07.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 64 / Tagesordnungspunkt 31

Alexander HoffmannCDU/CSU - Schutz von Hinweisgebern

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir uns heute die Zeit nehmen, über ein wichtiges Thema zu diskutieren. Die Fragestellung lautet: Wie schützen wir Hinweisgeber in unserer Gesellschaft, in Behörden, in Unternehmen besser? Gerade wir als Politiker haben den Auftrag, entgegenzuwirken. Es darf keinen Automatismus geben nach dem Motto „Jeder Hinweisgeber ist ein Verräter, ein Denunziant oder ein Nestbeschmutzer“. Hinweisgeber eröffnen uns die Chance auf Transparenz, die Chance auf kostbare Hinweise. Zahlreiche Fälle sind heute schon genannt worden. Da gibt es den Lkw-Fahrer, der den Gammelfleischskandal aufdeckt, oder die couragierte Pflegefachkraft, die die Missstände in ihrer Einrichtung mutig anprangert.

Gerade dieser zweite Fall – auch das haben wir schon gehört – mündete in eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Diese ist seither richtungsweisend beim Schutz von Hinweisgebern. Aber genau dieser Fall führt mich auch zu der Frage: Was müssen wir noch regeln?

(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Ein Gesetz machen!)

Um diese zu beantworten, müssen wir zunächst einmal auf die Historie des Falls schauen. Bemerkenswert war nämlich, dass in diesem Fall in der ersten Instanz vom Arbeitsgericht die Kündigung tatsächlich aufgehoben worden ist. Erst in der zweiten Instanz wurde die Kündigung für rechtmäßig erklärt. Vom Bundesarbeitsgericht wurde diese Entscheidung bestätigt. Dann landete der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dort wurde der Pflegefachkraft eine Entschädigung in Höhe von 15 000 Euro zugesprochen, und der Fall wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dort kam es zu einem Vergleich. Die Dame hat dann eine Entschädigung in Höhe von 90 000 Euro bekommen und im Gegenzug eine ordentliche Kündigung akzeptiert.

Was ist an dieser Entscheidung sonst noch interessant? Die Brüsseler Richter haben bestätigt, dass die Maßstäbe, die das Arbeitsgericht in erster Instanz, das Landesarbeitsgericht und dann auch das Bundesarbeitsgericht in diesem Fall angewandt haben, grundsätzlich die richtigen gewesen sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat nämlich exakt dieselben Maßstäbe angewandt. Er hat auf der einen Seite das Grundrecht der unternehmerischen Freiheit gegen das Interesse der Öffentlichkeit an dieser überaus wichtigen Information und das Grundrecht der Pflegefachkraft auf Meinungsfreiheit auf der anderen Seite abgewogen. Es fand also eine Abwägung statt. Nur aufgrund einer anderen Gewichtung kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu einem anderen Ergebnis. Also folgern wir daraus doch – Herr von Notz, das ist die konkrete Antwort auf Ihre Frage –, dass wir in dieser Detailfrage gerade kein gesetzgeberisches Defizit in Deutschland haben,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Richter haben das durchaus reingeschrieben!)

weil es sich um eine Abwägungsentscheidung handelt, wie ich gerade aufgezeigt habe. Abwägungsentscheidungen werden Sie nie durch Gesetze ersetzen können.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Richter sind anderer Meinung!)

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Keul zu?

Ja, sehr gerne.

Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann, dass Sie diese Frage zulassen. – Sie sagen: Abwägungskriterien finden wir in keinen Gesetzen. – Das wäre mir neu. Es ist sicherlich richtig, dass die Richter im Einzelfall immer abwägen müssen. An vielen Stellen ist es jedoch gerade unsere Aufgabe als Gesetzgeber, die Kriterien und die Grundlagen in das Gesetz hineinzunehmen, nach denen die Abwägung stattfinden muss. Selbst die Arbeitsrichter sagen: Wir haben etwas gebaut, wir haben ein Gerüst geschaffen, mit dem wir bei den Hinweisgebern arbeiten, aber, lieber Gesetzgeber, wir brauchen mehr als den § 612 a BGB. Das kann nicht alles Richterrecht sein. Wir erwarten vom Gesetzgeber, dass er uns die Grundlagen gibt, nach denen wir unsere Entscheidungen treffen können und müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Frau Kollegin Keul, für die Frage. – Ich habe nicht gesagt, dass in Gesetzen niemals Abwägungskriterien formuliert werden.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben wir hier reingeschrieben!)

– Nein, das war nicht meine Aussage.

Das ist genau der Punkt. Die Abwägungskriterien, die in allen Instanzen angewandt worden sind, waren von der ersten bis zur letzten Instanz genau dieselben. Das heißt, wenn Sie heute mit einem Gesetz kommen, in das Sie die Abwägungskriterien hineinschreiben, ändern Sie in der Sache für diesen Einzelfall gar nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben dieselben Richter dann ein Gesetz gefordert?)

Deshalb gibt es die Erkenntnis: Nicht überall da, wo Sie Handlungsbedarf erkennen, besteht er auch tatsächlich. Der Schutz von Grundfreiheiten und der Schutz von Grundrechten hat Ausstrahlungswirkung in die unterschiedlichsten Rechtsgebiete.

Wie endet nun der Fall? Er endet wie oft in Fällen von rechtswidriger Kündigung: Es gibt eine Abfindung gegen eine Akzeptanz der ordentlichen Kündigung. In vielen Fällen kommt es dann noch zu einem wohlwollenden Arbeitszeugnis. Das kann man natürlich beklagen, meine Damen, meine Herren, aber hier stellt sich doch die Frage: Könnten wir das mit einer gesetzlichen Regelung verhindern?

(Karin Binder [DIE LINKE]: Natürlich!)

Auch da habe ich meine Zweifel, meine Damen, meine Herren. Es geht hier um die menschliche Seite. Wie geht es dem Lkw-Fahrer, der in seine Firma zurückkommt? Vielleicht ist es tatsächlich so, dass die Kolleginnen und Kollegen, die auch solche Lkw fahren, es vielleicht nachvollziehen können, dass er das gemacht hat. Aber sie werden es ihm unter Umständen niemals verzeihen können, weil ihre Arbeitsplätze daran hängen, weil das Unternehmen ins Wanken gerät. Diese Fälle haben eine höchstpersönliche, menschliche Seite, und wir werden gesundes Betriebsklima niemals gesetzlich verordnen können.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das Gammelfleisch müssen sie weiter transportieren!)

Was beinhaltet die Entscheidung noch? Zunächst einmal manifestieren die Richter, dass es den Vorrang der innerbetrieblichen Klärung geben muss. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann der Hinweisgeber gleich die externe Klärung in die Wege leiten. Solche Ausnahmefälle sind Straftaten mit schweren Folgen für Einzelne oder für die Allgemeinheit.

Mit dem Bekenntnis zur Erforderlichkeit der Abwägung der widerstreitenden Interessen macht das Gericht zudem ein Weiteres klar: Es darf keinen absoluten Schutz von Whistleblowing jeglicher Art geben.

Herr Hoffmann, lassen Sie noch einmal eine Zwischenfrage zu, diesmal von der Kollegin Mihalic?

Aber sehr gerne.

Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben vorhin – das haben die Vorredner auch getan – ausgeführt, dass die Arbeitsgerichte einschlägig entschieden haben bzw. die Schutzvorschriften, die hier genannt worden sind, die es angeblich geben soll, entsprechend ausgelegt haben. Wie würden Sie das im Fall von Beamtinnen und Beamten beurteilen? Hier müssen erstens andere Gerichte urteilen, und hier gelten zweitens besondere Pflichten gegenüber dem Dienstherrn. Wie würden Sie hier Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber auf Basis der bestehenden Rechtsgrundlagen schützen wollen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke für die Frage. – Ich habe vorhin ausgeführt, dass es beim Schutz von Hinweisgebern um den Schutz von Grundrechten geht. Grundrechte und Grundfreiheiten sind einfachgesetzlichen Regelungen übergeordnet und sind auch dem Beamtenrecht übergeordnet. Das hat mich vorhin zu dem Satz veranlasst, dass Grundrechte und Grundfreiheiten Ausstrahlungswirkung in die unterschiedlichsten Rechtsgebiete haben. Das heißt, sobald dort ein Grundrecht geschützt wird und auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gegenüber dem Interesse des Beamtenrechts überwiegt, wird sich der Grundrechtsschutz durchsetzen. Deswegen hat man an der Stelle das Problem nicht.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Die Rechtsprechung ist völlig anders! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Täglich hat man das Problem!)

Wenn man die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugrunde legt, dann muss man feststellen, dass Ihre Vorlagen an mancher Stelle Regelungen enthalten, die überflüssig sind. Auch enthalten sie Regelungen, die weit über das hinausgehen, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte manifestiert hat. Sie erliegen dem Versuch, Regelungen zu einem absoluten Hinweisgeberschutz zu formulieren. Zunächst weichen Sie den Vorrang der internen Klärung auf. Die in Ihren Vorlagen enthaltene Konstruktion der Beweislastumkehr geht in beiden Fällen zu weit. Ich will es Ihnen an zwei Fällen verdeutlichen.

Der erste Fall ist am 5. Februar 2012 vor dem Landesarbeitsgericht Köln entschieden worden. Eine Haushälterin war von einem Ehepaar angestellt worden, um die zwei minderjährigen Kinder zu betreuen. Das Ehepaar war mit der Leistung nicht zufrieden und hat der Haushälterin in der Probezeit gekündigt. Darüber war die Haushälterin erbost und hat das Ehepaar beim Jugendamt angezeigt: Die Kinder seien verwahrlost. Das Ganze mündete in einen Gerichtsprozess. Schließlich wurde von einem Kinderarzt ein Gutachten erstellt, und darin gab es keinerlei Hinweise auf Verwahrlosung.

Der zweite Fall: Bundesarbeitsgericht vom 3. Juli 2003. Der Leiter eines Jugendzentrums hatte eine Auseinandersetzung mit einem Sozialpädagogen über eine Überstundenabrechnung. Der Sozialpädagoge entschließt sichangesichts dieser Auseinandersetzung, seine Vorgesetzten aus dem Weg zu räumen, erstattet Anzeige wegen Untreue bei der Staatsanwaltschaft und verknüpft sie mit der Behauptung, dass der Leiter der Einrichtung dem Träger immer wieder fingierte Abrechnungen vorgelegt hat. Auch dieser Vorwurf kann im Laufe des Verfahrens nicht bewiesen werden.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hat er keine konkreten Anhaltspunkte gehabt!)

Meine Damen, meine Herren, auch diese Fälle gibt es. Wenn man Ihre Vorschläge zur Beweislastumkehr zugrunde legen würde, dann müsste das Ehepaar beweisen, dass die Haushälterin nicht in zulässiger Weise von ihren Rechten nach § 612 a Absatz 1 BGB Gebrauch gemacht hat. Das steht so in Ihrem Entwurf. Das Ehepaar muss also beweisen, dass die Haushälterin die Unwahrheit sagt und die Kinder nicht verwahrlost sind.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss konkrete Anhaltspunkte haben!)

Im zweiten Fall muss der Leiter der Jugendeinrichtung beweisen, dass kein Fall der Untreue vorliegt. Da sehen Sie: Es ist doch nicht so einfach, zu einem ausgewogenen Vorschlag zu kommen und all das zu regeln.

Insofern sage ich: Der Prüfauftrag ist eine hochkomplexe Materie, für die wir Zeit brauchen. Diese Anträge lehnen wir deswegen leider ab.

(Karin Binder [DIE LINKE]: Obwohl Sie dafür noch Zeit brauchen!)

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als nächster Redner spricht der Kollege Andrej Hunko.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4080677
Wahlperiode 18
Sitzung 64
Tagesordnungspunkt Schutz von Hinweisgebern
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