13.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 3

Michael BrandCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist für mich heute keine Rede wie jede andere. Im Jahr meiner Geburt erhielt mein Vater die Diagnose Krebs und erkrankte schwer. Immer wieder hieß es, er habe nicht mehr sehr lange zu leben. Gott sei Dank waren ihm und uns noch viele Jahre geschenkt. Aber das prägt: Krankheit und Tod waren bei uns zu Hause immer mit am Tisch. So ist auch unsere heutige Debatte für mich keine wie jede andere. Das ist sie wohl für niemanden hier im Haus.

In dieser Woche haben wir als eine Gruppe von Abgeordneten unsere Position zum Thema Suizidbeihilfe vorgestellt. Nun arbeiten wir dafür, dass es gute Kompromisse und am Ende eine breite Mehrheit für einen gemeinsamen Gruppenantrag gibt. Was wollen wir? Wir wollen Hilfen stark ausbauen, und wir wollen Missbrauch stoppen. Das sind die beiden Seiten derselben Medaille.

Ich habe in meiner Familie palliative Begleitung beim Sterben erlebt. Diese Begleitung nimmt Schmerz, Angst und Druck und bewahrt die Würde auch beim Sterben. Mir hat diese Erfahrung gezeigt: Wir haben heute dank palliativer Medizin ganz andere Möglichkeiten als noch vor Jahren. In dieser Woche gab es einen wichtigen Schritt voran für den Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung. Es ist gut, dass wir in dieser Frage eine große Übereinstimmung hier im Deutschen Bundestag haben.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Wir wissen inzwischen: Dank palliativer Medizin muss niemand mehr mit unaushaltbaren Schmerzen sterben, niemand muss wegen der Schmerzen in die Schweiz reisen. Sterbehilfevereine oder Einzelne, die organisiert bzw. geschäftsmäßig Suizidbeihilfe leisten, wollen wir aufhalten. Auch hier bin ich froh, dass wir in diesem Parlament eine große Mehrheit haben.

Dabei wollen wir weder ärztliche Beihilfe noch Beihilfe aus der Familie in Notlagen unter Strafe stellen. Hier soll es bei den jetzigen Regelungen bleiben. Wir wollen kein Sonderstrafrecht für Ärzte. Es geht ausschließlich um diejenigen, die, auf Wiederholung angelegt, Beihilfe zum Suizid anbieten. Was wir aber auf gar keinen Fall wollen, ist eine Regelung, die eine Tür öffnet, die wir nicht mehr zubekommen und durch die am Ende Menschen geschoben werden können, die nicht durch diese Tür wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen darf der ärztlich assistierte Suizid keine normale Behandlungsoption werden. Wir hören auch ernstzunehmende Stimmen aus der Ärzteschaft – Präsident Montgomery, viele Palliativmediziner, die erdrückende Mehrheit der Ärzte –, die sagen: Wir werden am Ende Töten auf Verlangen bekommen, auch wenn heute gesagt wird, dass wir das nicht wollen. Deswegen wehrt sich die Ärzteschaft in ihrem Standesrecht dagegen, dass sie auch nur in den Ruf gerät, nicht hin zum Leben, sondern hin zum Tod zu arbeiten.

In Holland gibt es zu diesem steigenden Druck inzwischen große Debatten. Ich empfehle die Lektüre des Buches des Journalisten Gerbert van Loenen. Sein Buch heißt Das ist doch kein Leben mehr! Warum aktive Sterbehilfe zu Fremdbestimmung führt. Van Loenen hat seinen Partner, der durch eine Hirnverletzung schwerstbehindert wurde, begleitet. Er mahnt, die Erfahrungen in Holland zu beherzigen. Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen nicht über den großen Teich nach Oregon schauen, es reicht der Blick in die unmittelbare Nachbarschaft.

In Belgien und in den Niederlanden sind Tausende Tote – im letzten Jahr waren es über 6 500 Menschen – aufgrund der dort auch so genannten Euthanasiegesetze zu beklagen. Immer hat es mit engen Kriterien begonnen, mit zahlenmäßig kleinen Ausnahmen. Aber diese Kriterien halten einfach nicht. Es hat sich erwiesen: Auch bei Sterbehilfe schafft Angebot Nachfrage. In Belgien wurde das Euthanasiegesetz in den letzten zehn Jahren 25-mal geändert und erweitert. Inzwischen können selbst Kinder und Demenzkranke betroffen sein, zuletzt auch verurteilte Sexualstraftäter. Das ist nicht über Nacht passiert, das ist scheibchenweise passiert. Deswegen muss jeder wissen: Wer diese Tür auch nur einen Spaltbreit öffnen hilft, der wird sie nicht mehr schließen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nicht allein um Kranke, sondern es geht auch um junge, um sprichwörtlich lebensmüde Menschen. Diese Menschen wären in großer Gefahr, wenn der Schritt von der scheinbar ausweglosen Situation oder einer Depression zum ärztlich assistierten Suizid nur noch kurz wäre. Mir ist lebhaft in Erinnerung, was ein Palliativmediziner mir berichtet hat. Von über 100 Suizidbereiten, die verzweifelt bei ihm waren und die er begleitet hat, hat kein einziger den Weg am Ende gewählt. Was wäre eigentlich, wenn der Weg ein kurzer wäre?

Franz Müntefering hat recht, wenn er betont: Wir müssen die Schwachen und die Alten schützen. Der Grund, über einen schnellen Tod nachzudenken, ist doch oftmals auch die Angst, anderen Menschen zur Last zu fallen. Er hat recht mit der Begründung, weil wir sonst eben auf die schiefe Ebene geraten würden, weil nämlich Leben am Ende unterteilt würde: in solches, für das sich der Einsatz lohnt, und solches, das nach Ansicht vieler besser beendet würde. Wer nimmt sich eigentlich das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden?

Wir alle tragen hier bei diesem Thema die größte vorstellbare Verantwortung, nämlich die über Leben und Tod. Dieser Verantwortung können wir in dieser Frage nicht entrinnen. Deshalb bitte ich Sie: Werden wir dieser Verantwortung gerecht! Entscheiden wir uns für das Leben und die Hilfe.

Schließen möchte ich mit einem Brief, den eine 48-jährige Frau mir in diesen Wochen geschrieben hat. Sie macht in wenigen Sätzen deutlich, was auf dem Spiel steht und was wir auch menschlich gewinnen können. Ich zitiere:

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort erhält nun die Kollegin Kathrin Vogler.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4104354
Wahlperiode 18
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine