06.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 63 / Tagesordnungspunkt 7

Lars CastellucciSPD - Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zwei Feststellungen: Deutschland braucht Zuwanderung, und Deutschland profitiert von Zuwanderung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deutschland braucht Zuwanderung, weil wir in einigen Jahren, in einigen Jahrzehnten auch noch Leute haben müssen, die die Steuern zahlen, die wir für den Erhalt unserer Infrastruktur brauchen, weil wir Leute brauchen, die in die Sozialversicherungssysteme einzahlen, damit unter anderem die Renten meiner Generation auch noch finanziert sind, damit die Angehörigen meiner Generation und der vielen Generationen, die hoffentlich noch nachkommen, gepflegt werden können, und wir brauchen Leute für andere Bereiche, in denen Fachkräftemangel herrscht.

Außerdem profitieren wir von Zuwanderung. So ist es im Bericht des Staatssekretärs eindeutig festgehalten. Das gilt insbesondere – darum ging es ja – für die Menschen, die aus Europa zu uns kommen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragt sich, was Sie bei dieser Begründung mit dem Gesetzenwurf wollen!)

Gleichzeitig – das ist ja kein Wunder – ist Zuwanderung bzw. das Zusammenleben insgesamt immer mit Problemen behaftet. Das will ja niemand in Abrede stellen.

Wo stellen sich diese Probleme? Sie stellen sich bei den Kommunen; denn da kommen die Menschen an, und da brauchen sie im Zweifel Wohnraum. Ferner müssen die Kinder in die Schule gehen; denn für sie gilt die Schulpflicht. Außerdem stellt sich die Frage von Arbeit. Da stellt sich die Frage, was passiert, wenn jemand krank wird, usw.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Das sind die Probleme, die aber nicht angegangen werden!)

Deswegen ist es gut – und das ist auch für uns der zentrale Inhalt dieses Gesetzesvorhabens –, dass wir die Kommunen entlasten und mit 25 Millionen Euro für Kosten der Unterkunft unterstützen

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie glauben nicht, dass das reicht, oder? Nicht ernsthaft!)

und dass Impfkosten für Kinder von EU-Bürgerinnen und -Bürgern übernommen werden.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist das Einzige!)

Zuwanderung ist nicht nur selbst gut, sondern man muss sie auch gut machen. Was heißt steuern und gestalten?

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wiedereinreisesperre!)

Man könnte in Abwandlung eines alten Spruches sagen: Wer morgen sicher leben will, der muss heute Zuwanderung nicht nur zulassen, sondern er muss sie steuern und gestalten.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Rechtsanspruch auf Integrationskurse?)

Wer nicht immer nur in kurzfristigen Zeiträumen denkt, der weiß, dass wir in den vergangenen Jahren – nehmen wir einfach das abgelaufene Jahrzehnt – nicht nur Jahre mit steigenden Zuwanderungszahlen hatten, sondern sogar Minuszahlen. Wir sind also weit entfernt von der Zuwanderung, die wir brauchen für den Infrastrukturerhalt, für die Sozialversicherungsbeiträge und für Steuern in der Zukunft. Wir machen die Zuwanderung nicht gut genug, damit sich diese Versprechen in Steuern, in Sozialversicherungsbeiträgen und in Integration einlösen können.

Wir haben hier wirklich noch eine große Gemeinschaftsaufgabe vor uns. Es gibt eine Fülle von legalen Zugangswegen. Diese Fülle von legalen Zugangswegen ergibt aber noch kein Gesamtkonzept. Daran müssen wir weiter arbeiten.

(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat wenig mit EU zu tun!)

Jetzt zur EU-Freizügigkeit. Das ist eine große Errungenschaft. Das ist zu Recht schon gesagt worden. Ich finde, das ist fantastisch. Für mich – dabei denke ich an Sonntag – wächst da ein Stück weit zusammen, was in Europa zusammengehört. Ich habe das Fernziel, dass wir irgendwann einmal eine vollständige Freizügigkeit in Europa haben.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu leisten Sie aber keinen Beitrag!)

Ich weiß nicht, ob ich das jemals erleben werde.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Regierung so weitermacht, sicher nicht!)

Aber vielleicht kann ich ein Stück weit dafür arbeiten.

In jedem Fall wird es eine Zeit mit einem Übergang geben, und es ist nicht richtig, wenn wir Übergänge diffamieren, die wir doch brauchen, weil die Zuwanderung auch gestaltet und geregelt werden muss. Zu einer Regelung können, wie es hier vorgesehen ist, auch Elemente von Befristung oder Wiedereinreisesperren gehören. Bei Letzteren geht es um Einzelfälle, um schwerwiegende Einzelfälle. Wir haben zugesagt, dass wir in zwei Jahren ganz sachlich und nüchtern analysieren werden, ob da weiterer Steuerungsbedarf besteht.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur konnten Sie die Einzelfälle im Ausschuss auf Nachfrage nicht beschreiben!)

Ich möchte gerne etwas aufgreifen, was häufig genannt wird: dass wir die Ängste der Menschen ernst nehmen sollen. Das finde ich richtig.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie sollten sie nicht schüren!)

Gleichzeitig muss man fragen: Was heißt es denn, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen? Nehmen wir einmal an, jemand hat Angst vorm schwarzen Mann – bitte nicht politisch verstehen!

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie meine Ängste bitte ernst!)

Dann nehme ich das vielleicht erst einmal ernst; aber man kann ja nicht regieren, indem man einen schwarzen Mann,

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kann auch eine schwarze Frau sein!)

den es gar nicht gibt, ausweist oder mit einer Wiedereinreisesperre belegt, sondern müsste an die Wurzeln der Ängste herangehen. Die Wurzeln von Ängsten stehen aus meiner Sicht gar nicht unbedingt eng mit der Frage der Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern in Zusammenhang, sondern haben etwas damit zu tun, dass die Menschen selbst keinen sicheren Stand haben. Es ist die Frage, ob sie mithalten können in einer Gesellschaft, die so extrem auf Konkurrenz, auf Leistungsdruck aufbaut, wie wir das in den letzten Jahren zugelassen haben. Wir müssen also die Menschen ernst nehmen in ihren Ängsten; aber wir dürfen die Ängste nicht zum Maßstab unserer Politik machen, sondern müssen an den Wurzeln ansetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt nicht nur Menschen mit Ängsten, es gibt auch die andere Seite: Fast die Hälfte der Menschen sagt, wir sollten sogar mehr tun, wenn es um Flüchtlinge, beispielsweise aus dem Irak oder aus Syrien, geht. Ich will, dass wir hier als Politikerinnen und Politiker Unterstützer und Ermöglicher sind für alle die, die sich für dieses Miteinander in Deutschland einsetzen. Darüber, wie das gelingen kann, würde sich eine Debatte wahrlich lohnen.

Anfang der Woche ist der Deutsche Dialogpreis verliehen worden. Das war eine ganz wunderbare Veranstaltung, bei der unter anderem Dr. Navid Kermani ausgezeichnet worden ist, der im Mai dieses Jahres hier eine beeindruckende Rede gehalten hat. Das sind Menschen, die sich für interreligiösen Dialog, für interkulturellen Dialog einsetzen, Menschen, die sich anderen, die fremd sind, nähern und dadurch sich selbst ein Stück weit besser kennenlernen, Menschen, die in vielen Projekten für ein gutes Miteinander arbeiten. Mein Wunsch ist, dass wir in unserem Reden und unserem Tun uns diese Menschen, diese Brückenbauerinnen und Brückenbauer, zum Vorbild nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich schließe mit einem der Preisträger, dem Rabbiner Ben-Chorin. Er hat an dem Abend gesagt:

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Brett vor dem Kopf der Koalition!)

Mit Blick auf die morgige Feierstunde will ich sagen: Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran arbeiten, Mauern abzutragen: um Europa, in Europa und in unseren Köpfen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie bauen Mauern! Sie bauen Mauern!)

So tragen wir die Fackel der friedlichen Revolution weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als nächster Redner hat der Kollege Volker Beck das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4078244
Wahlperiode 18
Sitzung 63
Tagesordnungspunkt Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU
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