07.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 64 / Tagesordnungspunkt 30

Marcus WeinbergCDU/CSU - Elterngeld Plus und flexiblere Elternzeit

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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will gern das Historische aufgreifen. Auch wenn die Reichweite der Debatte, die wir vorhin geführt haben, mit der Reichweite der Debatte, die wir jetzt führen, nicht ganz übereinstimmt, wäre es doch interessant, sich als Historiker einmal zu überlegen: Wie haben sich in den letzten fünf oder sechs Jahrzehnten eigentlich die Wünsche der Familien verändert? Übrigens glaube ich, dass es da zwischen Leipzig, Berlin, Stendal, Hamburg und München keinen Unterschied gibt.

Während in den 50er- und 60er-Jahren zunächst einmal der Wunsch nach einer Wohnung kam, dann der Wunsch nach einer größeren Wohnung, nach einem Auto, nach einem Urlaub in Italien, im Laufe der Jahrzehnte auch der Wunsch nach einem zweiten Auto, einer zweiten Waschmaschine, möglicherweise einem Computer, ist die Situation heute eine andere. Wer heute junge Familien fragt: „Was ist Ihnen eigentlich wichtig? Was ist Ihr größter Schatz, Ihre Ressource?“, der hört immer häufiger: Zeit. – Zeit wird in Zukunft eine bedeutende Rolle für Familien spielen, weil sich viele junge Mütter und Väter sagen: Die Stunde, die ich heute nicht arbeite, kann ich eines Tages nachholen; aber die Minute, die ich jetzt nicht mit meinem Kind verbringe, ist verloren.

(Zustimmung der Abg. Susann Rüthrich [SPD])

Deswegen gibt es diesen Wechsel bei den Paradigmen. Eltern sagen heute: Ich würde auf vieles verzichten, wenn ich mehr Zeit gemeinsam mit meiner Familie verbringen könnte.

Ein Gedankengang bei der Entwicklung des Elterngeldes war, dieser Veränderung Rechnung zu tragen. Das Elterngeld als Vorläufer der heute zu diskutierenden Weiterentwicklung war ein Maßstab und, so glaube ich, auch ein Leuchtturm im Bereich der Familienpolitik. Wir haben in der damaligen Großen Koalition gesagt: Es wird wichtig sein, die erste Phase nach der Geburt eines Kindes so zu gestalten, dass Familien Sicherheit haben, finanzielle Sicherheit haben, damit sie die Erwerbstätigkeit auf der einen Seite und die Zeit für die Familie auf der anderen Seite besser miteinander kombinieren können; es geht also um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Dass dieses Elterngeld ein Erfolgsmodell war, sieht man an den Zahlen und daran, dass wir mittlerweile deutlich über 5 Milliarden Euro jährlich für das Elterngeld ausgeben. Dass mittlerweile auch mehr Väter die Monate für den Partnerschaftsbonus in Anspruch nehmen, ist ebenfalls ein Indiz für den Erfolg. Im Übrigen wissen wir als Familienpolitiker, dass das Geld, das wir ausgeben – demnächst möglicherweise bis zu 6 Milliarden Euro –, andere erwirtschaften müssen. Daher besteht für uns die Verantwortung, mit den Geldern sachgerecht umzugehen, um den größtmöglichen Mehrwert und damit auch den größten gesellschaftlichen Nutzen zu erzielen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bereits angesprochen wurde, dass sich die Lebensbedingungen immer weiterentwickeln. Gerade in den letzten Jahren beobachten wir zwei wesentliche Entwicklungen. Familienleitbilder, sowohl die gelebten als auch die Bewertungen dazu, haben sich verändert. Es gibt – das kann man monieren oder auch nicht, aber es ist Realität in der Gesellschaft – Ehepaare mit Kindern, Alleinerziehende mit Kindern, nicht miteinander verheiratete Paare mit Kindern. Es besteht also eine größere Vielfalt. Das ist die eine große Veränderung, auf die wir reagieren müssen, auch mit den Angeboten.

Die zweite Entwicklung ergibt sich bei der Definition der Rollenbilder oder Rollenkonstellationen im Rahmen der Familienleitbilder. Es ist tatsächlich so, dass sich 60 Prozent der Eltern wünschen, partnerschaftlich, gemeinsam mehr Zeit mit der Familie und für die Familie zu verbringen. Es ist so, dass 81 Prozent der jungen Menschen mittlerweile der Ansicht sind, dass beide Elternteile gleichermaßen für das Familieneinkommen verantwortlich sind. Es ist so, dass mehr junge Väter ihre Arbeitszeit gern reduzieren wollen und mehr junge Mütter gern etwas mehr arbeiten wollen als derzeit. Die Menschen wollen also die Rollenbilder ändern, hin zu mehr Partnerschaftlichkeit. Ich glaube, dass das Elterngeld Plus jetzt genau die richtige Antwort auf diese Entwicklung ist.

Wir als Union hielten es immer für richtig und haben es auch immer gesagt, dass wir die Familien in verschiedenen Lebensphasen und verschiedenen Lebenssituationen mitnehmen und verlässliche Rahmenbedingungen schaffen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei gelten für uns zwei Grundsätze:

Erstens geht es uns darum, die Eigenverantwortung und die Selbstbestimmtheit der Familien zu achten und zu stärken. Bei jeder Diskussion heißt es ja: Sie haben das doch gelesen, beim Betreuungsgeld und bei den Kitaplätzen wollen die Eltern gerne das und das. – Das zu bewerten steht uns nicht zu. Wir müssen Familien stärken. Und das heißt, zuerst kommen die Eltern und die Familie, und dann kann man überlegen, an welcher Stelle der Staat möglicherweise eingreifen kann. Aber im engeren Sinne gilt: Unser Blick richtet sich auf die Familien.

Das heißt zweitens für uns auch, dass wir Vertrauen haben müssen, dass Familien richtige Entscheidungen treffen. In den Fällen, in denen das nicht der Fall ist, wird der Staat auch eingreifen. Aber zunächst einmal sollten wir positiv auf Familien zugehen und ihnen Vertrauen entgegenbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In dem Elterngeld Plus sind vier Komponenten als zentrale Punkte zur Weiterentwicklung aufgenommen.

Die erste ist die Flexibilisierung bei der Zeit, damit man zum Beispiel selbstbestimmt sagen kann: In meiner jetzigen besonderen Familiensituation kombiniere ich das Basiselterngeld mit dem Elterngeld Plus. – Ich möchte früher wieder in den Beruf zurückkehren. – Ich möchte länger Teilzeit arbeiten. – Ich möchte mein Kind länger betreuen. – Das ist also in einem engeren Sinne eine Flexibilisierung der Möglichkeiten.

Zweitens – das wurde angesprochen –: Wenn Partnerschaftlichkeit gewünscht wird, dann muss man sie auch fördern. Das geschieht mit dieser Regelung, nach der Eltern pro Woche 25 bis 30 Stunden parallel arbeiten können. Das muss man natürlich nicht in Anspruch nehmen, aber wenn die Eltern es wollen, dann ist das auch eine Chance für – weitestgehend – junge Männer, tatsächlich mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Das ist, glaube ich, eine gute Gelegenheit, um das traditionelle Bild der Familien wiederherzuleiten. Kollege Wunderlich, das muss in diesem Rahmen passieren. Denn aktuell arbeiten Mütter im Durchschnitt 16 Stunden pro Woche, Väter knapp über 40 Stunden. Wenn man, wie Sie es vorgeschlagen haben, diesen Rahmen wieder erweitert, dann bleibt es doch bei der alten Struktur: Die Mütter arbeiten ein bisschen; die Väter arbeiten ganztags. Deswegen haben wir uns klugerweise auf diese 25 bis 30 Stunden geeinigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Um Alleinerziehende ging es mir!)

Die Flexibilisierung der Elternzeit – das ist die dritte Komponente – wurde schon angesprochen. Das muss man in der Konsequenz auch anbieten. In welcher Form das in besonderen Situationen in Anspruch genommen wird, bleibt sicherlich offen. Ich will nur an die Situation der Trennung der Eltern erinnern. In diesem Fall ist es möglicherweise gut, wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Elternteil noch Elternzeit nehmen kann, damit einer besonderen Situation mit besonderen Auswirkungen für das Kind begegnet werden kann.

Die Regelung zu den Mehrlingsgeburten – das ist die vierte Komponente – haben wir häufig diskutiert, Kollege Wunderlich. Dazu sage ich noch einmal: Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung. Kindergeld bekommen die Eltern für jedes Kind. Aber das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung und kann sich deshalb nicht nach der Anzahl der Kinder richten. Das wäre nicht nur systemfremd, das wäre auch unlogisch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])

Es liegen drei wesentliche Änderungsanträge vor, die bereits angesprochen worden sind.

Erstens wurde richtigerweise die Feststellung getroffen, dass es natürlich nicht sein kann, dass wir zwischen Alleinerziehenden mit alleinigem Sorgerecht und Alleinerziehenden mit gemeinsamem Sorgerecht differenzieren. Deshalb haben wir nach den Diskussionen und Gesprächen – auch im Nachgang zur Anhörung – entschieden, diese Regelung zu verändern. Das war eine gute und richtige Entscheidung für den Bereich der Alleinerziehenden.

Zweitens. Die Regelung zur Zustimmungsfiktion erleichtert – das stellt man auch fest, wenn man die heutige Struktur einer Struktur mit der Zustimmungsfiktion gegenüberstellt – die bürokratischen Abläufe: Wenn in vier bzw. in acht Wochen niemand widerspricht, gilt das als genehmigt. Jetzt gibt es ein sehr kompliziertes Verfahren, das teilweise auch ein Problem für die Arbeitgeber darstellt. Diese Regelung ist, glaube ich, im Sinne einer Vereinfachung gut und wichtig. Festzuhalten ist auch: Das bedeutet keine rechtliche Schlechterstellung der Arbeitgeber.

Der dritte Punkt betrifft den Bereich der Wirtschaft. Wenn wir festlegen, dass die Elternzeit in drei Blöcke eingeteilt werden kann, dann muss auch berücksichtigt werden, inwieweit das gegenüber dem Arbeitgeber noch vertretbar ist. Er muss ja auch Planungssicherheit haben. Er muss ja auch wissen, wie es zukünftig in seinem kleinen mittelständischen Betrieb aussieht. Deshalb ist es, glaube ich, richtig, dass wir die Regelung implementiert haben, dass der Arbeitgeber das Recht hat, einen dritten Block der Elternzeit aus betrieblichen Gründen abzulehnen. Damit haben wir sowohl den Wünschen der Arbeitgeber als auch gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung getragen. Das war gut und richtig.

Zum Schluss möchte ich noch etwas zur Akzeptanz von Familienpolitik und auch von Leistungen der Familienpolitik sagen. Wir sollten immer sehen, dass das, was wir investieren, was wir für die Familien tun, auch irgendwo herkommen muss. Noch einmal: Es gibt Leuchttürme in der Familienpolitik der letzten acht, neun Jahre, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zuvor nicht gegeben hat. Ich nenne den gesamten Bereich des Ausbaus der Kindertagesbetreuung – jetzt mit der neuen Stufe der Qualitätssicherung –, den gesamten Bereich der Elternzeit und auch die Frage, wie flexibel Familienzeiten gestaltet werden können. Das muss aber auch für die Wirtschaft machbar und mit der wirtschaftlichen Entwicklung kombinierbar sein. Vor diesem Hintergrund war es für uns immer wichtig, klar zu sagen: Wir wollen keine arbeitsgerechte Familienwelt, sondern eine familiengerechte Arbeitswelt. Aber das alles muss mit der Wirtschaft abgestimmt werden, und die Wirtschaft muss auch unterstützt werden.

Es ist gut für die Unternehmen und den Standort, wenn Teilzeitwünsche stärker berücksichtigt werden; denn früher sind Frauen und Männer teilweise gar nicht oder erst nach Jahren in den Beruf zurückgekehrt. Jetzt können die Unternehmen die Fachkräfte über diese Teilzeitregelung behalten. Es ist ja eines der Hauptziele des Elterngeldes, dass Fachkräfte, die ja benötigt werden, dem Betrieb erhalten bleiben. Das Gute für diese Fachkräfte ist wiederum, dass sie in der Frage der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienzeit eine bessere Möglichkeit der Einteilung bzw. Flexibilisierung haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Ganze ist ein Standortfaktor für Unternehmen und für Deutschland; denn – so könnte man einfach sagen – zufriedene Arbeitnehmer sind auch gute Arbeitnehmer. Es muss gelingen, die Probleme der jungen Familien zu berücksichtigen.

In der Debatte, die momentan geführt wird, hören Sie immer wieder die Frage: Wie schaffe ich es, das miteinander zu verbinden? Die Arbeitgeber sollten das durchaus positiv sehen und aufgreifen; denn es ist ein Standortfaktor. Dort, wo Betriebskindergärten existieren, wo Arbeitgeber sich im Sinne der Familienförderung um ihre Mitarbeiter bemühen, werden schneller Fachkräfte gewonnen, als wenn das nicht der Fall ist.

Ich freue mich sehr, dass wir heute das Elterngeld Plus verabschieden, eine gute und richtige Maßnahme für die Familien, eine gute und richtige Maßnahme für uns in Deutschland. Um auf den historischen Kontext zu kommen: Ich glaube, damit kommen wir den neuen Wünschen junger Familien nach. Das ist auch unsere Aufgabe.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Franziska Brantner.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4080511
Wahlperiode 18
Sitzung 64
Tagesordnungspunkt Elterngeld Plus und flexiblere Elternzeit
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