07.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 64 / Tagesordnungspunkt 29

Arnold VaatzCDU/CSU - Vereinbarte Debatte Friedliche Revolution – 25 Jahre nach Mauerfall

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, mit einem Zitat zu beginnen: Wir haben hier warme und sichere Unterkunft für jeden, wir haben hier medizinische Betreuung, jeder wird satt, und es gibt Arbeit für alle. – Das sagte der Strafvollzugsbeamte, der uns am 23. Dezember 1982 in der Strafvollzugseinrichtung Unterwellenborn begrüßte, zu uns. Das heißt, es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die wichtig sind für Menschen, die man aber in jedem Gefängnis bereitstellen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, das hat Herr Gysi richtig gesagt: Ohne Freiheit sind alle diese Dinge nicht viel. Ich füge dem hinzu: Sie sind nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Mauerfall, über den wir heute sprechen, ist ganz wesentlich von jenen bewirkt worden, die im Sommer 1989 in Scharen die DDR verlassen haben, alles hinter sich gelassen haben, überhaupt nicht an alle diese Dinge gedacht haben, die heute den größten Teil unserer politischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik Deutschland ausmachen, die nur eines wollten: wenn nötig, mit dem nackten Leben den Zustand hinter sich lassen, der sie einengt, der sie ihrer Selbstbestimmung und ihrer Würde beraubt. Das war das Ziel; das haben sie erreicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das war der entscheidende Anstoß dafür, dass diese Mauer fiel.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch sagen: Der Mauerfall als solcher mag mit seinen Bildern die ganze Welt fasziniert und in seinen Bann gezogen haben; aber es war noch nicht der Durchbruch. Nach dem Mauerfall erwartete uns alle in Ostdeutschland noch härteste Arbeit, um tatsächlich der Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen; denn wie Sie vielleicht wissen, hatten die Grenzbeamten damals Anweisung, einen sogenannten Querulantenstempel in die Ausweise zu setzen. Was bedeutete das? Etliche bekamen die Stempel aufs Passbild, mit der Absicht, sie nicht wieder rüberzulassen, wenn sie wieder rüberkommen wollen. Das ist verbürgt.

Das heißt, die Möglichkeit, die Mauer wieder zu schließen, die Möglichkeit, 300 000 Menschen wegzulassen und dann zu sagen, jetzt machen wir wieder zu, und mit dem Rest werden wir leicht fertig, hat nach dem Mauerfall theoretisch noch bestanden.

Aber, meine Damen und Herren, wir sind eben weiter gegangen und haben dann versucht, die Strukturen zu zerstören, die wesentlich waren, um genau den Zustand DDR so lange Jahre aufrechtzuerhalten. Das Besondere ist die Besetzung der Staatssicherheit, und das Besondere ist, dass wir es dann geschafft haben, wirklich freie Wahlen abzuhalten.

Meine Damen und Herren, was wir damals erlebt haben, sollte uns heute eine Mahnung sein, dafür zu sorgen, dass auch alle diejenigen sich unserer Solidarität sicher sein können, die aus einer ähnlichen Situation herauswollen, aus der wir damals mit Erfolg herausgekommen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir waren in Ostdeutschland nicht in erster Linie die Untertanen der SED. Wir waren über 40 Jahre lang die Untertanen der Sowjetunion. Die SED hätte nicht bei uns regieren können, wenn nicht ständig 500 000 russische Soldaten in den Kasernen als Besatzungsmacht anwesend gewesen wären.

Meine Damen und Herren, deshalb macht es mich besonders nachdenklich, wenn ich einerseits vom Herrn Bundestagspräsidenten höre, dass der sanftmütige und freundliche Vaclav Havel unmittelbar vor den Ereignissen in den Tschechoslowakei im Sommer 1989 wegen Rowdytums eingesperrt war. Andererseits höre ich, wie eine ganze Regierung, nämlich die in Kiew, pauschal als faschistisch verunglimpft wird. Das ist dieselbe Tonlage, meine Damen und Herren, und diese Tonlage möchte ich heute im wiedervereinigten Deutschland in diesem Hause nicht mehr hören.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir am Ende mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, noch einen Vers zu zitieren von unserem Freund Wolf Biermann, der uns heute hier ein Lied gesungen hat. Er hat noch mehr gedichtet, zum Beispiel die „Ballade vom gut Kirschenessen“. Da trifft er im Traum Robert Havemann und schreibt dann:

Und jetzt kommt der entscheidende Satz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie Abgeordnete des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich)

Ich schließe diese denkwürdige Debatte.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4080446
Wahlperiode 18
Sitzung 64
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte Friedliche Revolution – 25 Jahre nach Mauerfall
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