06.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 63 / Tagesordnungspunkt 7

Josip JuratovicSPD - Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kürzlich bei der Anhörung der Sachverständigen zum geplanten Freizügigkeitsgesetz hat Frau Dr. Giffey, Bezirksstadträtin von Neukölln, einen entscheidenden Beitrag zu dieser Debatte geleistet. Frau Giffey begrüßte viele der neuen Regelungen, betonte aber auch, dass in Neukölln nicht der Missbrauch die größten Schwierigkeiten bereitet. Kommunen brauchen vor allem Unterstützung, um mit legaler und gerechtfertigter Zuwanderung zurechtzukommen. Ich kann Frau Giffey nur zustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist entscheidend, dass wir die Kommunen ausreichend unterstützen, und wir haben mit den geplanten Entlastungen einen wichtigen Schritt dafür geleistet.

Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich müssen wir Gesetze auf den Weg bringen, die sich auch um Missbrauchsfälle kümmern. Daher finde ich die neuen Regelungen zur zeitlichen Begrenzung der Arbeitssuche oder zum Kindergeldmissbrauch gerechtfertigt. Es ist aber auch entscheidend, dass wir dem Missbrauch nicht mehr Aufmerksamkeit schenken, als er verdient.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die meisten Menschen, die zu uns kommen, missbrauchen nicht die Freizügigkeit, sondern machen nur von ihrem Recht Gebrauch. Dieses hohe Gut wollen und müssen wir schützen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe offen zu, dass ich verärgert bin angesichts des bewussten Spiels mit Ängsten und Vorurteilen der Bevölkerung, zu dem sich mancher Kollege auch aus diesem Haus im vergangenen Jahr hat hinreißen lassen. Es kann nicht sein, dass, wenn grenzüberschreitende Mobilität im Einzelfall zu gesellschaftspolitischen Problemsituationen führt, wie es in manchen deutschen Kommunen tatsächlich der Fall ist, statt Unterstützung zu bieten, reflexartig nach Abschottung gerufen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist die hohe Aufgabe der Politik, nicht dem Reiz zu erliegen, selbst populistische Meinungsmache zu betreiben.

Kolleginnen und Kollegen, es ist unmoralisch, die Zuwanderung nur auf wirtschaftliche Nützlichkeit zu reduzieren. Deshalb sollten wir gemeinsam ein positives Bild der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union prägen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Art und Weise, wie wir das Thema Freizügigkeit behandeln, gibt nämlich Aufschluss darüber, was für ein Europa wir haben wollen. Was macht uns als Europa aus? Freizügigkeit darf nicht nur eine Freizügigkeit der Waren und Dienstleistungen sein, sondern sie ist vor allem das demokratische Grundrecht der Menschen in Europa.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)

Es gibt keine gute und schlechte Zuwanderung, es gibt aber sehr wohl eine gute oder schlechte Aufnahme.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb danke ich den vielen Menschen bei uns, den Kirchen, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen, die die Willkommenskultur in Deutschland pflegen. Die Freizügigkeit ist ein Zugewinn für alle und fördert den Zusammenhalt Europas und die gegenseitige Solidarität.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, Zuwanderung muss selbstverständlich auch politisch gesteuert werden, wie mit dem aktuellen Gesetz geplant. Auch in Zukunft bleibt es entscheidend, die Menschen zu schützen und das Miteinander zu erleichtern. Wir müssen Willkommenscenter stärken und Anlaufstellen für Arbeitsmigranten ausbauen, die den Migranten den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern.

Besonders wichtig: Missbrauch der Arbeitsmigranten durch Schwarzarbeit muss verhindert werden. Es darf aber nicht sein, dass wir uns darauf konzentrieren, diejenigen zu bestrafen, die aus Not handeln, während diejenigen, die diesen Missstand ausnutzen, unbestraft davonkommen. Deshalb gilt auch weiterhin: Je besser und sicherer die Bedingungen für Arbeitsmigrantinnen oder -migranten auf unserem Markt gesetzlich geregelt werden, desto weniger Missbrauchsfälle wird es geben. Der vorliegende Kompromiss geht aus meiner Sicht in die richtige Richtung, hindert uns aber nicht daran, weiterzudenken und zu handeln.

Übrigens, wir dürfen nicht der Illusion erliegen, das alles sei einfach. Bundespräsident Gauck hat es treffend formuliert: „Offen sein ist anstrengend.“

Ich bitte um Ihre Zustimmung für das geplante Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4078736
Wahlperiode 18
Sitzung 63
Tagesordnungspunkt Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU
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