführliche Titel – befasst hat.

Der Ausschuss war notwendig und richtig, weil es zwei bewussten oder auch unbewussten Fehlbewertungen der Armutszuwanderung innerhalb der EU entgegenzutreten galt. Es war und ist nicht klug, diese Zuwanderungsprobleme innerhalb der EU zu überschätzen. Aber es war und ist mindestens ebenso gefährlich für die Akzeptanz der europäischen Integration, wenn Politiker die damit zusammenhängenden Probleme ignorieren oder die Belastungen für Bürger und Städte gar tabuisieren.

Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung zentrale Vorschläge des Ausschusses zur Unterbindung von Missbrauch im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht sowie zur Entlastung betroffener Kommunen konsequent um. Verschiedene Kommunen und kommunale Spitzenverbände haben in dringlichen Appellen wiederholt auf die Belastungen hingewiesen, die mit einer steigenden Zuwanderung aus der EU verbunden sind.

Die Berichte der Kommunen zeigen aber auch: Es gab und es gibt hier kein flächendeckendes Problem. Eine Reihe von Kommunen, in erster Linie einige Großstädte, sieht sich aber zu Recht durch die Folgen eines stetig wachsenden Zuzugs aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union belastet. Die Bundesregierung hat hier einen Handlungsbedarf erkannt. Die Bundesregierung hat mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf einen Handlungsvorschlag gemacht.

Die Zuwanderung aus anderen EU-Staaten bringt für unser Land und auch für die zuziehenden Menschen in erster Linie viele Vorzüge mit sich. Der weit überwiegende Teil der Zuwanderer kommt zu uns, um eine Arbeit oder eine Ausbildung aufzunehmen. Ich will es deshalb noch einmal sehr deutlich betonen: Die Freizügigkeit in Europa ist eine der bedeutendsten Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses und einer der sichtbarsten Vorzüge Europas für seine Bürger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU hat sich zum Schluss auch noch zum Klatschen entschlossen!)

Die europäische Freizügigkeit hat aber klare rechtliche Voraussetzungen. Sie gilt insbesondere für die Aufnahme einer Ausbildung oder einer Arbeit oder zu einer konkreten Suche nach einem Arbeitsplatz. Es gibt keinen europarechtlichen Grundsatz, wonach zum Beispiel nur die Mehrheit der Zuwanderer, die aus einem Mitgliedstaat nach Deutschland kommt, die rechtlichen Voraussetzungen der Freizügigkeit erfüllen muss. Die Voraussetzung für dieses Recht muss jeder Einzelne erfüllen. Gerade weil die Europäische Union mehr ist als ein Staatenbund, gerade weil sie eine Union der Bürger ist, müssen die Voraussetzungen der Freizügigkeit bei jedem einzelnen Zuwanderer, in seiner Person, vorliegen. Darauf bestehen wir.

Wir dürfen nicht so tun, als ob mit einem steigenden Zuzug von Menschen aus anderen Mitgliedstaaten vor Ort, in den Städten und Gemeinden, nicht auch Probleme verbunden sein könnten. Betroffene Städte und Gemeinden berichten von einer steigenden Belastung ihrer Systeme der kommunalen Daseinsvorsorge und von einer Verschärfung sozialer Probleme. Dabei geht es etwa um den Bereich der Schule, um die Versorgung mit Wohnraum, um die unberechtigte Inanspruchnahme sozialer Leistungen oder um die Gesundheitsversorgung.

Aktuell sehen sich Städte und Gemeinden zusätzlich belastet, weil sie eine stetig steigende Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern aufnehmen sollen; darüber haben wir heute Mittag in diesem Hause debattiert. Auch diesbezüglich will der Bund im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu beitragen, rasch Lösungen zu finden. Das letztgenannte Thema ist zwar nicht das Thema dieser Debatte, man muss aber sehen, dass diese beiden zusätzlichen Aufgaben viele Kommunen vor große Herausforderungen stellen.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgen wir zwei zentrale Ziele:

Erstens. Wir wollen die betroffenen Kommunen substanziell entlasten.

Zweitens. Wir wollen die Akzeptanz in unserer Gesellschaft für die Freizügigkeit in Europa nachhaltig sichern. Gerade deshalb ist es wichtig, gegen Missbrauch im Zusammenhang mit diesem Recht gezielt vorzugehen.

Lassen Sie mich kurz einen Blick auf die Hilfen für unsere Kommunen werfen: Wir stocken die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch II um 25 Millionen Euro auf. Das Geld kann, so wir das hier beschließen, noch in diesem Jahr an die Länder fließen, in denen die besonders involvierten Städte und Gemeinden liegen, damit es dann möglichst umgehend – hoffentlich – an die betroffenen Kommunen zielscharf weitergegeben werden kann. Künftig sollen durch eine Änderung im Sozialgesetzbuch V die Impfkosten für Kinder und Jugendliche mit ungeklärtem Krankenversicherungsstatus übernommen werden.

Zur Unterbindung von Missbrauch im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine Reihe von Maßnahmen vor: Im Freizügigkeitsrecht sollen befristete Wiedereinreisesperren im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug ermöglicht werden. Das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche soll in Übereinstimmung mit dem Europarecht befristet und die Erschleichung von Aufenthaltsbescheinigungen durch falsche Angaben konsequent unter Strafe gestellt werden. Beim Kindergeld wollen wir wirksam Doppelzahlungen unterbinden.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das jetzt mit EU-Freizügigkeits-Berechtigung zu tun?)

Künftig wird die Kindergeldzahlung von der eindeutigen Identifikation von Antragstellern und Kindern durch Angabe der steuerlichen Identifikationsnummer abhängig sein. Ferner wollen wir entschieden gegen Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit vorgehen. Dazu sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine Regelung vor, mit der die Zusammenarbeit mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit intensiviert wird.

Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung können jedoch in keinem Fall allein zu einer Lösung der anstehenden Probleme beitragen. Wir wollen den betroffenen Menschen, die sich mit Recht hier aufhalten, die Integration erleichtern. Wir werden Integrationskurse in besonders betroffenen Kommunen stärker auf den Bedarf von zuziehenden EU-Bürgern zuschneiden und gezielt spezifische Hemmnisse für eine Teilnahme an Integrationsangeboten abbauen. Damit unterstützen wir nicht nur zuziehende EU-Bürger, sondern wir leisten hiermit auch einen Beitrag zur Entlastung der Kommunen bei der Integration vor Ort.

Meine Damen und Herren, die Zuwanderung nach Deutschland ist nicht statisch, sondern ein Prozess, der in seiner Form, seinem Ablauf und seinen Gründen einem kontinuierlichen Wandel unterworfen ist. Damit verändern sich auch die sich daraus ergebenden politischen Herausforderungen. Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, kann auch aus diesem Grund keine Antwort auf alle Probleme im Zusammenhang mit dem Zuzug aus anderen EU-Staaten geben. Er ist aber ein wichtiger Schritt zur Entlastung der Kommunen und zur Unterbindung von Missbrauch. Damit wollen wir zugleich die Aufnahmebereitschaft in unserer Gesellschaft insbesondere für Menschen erhalten, die zu uns kommen und unserer Hilfe in besonderer Weise bedürfen.

Diese Koalition bleibt dabei: Wir treten für Freizügigkeit, aber auch gegen den Missbrauch von Rechten ein.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Missbrauch wird ausdrücklich nicht im Staatssekretärsbericht bestätigt!)

Genau das schaffen wir hiermit. Außerdem ist dies ein großer Beitrag zur Entlastung der Kommunen. Wir zeigen, dass diese Koalition auch die kommunalen Probleme ernst nimmt und sie nicht unter den Teppich kehrt. Diese Koalition sorgt sich um die Städte und Kommunen in unserem Land und arbeitet daran mit, dass die Probleme, die dort entstehen, gelöst werden. Aus diesem Grunde bitte ich Sie ganz herzlich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4078199
Wahlperiode 18
Sitzung 63
Tagesordnungspunkt Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU
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