Carola ReimannSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die wenigsten sprechen gern über das Sterben. Das Thema ist im Privaten schwierig, aber auch im Politischen; denn die Fragen, die das Lebensende betreffen, sind nicht nur rechtlicher Natur. Es handelt sich um wichtige ethische und moralische Fragen. Hinzu kommen persönliche Erfahrungen und tiefe persönliche Überzeugungen. Das erklärt das teils emotionale und leidenschaftliche Ringen um den richtigen Weg.
Da ist es gut, sich zunächst einmal dem zuzuwenden, was uns alle eint. Es ist völlig unstrittig, dass wir die Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland weiter verbessern müssen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben hier große Fortschritte erzielt, aber wir sind erst auf halber Strecke. Diesen Weg müssen wir weitergehen. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um kranken Menschen durch die bestmögliche medizinische Versorgung und menschliche Begleitung ein Ja zum Leben zu ermöglichen.
Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch dafür sorgen, dass medizinischen Laien, selbsternannten Sterbehelfern und anderen zwielichtigen Personen, das Handwerk gelegt wird. Ich will nicht, dass verzweifelte Menschen sich an anonyme Sterbehilfevereine wenden müssen. Ich will, dass Menschen in großer Not sich ihrem persönlichen Umfeld und ihrem Arzt anvertrauen können, weil er es ist, der fachlich am besten über die Alternativen aufklären kann. Wir brauchen auf ärztlicher Seite einen Freiraum, damit gerade in dieser Phase ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient möglich ist.
Mich treibt die Sorge um, dass ein Verbot der Sterbehilfevereine, das ich im Grundsatz begrüße, am Ende zu einer Situation führt, in der die ärztlichen Freiräume weiter eingeschränkt werden und in der das Vertrauensverhältnis Schaden nimmt; denn schon heute sorgen 17 Landesärztekammern und eine Bundesärztekammer für einen Flickenteppich an Regelungen, der dazu führt, dass in Essen hinsichtlich des ärztlich assistierten Suizids etwas anderes gilt als in Bochum.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Positionspapier sieht daher vor, Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzten mehr Rechtssicherheit zu geben – Rechtssicherheit, die das offene Gespräch zwischen Arzt und Patient auch über die eigene Lebensbeendigung möglich macht. Denn nur so kann der Sterbenskranke fundiert über medizinische Alternativen informiert werden. In sehr vielen Fällen wird das Ergebnis dieser Gespräche eine gute Palliativversorgung sein. Aber – das zu sagen, gehört zu einer offenen Debatte dazu – es wird auch unheilbar Kranke geben, die trotz optimaler medizinischer palliativer Versorgung und liebevoller Begleitung ihr Leben beenden wollen. Diese Schicksale können uns nicht unberührt lassen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Es ist also keine Frage des Entweder-oder; es geht auch nicht um, wie es im Papier vom Kollegen Brand heißt, „Begleiten statt Beenden“. Wir sollten keine Gegensätze konstruieren, wo keine sind.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Wir wollen alle Möglichkeiten der Palliativmedizin ausschöpfen, aber wir wollen nicht die Augen verschließen, wenn Sterbenskranke den Wunsch äußern, ihr Leben zu beenden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die ärztliche Beihilfe zum Suizid wird auch mit der Regelung, die wir vorschlagen, die krasse Ausnahme bleiben. Wir haben eine strenge Begrenzung vorgesehen. Das wird nicht zur normalen Behandlungsoption und auch nicht zu einem neuen Beschäftigungsfeld; denn wir gehen ja nicht über das hinaus, was in einigen Bundesländern schon heute möglich ist. Im Gegenteil: Wir legen weitere enge Kriterien fest und gehen damit einen Mittelweg. Wir lassen Freiräume für ärztlich-verantwortliches Handeln. Wir stärken auf der einen Seite die Selbstbestimmung, und auf der anderen Seite machen wir durch Zugrundelegung von sehr strengen Voraussetzungen ganz klar: Der assistierte Suizid ist kein Normalfall.
Gelegentlich kommt der Einwand, unser Vorschlag betreffe nur sehr wenige Menschen. Das ist richtig und zugleich auch falsch. Unser Vorschlag erfasst zwar nur wenige Fälle, bewegt aber sehr viele Menschen. Insofern machen wir hier keine Regelung für ein paar wenige Ausnahmefälle, sondern wir wenden uns Schicksalen zu, die ganz viele zum Nachdenken anregen, wie sie selbst sterben wollen.
Es ist gut, dass wir uns für diese Debatte viel Zeit nehmen. Sie darf sich aber nicht auf dieses Haus beschränken. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, um zu einer Regelung mit breiter gesellschaftlicher Akzeptanz zu kommen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Mit den Umfragen ist das ja immer so eine Sache. Daraus kann man ganz unterschiedliche Schlüsse ziehen. Das gilt selbst dann, wenn sich wie bei dieser Frage stets eine große Mehrheit der Befragten für Sterbehilfe ausspricht. Manche kritisieren die Fragestellung, manche glauben, dass die große Mehrheit nicht genug Bescheid weiß über Palliativmedizin und darüber, was sie leisten kann, oder sie unterstellen, dass viele sich nicht genug mit dem Thema befasst haben. Vielleicht, Kolleginnen und Kollegen, könnten diese Umfragen aber auch einfach ein Hinweis darauf sein, dass eine große Mehrheit in Deutschland schlicht und einfach selbstbestimmt sterben will.
Danke fürs Zuhören.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Renate Künast ist die nächste Rednerin.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4104401 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung |